Vorwort - Vom Wissen zum Verstehen

Autor:in - Josef Fragner
Themenbereiche: Theoretische Grundlagen
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/99 Thema: Vom Wissen zum Verstehen Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (2/1999)
Copyright: © Josef Fragner, 1999

Vorwort - Vom Wissen zum Verstehen

"Ich empfand es als Unterdrückung und Missachtung meiner Person, meine Behinderung stand wieder an erster Stelle". Dabei geht es nicht um die "großen Einstellungen", nein, dieses Gefühl der Demütigung, der Vernichtung kommt auf in konkreten Situationen, geht vielleicht einher mit schönen Worten, in entsprechendem Ton. Auf welchen Seiten stehen wir, die wir alles wissen, aber dennoch nicht verstehen?

Vielleicht sind unsere Kategorien des Wissens nur auf einer Ebene angesiedelt. Wir kommen dabei kaum weiter, wenn wir immer gründlicher und differenzierter nur diese eine Ebene verfeinern. Die Medizin, die Wissenschaft und letztlich auch die Politik bringen zwar Wissenszuwächse auf der Ebene behindert/nicht behindert, führen aber nicht zu einem dialogischen Verständnis.

Einfühlendes Verständnis ist die Grundlage jeglichen pädagogischen Dialogs. Das Verstehen ist nicht nur Ausgangspunkt, es wird auch oft zum hilfreichen Mittel. Wie oft "ändert" sich ein Verhalten, nachdem man sich intensiv bemüht hat, es zu verstehen. Oft ebnet es auch den Boden, auf dem Zutrauen und Vertrauen entstehen können.

Dabei müssen wir uns befleißigen - Dieter Fischer weist uns darauf hin -, Menschen in ihrer Konkretheit anzuerkennen, die ihr Leben wie ihr Lernen bestimmt. Dies in einer Welt, die Verbundenheit durch Distanz herstellt, die dem anderen in der Ferne nahe ist, die in einem gnadenlosen Mix aus Wichtig und Nichtig die Realität durch Wunschvorstellungen verdrängt. Diesem ungeduldigen Drängen auf Distanzierung durch unser kategorisierendes Wissen dürfen wir den anderen nicht ausliefern.

"Der tiefe, philosophische Sinn des Begriffs der Praxis besteht darin, uns in eine Ordnung einzuführen, welche nicht die der Erkenntnis, sondern die der Kommunikation, des Austausches, des Umgangs ist" (Merleau-Ponty).

Erst dies eröffnet uns Räume des Verstehens. So schwierig diese Prozesse auch sind, so bilden sie dennoch Dämme gegen inhumane Beziehungen.

Josef Fragner, Chefredakteur

Quelle:

Josef Fragner: Vorwort - Vom Wissen zum Verstehen

Erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 2/99; Reha Druck Graz

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 02.03.2005

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