Fetale und neonatale Ursprünge des Seins und der Zugehörigkeit zur Welt

Themenbereiche: Theoretische Grundlagen
Textsorte: Zeitschrift
Releaseinfo: erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 1-98. Thema: Integration in Italien Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft (1/1998)
Copyright: © Adriano Milani-Comparetti 1998

Fetale und neonatale Ursprünge des Seins und der Zugehörigkeit zur Welt

Die Komplexität der psychobiologischen Entwicklung eines Individuums in seiner Umwelt wird nach der allgemeinen Systemtheorie beschrieben.

Biologische Daten aus der Entwicklung fetaler und neonataler Motorik zeigen, daß Bewegung eine modulare Funktion ist, und daß genetische, epigenetische und gelernte Repertoires von Modulen unterschieden werden können. Eine systemische Hierarchie wächst zu einer Struktur, worin der Geist wie eine Funktion von biologischen Funktionen erscheint.

Die Befunde unterstützen die Vorstellung einer autonomen Initiative im Individuum, das im Aufbau seiner persönlichen Identität und seiner Zugehörigkeit zur Welt als Protagonist fungiert. Der Kern dieser individuellen Autonomie und dieser Beziehung mit den menschlichen Partnern wird als "das Geheimnis" beschrieben. Diese kreative Autonomie ist der Antrieb für Wachstum in den emotionalen sowie in den kognitiven Dimensionen.

Das Kind wirft sein taxonomische Netz auf sein Umfeld. Dieses Netz, das ihm ermöglicht, neue Zusammenhänge zu erwerben, wird anfänglich von epigenetischen Mustern geprägt. Frühe kognitive Entwicklung und frühes kognitives Lernen werden als Resultate einer metaphorischen Freiheit betrachtet.

Der in einem systemischen Entwicklungsmodell durch das Erreichen der neuen Aneignungszusammenhänge erzielte qualitative Gewinn gibt diesem Phänomen ein jeweils zeitgemäßes Gleichgewicht

Entwicklungstheorie als psychobiologische Ganzheit

Im heutigen kulturellen Panorama wurde die langanhaltende dualistische Konnotation des Themas "Reifen und Lernen" überwunden, genauso wie es auch mit seinen analogen Antinomien "angeboren - erworben", "Körper - Geist", "Individuum - Umwelt" geschehen ist. Unser neuer Horizont umfaßt die Gebiete der biologischen und psychologischen Wissenschaften innerhalb einer größeren logischen Ebene; hier erscheint die psychobiologische Einheit einer Person und ihrer Zugehörigkeit zur Welt nach einem umfassenden theoretischen Modell. Dieser Qualitätssprung wurde möglich, weil die Herausforderung der Komplexität endlich auf neuen epistemologischen Fundamenten ruht und die positivistische Illusion einer Allwissenheit durch eine wissenschaftliche Unbestimmtheitstoleranz ersetzt wurde [3].

Diese Arbeit beschreibt eine Entwicklungstheorie des Menschen als eine psychobiologische Ganzheit, wobei der Geist nicht als ein separater Teil des Menschen, sondern als eine menschliche Funktion betrachtet wird: d. h. eine Funktion von biologischen Funktionen. Diese Betrachtungsweise, die den Geist und den Körper einer Person vereint, ist für sich nicht ausreichend um die wesentliche Qualität eines Menschen zu beschreiben, da eine Definition der persönlichen Identität ohne dessen Gegenüber "Umwelt" keine Bedeutung hat. Ein weiterer Schritt in diese logische Typushierarchie ist notwendig, um die Interaktion zwischen dem Individuum und dem physischen und menschlichen Kontext, in dem es lebt, zu beschreiben - dem Kontext, der den Mensch als Person im Hinblick auf seine Zugehörigkeit zur Welt identifizieren läßt.

Die Wahrnehmung der Komplexität und der strukturellen und funktionellen Modularität eines Menschen (und des Zentralnervensystems) verleitet zu einer systemischen Interpretation. Ein modularer Entwicklungsprozeß einer Person kann nicht als eine einfache Summierung von Kompetenzen oder als ein einziges Repertoire, das zu einem linearen Integral allmählich aufgebaut wird, aufgefaßt werden. Die systemische hierarchische Theorie scheint das angemessene Modell zu sein, um der Herausforderung der Komplexität gerecht zu werden.

Die Beobachtung der fetalen Entwicklung mittels Ultraschall hat einen großen Beitrag zum Verständnis der Entwicklungsprozeße geleistet und kann einen verläßlichen Anhaltspunkt bieten. In bezug auf die ZNS Funktion sind die wichtigsten verfügbaren Daten diejenigen über die Entwicklung der Bewegung. Sogar bevor das Wahrnehmungssystem aktiviert wird, erscheint Bewegung als die erste funktionelle Aktivität und kann in Echtzeit in ihren intrauterinen Ursprüngen mit Ultraschall und danach in den extrauterinen Verhältnissen während der gesamten Lebenszeit beobachtet werden. Der Entwicklungsprozeß der Bewegungen wurde in lanniruberto und Tajani [9] ausführlich beschrieben, und die theoretischen und klinischen Implikationen wurden von Milani Comparetti diskutiert. [15]

Die Ergebnisse zeigen, daß

  1. die Bewegungsentwicklung modular ist,

  2. die Modularität in einer hierarchischen systemischen Struktur organisiert ist,

  3. genetische, epigenetische und gelernte Mechanismen im Aufbau der modularen Repertoires eingreifen (Anmerkung der Redaktion: vgl. Ausführungen im Glossar),

  4. fetale Bewegung das Resultat einer autonomen individuellen Initiative ist und der Fötus als Protagonist in seiner Beziehung zur Umwelt fungiert.

Nach der Allgemeinen Systemtheorie und (wie Bateson vorschlägt [2]) der Metapher von Bertrand Russells logischem Typushierarchie-Modell, kann Bewegungsentwicklung als Aufbau von Klassen funktioneller Kompetenzen und Klassen von Klassen von Klassen... beschrieben werden.

Modularer Entwicklungsprozeß

Für eine Beschreibung dieser Struktur kann eine Verallgemeinerung des von Changeux vorgeschlagenen Modells für den epigenetischen Prozeß von Nutzen sein. Er unterscheidet zwischen einer Phase des Aufbaus einer Redundanz (Neurogenese) und einer Phase der selektiven Stabilisierung (Synaptogenese) in der Morphogenese der ZNS-Struktur. In bezug auf die funktionelle Epigenese könnte dieser biphasische Prozeß als eine erste Phase der Speicherung von Kompetenz, Mitglieder einer Klasse und eine zweite Phase des hierarchischen "Gewinns" mit einer Verlagerung in einen anderen Aneignungszusammenhang, mit erworbenen Kompetenzen von einer anderen Klasse, beschrieben werden.

Die verschiedenen Repertoires der von Milani Comparetti während der Beobachtung von fetaler und neonataler Entwicklung [15, 17] erkannten Bewegungsmodulen sind in Abbildung 1 dargestellt. Das selbe Repertoire der in Abb. 1 dargestellten primären Bewegungsmuster könnte anders ausgelegt werden, um den hierarchischen Unterschied hervorzuheben (Abb. 2). Die zwei Ebenen stellen die zwei verschiedenen Aneignungszusammenhänge dar: die dritte Dimension ist die Entwicklungsperspektive in der Zeit. Dieser biphasische Ablauf, der das Speichern von Bauelementen (auf der horizontalen Ebene) und danach den Aufbau von verschiedenen Kontexten (auf der vertikalen Ebene) einer anderen Klasse von Kompetenzen voraussetzt, kann allgemein auf Entwicklungsabläufe angewendet werden. Nicht nur die Bewegungsentwicklung entspricht diesem multidimensionalen Modell, sondern auch Verhaltenssysteme, mentale Systeme, interpersonale Systeme, Sozial- sowie Sprach- und andere Entwicklungssysteme. Die Modularität erscheint als multidimensional und wir können verschiedene Modulklassen auf verschiedenen Ebenen erkennen, d.h. Module von Modulen von Modulen... einschließlich derjenigen der dritten Dimension der Entwicklungszeit (in Abb. 2), d.h. chronobiologische Module. Die Modularität und Epigenese kann auch in anderen Systemen der Wahrnehmung, des Gefühls, der Kognition und der Interaktion beobachtet werden. Es scheint auch sinnvolle, andere menschliche Eigenschaften wie das Bewußtsein, das Unbewußte, die Verhältnisse Selbst / Raum und Selbst / Zeit, den doppelten Status Subjekt / Objekt des Körpers usw. in die Sphäre des modularen epigenetischen Modells einzubeziehen.

Abb.1

Die Komplexität der Struktur und die Wiederholung von verfügbaren Redundanzen sind solche, daß wir den McCarleyschen Grundsatz zum System anwenden können: "Wenn neuronale Population das wichtigste Hauptwort in der Neurobiologie des Verhaltens ist, dann lautet das Hauptverb modulate..." [14]. Die Modulation ist tatsächlich der Grundmechanismus der systemischen Interaktion, währenddessen die deterministische Rigidität der traditionellen reflexologischen Neurologie und des S-R Verhaltensmodells überwunden worden sind. Wie ich anderswo vorgeschlagen habe [18], erscheinen regelmäßig die Wahlfreiheit und die normale Flexibilität in der klinischen Bewertung als modulierende Kompetenzen und die Abnormalität als eine Reduzierung von Modulation und Freiheit auf allen Ebenen. In der angesprochenen offenen Struktur kann man nicht, wie früher mit dem Modell der Entwicklungsmeilensteine angenommen wurde, durch den Entwicklungsprozeß hindurchschneiden. Der Unterschied, der eine Änderung im bereits beschriebenen systemischen "Zustand der Veränderung" ausmacht, ist tatsächlich ein Gewinn in einem neuen Erwerbskontext und nicht nur das Zusammenzählen von den zu einer einzigen Klasse gehörenden Kompetenzen. Daher ist eine Auflistung und eine Bewertung der gezählten Quotienten innerhalb einer Entwicklungsperspektive nicht akzeptabel. Das Neugeborene kann auch nicht nach einer quantitativen Voreingenommenheit bewertet werden: die Geburt ist ein Anlaß für den einer neuen Umwelt ausgesetzten Menschen, neue Dimensionen für sich zu entdecken [19]. Ein Anlaß insbesondere für die epigenetischen Kompetenzen, die als angeborene Kompetenzen für die Bewältigung von Notfallsituationen während der Geburt (Atmung, Ernährung, Thermoregulierung, usw.) bei Bedarf abgerufen werden können, während andere, wie der lange Kampf gegen die Schwerkraft, die allmählich entwickelt werden, und noch andere, die von der Kompetenz des Individuums, Vorschläge zu machen, konditioniert werden.

Abb.2

Abb.1-2 Die gleichen Entwicklungskurven, die in Abb. 1 den Erwerb von PMPs und PAs darstellen, sind auch auf zwei sich kreuzenden Ebenen in Abb. 2 eingezeichnet: R1 ist das Integral der PMP Repertoire und R2 ist das Integral der PA Repertoire.

Das Konzept der persönlichen Identität

Für die epigenetischen Phänomene könnte man von einem phylogenetischem déjà vu sprechen, um das Erkennen der eigenen angeborenen Hypothesen und Theorien zu beschreiben [19]. Vielleicht dürfen wir den Ausdruck der Überraschung bei einem aufmerksamen Neugeborenen als Ausdruck des "Aha Gefühles" (der Gestaltpsychologen) in der Bestätigung von neuen Dimensionen der physischen und menschlichen Welt, mit denen er konfrontiert ist, verstehen!

Das Einbeziehen epigenetischer Erfahrungen in das Konzept der persönlichen Identität ermöglicht uns ein persönliches Projekt als etwas vorzustellen, das als angeborene Instrumente Module der Motorik, des Verhaltens, der Kognition und der Interaktion, als auch deren Projektion in die Umwelt enthält. Der Geist muß auch als eine Eigenschaft der gesamten Struktur eines Menschen und dessen Präsenz im Kontakt der Beziehung betrachtet werden. Diese Präsenz schließt alle genetischen Informationen, epigenetischen Situationen, unbewußten und bewußten Erfahrungen ein, die eine mnestische Spur in der persönlichen Geschichte des Individuums und deren Partnern hinterläßt.

Die Kompetenz, Zeichen zu erkennen und ihnen Bedeutung zu geben

Die autonome Aktivität, die im fetalen Leben und ganz allgemein im menschlichen Wesen erkennbar ist [5, 6, 7, 13, 23, 24, 25], wurde schon von Milani Comparetti als "Kompetenz zum Vorschlag" und "kreative Intention" beschrieben [16, 19] (Abb. 3). Dieses Umstürzen des reflexologischen und behavioristischen ReizAntwort-Modells erlaubt uns die Eigenschaft der Kreativität dem Individuum zuzuordnen, nicht nur um sich selbst als Person aufzubauen, sondern auch um seine Beziehung zur Welt zu erschaffen. Als eine primäre Eigenschaft der Identität enthält das geistige Leben die Qualität eines Projektes mit einem Vorschlag, das auch als vitale Intention[1] qualifiziert werden könne. Aber diese Absicht ist ipso facto interaktiv. Wenn ein Neugeborenes in einer provokanten und verführerischen Art einen Dialog mit der Mutter beginnt (wörtlich: sich selbst vorschlägt), zeigt es sofort eine modulierende Kompetenz. Diese Kompetenz scheint ein Projekt der metaintentionalen Interaktion zu beinhalten, da es seine Partner einbezieht [10]. Das Neugeborene muß tatsächlich eine angeborene geistige Repräsentation der nonverbalen Sprache der Mutter haben, nicht allein als ein Repertoire von Signifikanten, sondern auch ais eine Kompetenz, Zeichen zu erkennen und ihnen Bedeutung zu geben. Diese epigenetische Kompetenz für eine interaktive Erfahrung als ein angeborenes Modul des doppelten Statuts des Menschseins und der Zugehörigkeit zu einem Kontext, zeichnet die psychische Natur der frühen Kommunikation aus. Aus dieser Perspektive betrachtet, ist der Dialog eine reziproke metaintentionale Handlung, in der beide Partner gleichzeitig provozieren und ihren unterschiedlichen Botschaften eine Bedeutung geben.

Das Hauptaugenmerk liegt hier auf der Differenz als einer Eigenschaft des Selbst in der Interaktion. Aber diese Diskrepanz zwischen den reziproken Botschaften im Dialog, die in Abb. 3, dem als Dimension des Vorschlags beschriebenen vertikalen Parameter entspricht, besteht nicht nur wegen dem Unterschied der expliziten Botschaften. Ich habe schon vorgeschlagen [19], daß die persönliche Identität in der zwischenmenschlichen Interaktion ein grundlegendes Element beinhaltet: das Geheimnis. Dieses Geheimnis bildet die Privatsphäre der Stille und gehört insofern zum Dialog als es eine subjektive Nische des individuellen Systems innerhalb des interaktiven Systems definiert[2]. Dieses Geheimnis ist nicht nur das, was übriggeblieben ist, weil der kommunikative Kanal nicht ausreicht, um die ganze persönliche Identität zum Ausdruck zu bringen. Ich schlage vor, daß das, was nicht gesagt wird, eine intentionale und metaintentionale Zurückhaltung und daher eine versteckte Eigenschaft des geistigen Selbst ist.

Abb.3



[1] Die Wörter"Intention" und "Projekt" werden metaphorisch verwendet und beziehen sich auf den Trieb des Individuums nach dem stochastischen (2) Konzept des Programms (Das Programm der Flamme und nicht das Programm des Kristalls [22].

[2] Das vorgeschlagene theoretische Modell der menschlichen Entwicklung scheint mit dem Konzept der Autonomie in der autopoietischen Systemtheorie von Maturana und Varela [13, 24] im Einklang zu sein. Die Beschreibung könnte den Begriff "Metapher des Beobachters" verwenden, ist aber in höchstem Maße kohärent mit den Prinzipien dieser Hypothese. Auch das Konzept des geheimen Kerns des Individuums kann als eine Metapher für die vom Autor beschriebene operationelle Schließung dienen.

Das geistige Selbst beim Neugeborenen

Erwachsene müssen sich bemühen, das Bild des geistigen Selbst beim Neugeborenen zu erkennen, das aufgrund seiner symbolischen Jungfräulichkeit und der Echtheit seines Geheimnisses so unterschiedlich ist. Unsere emotionale Geschichte und unsere Konflikte machen uns zu grundverschiedenen Partnern in der Beziehung zum Säugling. Aber die Mutterbeziehung ist perfekt ausgeglichen, besonders in der "reverie" der neonatalen Periode, wenn sie in epigenetische, emotionale, metaphorische, nonverbale Kommunikation zurückfällt. In dieser Phase wird das Nichtgesagte, die Stille, das zurückgehaltene Geheimnis des Neugeborenen als das fundamentale kreative Element seiner persönlichen Identität respektiert. Vielleicht ist die etymologische Bedeutung des Wortes "infant" (mit Bezug auf das Fehlen von gesprochener Sprache) nicht so negativ besetzt wie sie scheint: wir können sie auch als eine positive Einschätzung der kreativen Privatsphäre bezeichnen. Kreativität ist eine wesentliche Eigenschaft menschlicher Wesen; ihre Entwicklungsautonomie und ihre Beziehung zur Welt können auch in der kognitiven Dimension erkannt werden. Die hier vorgeschlagenen Entwicklungsmodelle können auch für dieses System angewendet werden. Insbesondere scheint das biphasische Modell damit übereinzustimmen. Eine Phase des Ansammelns von Baumaterialien, die zu einer bestimmten Klasse gehören, kann von der Phase des quantitativen Wechsels, die ihre Verfügbarkeit auf einer anderen Ebene erlaubt, unterschieden werden. Daher kann man das Lernen im systemischen Sinne als den Inhalt des "vertikalen" Parameters der logischen Typushierarchie beschreiben [1 ].

Um die Natur des Erwerbs von neuen kognitiven Kontexten zu verstehen, ist es notwendig, die epigenetische Interaktion, besonders in den frühen Phasen der Ausbifdung von Konzepten, zu erkennen, Wie in der emotionalen Dimension, erscheinen die Ursprünge in der kognitiven Dimension als eine Art von "phylogenetischem déjà vu"[19] . Der Mensch wirft sein taxonomisches Netz über eine perzeptive und kognitive Ebene. Offene Konfrontation und Verifikation von angeborenen Paragonen mit der umgebenden Wirklichkeit sind die ersten mustererzeugenden Prozesse für die Schaffung von Ordnung aus dem "Lärm."

Die wesentliche Qualität von Lernen ist dann die analoge Öffnung der taxonomischen Netze im kognitiven Entwicklungsprozeß. So wird metaphorisches Denken aufgebaut [12]. Als ein metaphorisches Individuum hat das Kind (und der Wissenschaftler) die stochastische, unvorhersehbare, heuristische Kapazität für die kontinuierliche Rekonstruktion der Wirklichkeit. Sogar die Metapher entspricht etymologisch dem Bedürfnis eines kontinuierlichen semantischen Transfers und dem kontinuierlichen Überschreiten der Spielregeln, all dem, was die Strategie des Lernens und der kognitiven Entwicklung ermöglicht. Aufgrunddessen sind Fakten und Theorien nicht zu unterscheiden, und die Wirklichkeit ist beobachterabhängig [5]. Aus demselben Grund schreitet das Lernen nicht in einem allmählichen Kontinuum voran, benötigt keine andere Spannungen außer der des kreativen Begehrens und ist nicht einfach durch Adaptieren konditioniert.

Die in dieser Arbeit vorgestellte Entwicklungstheorie scheint mit einem von Gould [8] vorgeschlagenen evolutionären Modell im Einklang zu sein. Seine Kritik an den gradualistischen und adaptiven Modellen erlaubt uns eine Übereinstimmung zwischen Phylogenese und Ontogenese in einer systemischen Hierarchie: eine Art von neuem Akzeptieren des Konzepts der ontogenetischen Rekapitulation der Phylogenese. Das Gouldsche Modell der zeitgemäßen Evolution erscheint isomorphisch mit dem Entwicklungsmodell. In einem umfassenden Horizont kann der autopoietische Trieb die Phylogenese und die Ontogenese, das Individuum und deren Umwelt, die Gesellschaft und die Kultur, sowie die Geschichte und das Werden einbeziehen.

Literatur

Inhaltsverzeichnis

(1) BATESON G.: Verso un'ecologia della mente. Adelphi, Milano, 1977

(2) BATESON G.: Meute e Natura, Adefphi, Milano, 1984.

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(11 ) KOESTLER A.: The act of creation. Pan Books Ltd., London, 1964.

(12) LAKOS G., JOHNSON M.: Metafora e vita quotidiana, Editori Europei Assiciati, Milano, 1982.

(13) MATURANA H. R., VARELA F. J.: Autopoiesi e cognizione. Marsilio, Venezia, 1985.

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(16) MILANI COMPARETTI A.: Le proposte del bambino, 262.-266. In: II bambino come comunicazione. Stroppa C., Pasini W., Franco Angeli, Milano, 1981.

(17) MILANI COMPARETTI A.: Innato e acquisito nel circuito neuropsicomotorio - 125-136. In La nascita psicologica e le sue premesse neurobiologiche, IES Mercury, Milano, 1982.

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(20) MILANI COMPARETTI A., GIDONI E. A.: Dalla parte del neonato: Proposte per una competenza prognostica. Neuropsichiatria Infantile, 175, 5-18, 1976.

(21) MORIN E.: Le vie della complessità. In La sfida della complessità, Bocchi G., Ceruti M., Feltrinelli, Milano, 1985.

(22) PIATELLI - PALMARINI M.: Introduction à propos des programmes scientifique et de leur noyau central. In Theories du langage Theories de I'apprendissage, 19-48, Piatelli-Palmarini M., Editions du Seuil, Paris, 1979.

(23) POPPER K. R. ECCLES J. C.: L'io e il suo cervello, Armando, Roma, 1981.

(24) VARELA F. J.: Complessità del cervello e autonomia del vivente. 141-157 In La sfida della complessità, Bocchi G., Ceruti M., Feltrinelli, Milano, 1985.

(25) VON BERTALANFY L.: Teoria generale dei Sistemi, Mondadori, Milano, 1983. (26) ZORZATO P. L., VERNELLI L: Vitalità fRigidità. L'ambiguità essenziale dell'analogia nei processi conoscirivi. Pegaso CDRI, 4-9, 1985.

Weiterführende Literatur

Milani Comparetti: Von der Behandlung der Krankheit zur Sorge um Gesundheit. Entwicklungsförderung im Dialog. Tagungsdokumentation. Herausgegeben von Edda Janssen und Hans von Lüpke im Auftrag des Paritätischen Bildungswerks Bundesverband e.V. Bestelladresse: Heinrich-Hoffmann-Str. 3, D-60528 Frankfurt

Fetal and neonatal origins of being a person and belonging to the world. Maturation and Learning, Suppl. no. 5, April 1986, The Italian Journal of Neurological Sciences, Masson, Italia, Milano.

"Fetale und neonatale Ursprünge des Seins und der Zugehörigkeit zur Welt" von Milani Comparetti wurde in "Behinderte" zum ersten Mal in deutscher Übersetzung veröffentlicht und gilt als eine der wenigen deutschen Publikationen auf diesem Gebiet. Wir danken Herrn Brian Dorsey für die Übersetzungsarbeit und Herrn Dr. Hans von Lüpke für die stilistische und inhaltliche Überarbeitung!

Glossar

Antinomie: Widerspruch eines Satzes in sich oder zweier Sätze, von denen jeder Gültigkeit beanspruchen kann

anfimonisch: widersprüchlich

Chronobiologie: Fachgebiet der Biologie, auf dem die zeitlichen Gesetzmäßigkeiten im Ablauf von Lebensvorgängen erforscht werden

Echographie: Ultraschall

Epigenese: Entwicklungen, die gleichzeitig Anlage und Umwelt vorraussetzen

epistemologisch: erkenntnistheoretisch

Genese: Entstehung, Entwicklung

Neuristik: Lehre, Wissenschaft von den Verfahren, Probleme zu lösen; methodische Anleitung, Anweisung zur Gewinnung neuer Erkenntnisse

heuristisch: die Heuristik betreffend

isomorph: von gleicher Gestalt

Konnotation: die Grundbedeutung eines Wortes begleitende, zusätzlich (emotionale, expressive) Vorstellung

Metaphorik: das Vorkommen, der Gebrauch von Metaphern

metaphorisch: die Metapher betreffend, bildlich, übertragen (gebraucht)

Mneme: Gedächtnis, Erinnerung, Fähigkeit lebender Substanz, für die Lebensvorgängewichtige Information zu speichern

mnestisch: die Mneme betreffend

Modul: Einzelelement, Maßeinheit

modulieren: verändern, variieren durch Einbeziehen neuer Elemente

Ontogenese: die Entwicklung des Individuums von der Eizelle zum geschlechtsreifen Zustand

Phylogenese: Stammesgeschichte der Lebewesen

Präformationstheorie: im 18. Jh. vertretene Entwicklungstheorie, nach der jeder Organismus durch Entfaltung bereits in der Ei- od. Samenzelle vorgebildeter Teile entsteht

präformieren: im Keim vorbilden propositional den Satz als Informationseinheit betreffend

Protagonist: Hauptdarsteller, zentrale Gestalt, wichtigste Person

Redundanz: Überreichlichkeit, Überfluß; Bezeichnung für das Vorhandensein von weglaßbaren Elementen in einer Nachricht, die keine zusätzliche Information liefern, sondern lediglich die beabsichtigte Grundinformation stützen; förderliche, wegfaßbare Bestandteile einer Information, die beim Weglassen anderer Bestandteile die Information sichern können.

reziprok: wechsel-, gegenseitig, aufeinander bezüglich

stochastisch = zufallsabhängig

Taxonomie: Einordnung der Lebewesen in ein biologisches System

taxonom/taxonomisch: systematisch Transgression das Auftreten von Genotypen, die in ihrer Leistungsfähigkeit die Eltern- u. Tochterformen übertreffen

Verifikation = Verifizieren

Quelle:

Adriano Milani-Comparetti: Fetale und neonatale Ursprünge des Seins und der Zugehörigkeit zur Welt

erschienen in: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft Nr. 1/98; Reha Druck Graz

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 04.12.2007

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