e i g e n ART

Integrativer Tanz als Kunstform

Autor:in - Natalie Begle
Themenbereiche: Kultur
Textsorte: Diplomarbeit
Releaseinfo: Diplomarbeit im Rahmen des 2. Studienabschnitts der Studienrichtung "Musik- und Bewegungserziehung" zur Erlangung des akademischen Grades Mag. art. Universität Mozarteum Salzburg. Institut für Musik- und Tanzpädagogik, "Orff-Institut". Betreuung: Univ.-Prof. Barbara Haselbach. Mai 2003
Copyright: © Natalie Begle 2003

Inhaltsverzeichnis

1 VORWORT

Disability is not a ‚brave struggle'

or‚ courage in the face of adversity'...

disability is an art. It's an ingenious way to live

(Neil Marcus)

Meine erste Berührung mit Menschen mit Behinderung[1] hatte ich vor zehn Jahren bei einem DanceAbility Workshop des Vereines intako in Bregenz. Alito ALESSI leitete das Wochenende, welches geprägt war vom gemeinsamen Experiment und der Kontaktaufnahme mit anderen, mir völlig fremden Menschen.

Beeindruckt von der Kraft des Tanzes und die der TeilnehmerInnen wurde mir damals bewusst, wie viel Hemmungen und Berührungsängste ich Menschen mit Behinderung entgegenbrachte und wie schnell es trotzdem ging, einige dieser Ängste und Grenzen abzubauen. Tanz ermöglicht eine Begegnung auf einer normfreien Ebene, bei der auf eine besondere und natürliche Art kommuniziert werden kann. Im Tanz kann Integration von Menschen mit und ohne Behinderung stattfinden. Integration geschieht in diesem Sinne wechselseitig: Menschen ohne Behinderung werden in die Welt von Menschen mit Behinderung integriert und umgekehrt.

Im Februar 2000 lernte ich im Rahmen meines Praktikums die Arbeit von Wolfgang STANGE näher kennen. In ihm erlebte ich eine Person, die wertfrei und mit einer berührenden Natürlichkeit jenen Menschen gegenübertrat, die mir immer noch fremd waren. Ich kam zu dem Entschluss, über diese besondere Art von Begegnungen zu schreiben. Tanz als Chance für Integration war der Titel meines ersten schriftlich darzustellenden Themas im Rahmen der ersten Diplomprüfung.

Mein Interesse an der Tanzarbeit mit Menschen mit Behinderung wuchs. Zudem wurde ich aufgrund einer Fußverletzung selbst zu einem Menschen mit Behinderung. Ich wechselte die Perspektive. Ich entdeckte, dass sich meine Bewegungen veränderten und ich bislang Unbekanntes aktivierte. Es wurde mir klar, welch großes Potential Tanz mit Behinderung in sich trägt. Diesen künstlerisch-ästhetischen Aspekt machte ich zum Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Ein Perspektivenwechsel vollzog sich: vom sozialen zum künstlerischen Wert des integrativen Tanzes. Das Thema ist überaus vielschichtig. Aus diesem Grunde wird in dieser Arbeit eine begrenzte Anzahl von Themenbereichen behandelt bzw. manche von ihnen lediglich umrissen. Im folgenden werden diese Bereiche kurz vorgestellt: Der erste Teil setzt sich mit der Begrifflichkeit von Integration und dem Tanz als Möglichkeit für erlebbare Integration auseinander. Darauffolgend werden im zweiten Teil ästhetische Strömungen beschrieben, welche die beiden Protagonisten Wolfgang STANGE und Alito ALESSI in ihrem jetzigen Schaffen beeinfluss(t)en. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung stütze ich mich auf diese beiden Choreographen. Das Lebenswerk beider Künstler wird dabei in den Mittelpunkt gestellt. Biografische Elemente geben Aufschluss über Zusammenhänge aus der Tanzgeschichte und deren Strömungen. Arbeitsweisen, Methoden und persönliche Stellungnahmen beschreiben ihr Schaffen. Dabei ist mir bewusst, dass bedeutende Arbeiten anderer KünstlerInnen dieses Bereichs ebenso wichtig sind, doch würden sie den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Im Weiteren wird die Entwicklung neuer ästhetischer Tendenzen, die durch den integrativen Tanz entstehen erläutert. Integrativer Tanz versucht tradierte Wahrnehmungsmuster aufzulösen und wirft nicht nur gesellschaftlich-politische, sondern hier vor allem künstlerisch-ästhetische Fragestellungen auf. Elemente wie die Entwicklung eines neuen Bewegungsvokabulars, der Begriff des imperfekten Körpers im Tanz und ein dadurch resultierendes anderes Tanzverständnis werden beschrieben. Im letzteren dritten Teil wird ein Bogen zu regionalen Gruppen in Österreich gespannt, die direkt oder indirekt von STANGE bzw. ALESSI beeinflusst wurden. Wichtig erscheint hierbei, dass sie zwar Prinzipien der Choreographen aufgegriffen, darüber hinaus aber ihre eigene Art entwickelt haben. Es werden die Tanzkompanien Bilderwerfer / Wien, der Verein intako / Bregenz, Die Blauen Hunde / Salzburg und der Kulturverein Ich bin O.K. / Wien beschrieben. Geschichtliches und Aktuelles bieten einen Einblick in deren Arbeit. In Interviews werden die im Prolog aufgeworfenen Fragen herangezogen und anhand von Statements der KünstlerInnen erörtert. Obwohl der Kulturverein Ich bin O.K. keinerlei Bezug zu den beiden Choreographen STANGE und ALESSI aufweist, wird dieser aufgrund seiner Aktualität in die Arbeit aufgenommen. Eine genaue Analyse der Stellung des integrativen Tanzes in der österreichischen Gesellschaft war nicht möglich, wird jedoch in Interviews besprochen. Seit Beginn dieser Arbeit wurden die im Prolog beschriebenen Fragen nicht weniger und bleiben sicher größtenteils unbeantwortet. Der / die LeserIn wird daher eingeladen, selbst auf die Suche nach eigenen Antworten zu gehen.



[1] Anm. : In Bezug auf Menschen, die allgemein als behindert bezeichnet werden, wird in dieser Arbeit in der Regel die Bezeichnung Menschen mit Behinderung verwendet, jedoch ggf. aus semantischen bzw. syntaktischen Gründen durch die Verwendung des Begriffs behinderte Menschen oder beeinträchtigte Menschen ersetzt.

2 PROLOG

X: "Du sag' mal, das verkaufen die hier als Kunst heutzutage?"

Y: "Also, ich fand's schön, es gehört doch allerhand dazu, dass die so was auf die Bühne bekommen..."

Z: "Also, für mich war es schon Kunst, warum soll es keine Kunst gewesen sein?"

X: "Ja bitte, ich hab da überhaupt keine tänzerische Leistung gesehen, ich meine, das könnte ich grad auch noch."

Y: "Du kannst doch nicht die tänzerische Leistung eines Profitänzers mit dem eines Behinderten vergleichen. Es hat mich sehr berührt, dass die so was zustande bringen. Das ist gut, dass man denen die Möglichkeit bietet, so was zu machen.

Z: "Aber es geht hier doch drum, dass die einfach eine andere Art von Kunst, ja eine eigene Art von Tanzverständnis haben. Hier geht's doch nicht darum, wie viele Sprünge die machen können, sondern vielmehr um den eigenen Ausdruck im Tanz, dass die Menschen mit Behinderung ihre Message rüber bringen ...

X: "Message - was haben die bitte für eine Message - denkst du nicht, dass das alles vom Choreographen gelenkt ist? Was können die denn da von sich selbst reinbringen ?

Y: "Ich weiß überhaupt nicht, was ihr habt. Ist doch egal, ob das Kunst ist oder nicht. Hauptsache, man macht was für diese armen Menschen und ihnen macht es Spaß."

Z: "Schon, nur geht's um etwas Grundsätzlicheres - es geht um was Neues im Tanz, in der Kunst und in der Gesellschaft."

3 TANZ ALS CHANCE FÜR INTEGRATION

Maria DINOLD und Katalin ZANIN beschreiben den Tanz als ein spezielles Mittel kultureller Integration, das Menschen mit besonderen Bedürfnissen ermöglicht, einen ganzheitlichen Zugang zu sich selbst und zu anderen zu finden, das starke Erlebnisse bewirkt und als Nebeneffekt therapeutische Veränderungen erkennbar macht. Sie zitieren Madleine MAHLER, die den kreativen Tanz als wirkungsvollste Art des Tanzes sieht: "Tanz integriert den ganzen Menschen. Lediglich zur äußeren Fortbewegung würde das Instrument, d. h. der bewegliche Körper allein genügen. Bei der tänzerischen Improvisation gelangen aber die Erfahrungen des Geistes aus der äußeren Welt und die der Seele aus der inneren Welt ebenso zum körperlichen Ausdruck. Die dadurch gefundene tänzerische Gestaltung wirkt wieder zurück auf Seele und Geist."[2]

Im Tanz bietet sich die Gelegenheit, auf einer wert- und normfreien Ebene auf individuelle Weise miteinander zu kommunizieren. Der hautnahe Dialog sowohl für Menschen mit als auch ohne Behinderung hebt Grenzen auf. Das kreative Miteinander, das Sich-Einlassen-Können auf das Gegenüber fördert das Selbstvertrauen und somit auch den Selbstwert.

Tanz ist weiters eine Form, die Raum lässt für individuellen Ausdruck und Selbstbestimmung. Dadurch kann er zur positiven Entwicklung der eigenen Persönlichkeit beitragen. Sowohl auf körperlicher, als auch auf kognitiver Ebene bietet Tanz die Möglichkeit, Erfahrungen zu machen, die gerade für Menschen mit Behinderung sonst vielleicht nie realisierbar wären.

Weiters kann die Erweiterung der Norm eines perfekten Tanzkörpers die Tanzwelt bereichern und vielleicht auch gesellschaftlich vorgefertigte Bilder über Menschen mit Behinderung verändern. "Letztlich liegt jedoch die große Herausforderung beim Publikum: seinen Blick zu verändern, sich Einzulassen auf neue Bilder und Bewegungssprachen."[3]

Die dargestellten Überlegungen sind nicht praxisfern. So haben bereits einige KünstlerInnen den anderen Weg eingeschlagen und ihr künstlerisches Schaffen mit Menschen mit und ohne Behinderung zum Mittelpunkt ihrer Arbeit gemacht. In diesem Zusammenhang sind Wolfgang STANGE und Alito ALESSI beispielgebend dafür, dass Integration durch Tanz möglich ist.

3.1. ZUR INTEGRATION

Was ist Integration?

Im Duden sind folgende Beschreibungen zu finden:

" 1. Vervollständigung.

2. a) Verbindung von Personen od. Gruppen zu einer gesellschaftlichen Einheit (soziol.);

b) Eingliederung einer Minderheit in einen Staat.

3. Zustand des Integriertseins (soziol.)."[4]

Genauer beschreibt Ferdinand KLEIN den Begriff Integration für die Behindertenpädagogik :

"Integration als Handlungs- und Reflexionsprozess und als humane Forderung ist das Ermöglichen des ganzheitlichen Lernens von behinderten und nichtbehinderten Menschen in gemeinsamen Bildungssituationen am gemeinsamen Gegenstand unter Wahrung und Achtung der Individualität der an diesem Prozess beteiligten Menschen"[5].

3.1.1 Zum Menschenbild im Integrativen Tanz

Es gibt eine Vielzahl von Menschenbildern, die sich in unterschiedlichster Form darstellen. Hier soll von einem Menschenbild ausgegangen werden, das als eine Voraussetzung für gelebte Integration steht und die grundlegende Einstellung im integrativen Bereich verdeutlicht. Demgegenüber stehen Bilder, die sich aus unterschiedlichen Sichtweisen herausgebildet haben oder die durch kulturelle Prägungen nach wie vor in vielen Gesellschaftsgruppen verhaftet sind.

"Ein Menschenbild, das einen beeinträchtigten Menschen biologisch-medizinisch-psychiatrisch für defekt, psychologisch für deviant und pädagogisch für behindert hält, kann in der gesellschaftlichen Praxis nur Aussonderung und Segregierung hervorbringen, auch wenn sich diese gesellschaftliche Praxis selbst »Integration« nennt"[6].

Integration setzt in erster Linie die Achtung jedes Menschen und dessen Einzigartigkeit voraus. Ausgang dafür ist ein Menschenbild, das "der Vielfalt menschlichen Daseins Raum gewährt"[7]. Beate SCHMITT bezieht sich auf PRENGEL, die den Gleichheitsbegriff zunächst als "Gleich-Sein" versteht, jedoch auch darauf hinweist, dass dies nur für einige Merkmale gelten und niemals völlige Gleichheit im Sinne von Identität bedeuten kann. SCHMITT spricht daher von der Gleichheit als einer Form der Übereinstimmung zwischen Verschiedenem. Sie macht deutlich, dass Gleichheit und Verschiedenheit voneinander abhängen, dass sogar "die Existenz von Verschiedenheit Voraussetzung für das Feststellen von Gleichheit" ist.[8]

So wird Verschiedenheit vorerst meist nach äußeren Merkmalen gedeutet. Hautfarbe, Größe, Gewicht, Bewegungsweise etc. werden zu möglichen Unterscheidungsmerkmalen, die aber immer nur eine Besonderheit zeigen und nicht den ganzen Menschen beschreiben.

"In einer Zeit, in der Menschen aufgrund dieses zugeschriebenen Merkmals wieder verstärkt nach Kosten-Nutzen-Kalkül behandelt und bewertet werden, erscheint so gerade die Entscheidung für ein allgemeingültiges Menschenbild von besonderer Bedeutung"[9].

Durch die Einengung bestimmter und festgeschriebener Merkmale stellt sich nicht die Möglichkeit, ein Menschenbild für alle geltend zu machen. Die Utopie eines solchen Menschenbildes würde in erster Linie auf einer Wertentscheidung für die Würde und Gleichwertigkeit aller Menschen, unabhängig ihres Geschlechts, ihrer Hautfarbe oder ihrer Fähigkeiten basieren.

Es ist also weder die Gleichheit noch die Verschiedenheit in der Lage, einen Menschen in seiner Gesamtheit zu beschreiben. Letztlich ist es das Gegenüber, das entscheidet, welche Merkmale zu einer offenen oder ablehnenden Haltung führen.

"Lebendiges ist aber nur subjektiv verwirklichbar. Objektivität ist eine Hypothese, die gerade bei Integration nicht funktioniert"[10].

Auch für SCHMITT ist "ein gleichwertiges Miteinander verschiedener Menschen unter diesen Umständen nie konfliktfrei, eine 'bunte' und harmonische Vielfalt der Menschen in unserer Gesellschaft weitestgehend Illusion"[11].

Sie sieht eine Lösung im Sich-Einlassen in einen offenen Prozess, in dem Widersprüche ausgehalten und Konflikte zugelassen werden können. Wesentlich dabei erscheint, dass sich jede/r einzelne mit den eigenen Begrenzungen auseinandersetzt, was mit dem Zulassen von Gefühlen der Trauer, des Schmerzes und der Wut in Verbindung steht.

"Ohne die Gewissheit meiner einzigartigen und selbständigen Existenz bin ich psychisch nichtexistent. Ohne die Gewissheit der Zugehörigkeit kann ich nicht existieren. Diese beiden Strebungen gehören zusammen. Sie bilden eine Gegensatzeinheit"[12].

Zum Menschenbild von Wolfgang Stange

"Wir zeigen, dass Kunst nicht von körperlichen oder geistigen Normen abhängen muss. Am Ende sind es immer die behinderten Darsteller, die unseren Aufführungen ihre besonders starke Ausstrahlungskraft geben."[13]

Der Mensch steht im Mittelpunkt des Schaffens von Wolfgang STANGE. Seine Ziele sind Selbstwertgefühl zu entwickeln, das kreative Potential jedes Teilnehmers, welches STANGES Überzeugung nach jede/r in sich trägt; anzusprechen und dabei tänzerische Fähigkeiten und Techniken zu entwickeln.

Wolfgang knüpft an der Begabung jeder/s Einzelnen an und gibt ihnen die Möglichkeit zur künstlerischen Entfaltung und Gestaltung.[14]

"Ich arbeite nicht mit Behinderten - ich arbeite mit Menschen, die ihren Ausdruck im Tanz finden"[15]

STANGES Zugang zu Menschen mit Behinderung kommt von seiner grundsätzlichen Auffassung des Lebens. Er selbst begründet die Haltung unserer Gesellschaft zur Behinderung mit der Angst vor dem Nichtwissen. "Hätten die Menschen eine integrierte Schulbildung genossen, glaube ich kaum, dass sie in dieser Angst leben würden."[16]

Wolfgang STANGE sieht in Menschen mit Behinderung die LehrerInnen unserer Gesellschaft.

Zum Menschenbild von Alito Alessi

"The approach to my work is not aimed at working with integrated groups. The approach to my work is aimed at working with people. All people : Diverse colour, diverse age, diverse weight, diverse movement abilities ... Diversity is my interest!"[17]

ALESSI geht davon aus, dass jeder Mensch tanzen kann, weil der Ausgangspunkt der Bewegungen der eigene Körper ist. Seine persönliche Hauptmotivation liegt in der Erweiterung der eigenen Bewegungssprache. "Im gemeinsamen Tanz mit körperbehinderten Menschen lernt er, seine gewohnten Bewegungsmuster zu verlassen."[18]

Weiters betont ALESSI, dass sich durch die Zusammenarbeit mit Emery BLACKWELL (einem Tänzer mit spastischer Lähmung) seine Denkgewohnheiten und sein Verhältnis zur Zeit verändert haben, da Emery's Körper bewusste Bewegungen sehr viel langsamer ausführen kann, in anderen Situationen sich jedoch sehr viel schneller und spontaner bewegt, als es für ALESSI jemals möglich ist.

Emery BLACKWELL, der in alltäglichen Situationen oft auf Hilfe anderer angewiesen ist, bezeichnet sich selbst nicht als behindert, "da er Mittel und Wege gefunden hat, um sich in seinem Leben (z.B. durch Tanz) weiterzuentwickeln und daneben die Fähigkeit besitzt, andere Menschen um Hilfe zu bitten. Auf der Bühne zu tanzen unterscheidet sich von seinen alltäglichen Auftritten vor allem davon, dass er hier seine Kunst zeigt und den zuschauenden Menschen dabei vermitteln will, dass es ‚okay' ist hinzuschauen."[19]

"When they come to watch, they are ready for a change"[20].

"In Workshops mache ich immer wieder die Erfahrung, welche unglaublichen Möglichkeiten in dieser Tanzform stecken. Unglaublich deshalb, weil hier etwas verwirklicht werden kann / muss, wovor man sich im normalen Alltag immer wieder drücken kann : Das bedingungslose Annehmen und die volle Integrität des verkrüppelten Körpers auf beiden Seiten."[21]

3.1.2 Normfreiheit

Georg FEUSER versucht, das gesellschaftliche Denken wie folgt auf den Punkt zu bringen: "Es gibt Menschen, die wir aufgrund unserer Wahrnehmung ihrer menschlichen Tätigkeit, im Spiegel der Normen, in dem wir sie sehen, einem Personenkreis zuordnen, den wir als geistigbehindert bezeichnen"[22]. Für ihn ist also ein Mensch mit "geistiger Behinderung" eine auf einen anderen Menschen hin zur Wirkung kommende Aussage schlechthin. Die Ausgrenzung eines z.B. für uns behinderten Kindes beginnt für ihn bereits dort, wenn wir meinen es sei so, wie wir es wahrnehmen.

Er übt Kritik an der gesamten Behindertenpädagogik der letzten Jahre. "Wir testen einen Menschen zu irgendeinem Zeitpunkt seiner Lebensgeschichte und meinen dann zu wissen, welchen weiteren Lebensweg er einzuschlagen hat und welche Bildung ihm zu ermöglichen oder vorzuenthalten ist"[23].

Um also unsere Wahrnehmung zu verändern ist es ohne Zweifel von Bedeutung, von einer bestimmten Norm abzukommen, die unsere Gesellschaft seit Beginn ihrer Geschichte prägt. Für Peter RADTKE ist das Bild des behinderten Menschen in der Regel "ein vorgefertigtes Klischee, das alle Ängste und Selbstzweifel umfasst, die der Nichtbehinderte in dieser Hinsicht empfindet"[24]. Die Konfrontation mit der Realität der Behinderung erscheint darum so schmerzlich, weil sie den eigenen Standpunkt erschüttert, Normen hinfällig werden lässt, zu neuen Wertvorstellungen herausfordert. Die entscheidende Frage scheint jedoch zu sein:

Was ist Norm?

In diesem Sinne ist Norm wohl so zu verstehen, was die Mehrheit einer Gesellschaft als "Norm" sehen will: Nämlich die weitestgehenden Übereinstimmungen innerhalb der Mehrheit bzw. der größte gemeinsame Nenner der Mitglieder der Gesellschaft. Solche Katalogisierungen werden von der Gruppe als solche getroffen, weil sie Sicherheit geben. Darum verbreitet alles Fremde, Norm-abweichende Angst.

Zusammenfassend löst also Angst vor dem Fremden, Anders-artigen Unsicherheit und somit auch oft eine abgeneigte Haltung gegenüber Menschen mit Behinderung aus. Somit beginnt ein Schritt in Richtung Integration mit der Normfreiheit und dem damit verbundenen Abbau der Ängste vor Abweichungen in unserer Gesellschaft.

3.1.3 Paradigmenwechsel

Andreas FRÖHLICH sieht einem Paradigmenwechsel in der Behindertenpädagogik entgegen. Seiner Meinung nach ist alles, im Speziellen eben Menschen mit Behinderung ein von uns als individuelle Betrachter gebildetes Konstrukt, das wir, je nachdem aus welchem Blickwinkel wir es sehen, unterschiedlich interpretieren. Paradigmen sind also Grundannahmen, die man glauben kann, von denen man überzeugt sein kann - oder aber auch nicht.

FRÖHLICH spricht von einem zentralen Paradigmenwechsel in den letzten 30 Jahren. Als Grundprinzip sozialen Zusammenlebens galt Solidarität. Heute haben wir uns von der Selbstverständlichkeit der Solidarität verabschiedet. Alles muss formuliert werden, juristisch "festgeklopft" und sogar "die Selbstverständlichkeit, dass die Würde des Menschen, aller Menschen, unantastbar ist, gilt nicht mehr als Grundkonsens."[25]

Gegenwärtig werden aufgrund von Gesetzeslagen Verbesserungen herbeigeführt, die zu einer Gleichbehandlung aller Menschen führen sollen. Die österreichische Bundesverfassung fordert die ‚Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens' und auch nach den Vorstellungen praktisch aller Menschenrechtsabkommen hat jeder Mensch ein Recht auf Leben in Würde, auf körperliche Integrität, auf seelische Integrität und auf Selbstbestimmung sowie auf Gleichbehandlung"[26]

Die Vorstellungen der Menschenrechtsabkommen stehen für FRÖHLICH im klaren Widerspruch zur bestehenden Behindertenpädagogik. Es stellt sich die Frage nach der Selbstbestimmung innerhalb der Arbeit mit Menschen mit Behinderung. FRÖHLICH zitiert O. MILES-PAUL, Vizepräsident der europäischen Abteilung von disabled people international, der 1995 einen radikalen Paradigmenwechsel verkündete :

"Behinderung ist weniger eine Frage des individuellen Schicksals und der Wohltätigkeit, sondern vielmehr eine Bürgerrechtsfrage. Mit unserer körperlichen, geistigen und seelischen Beeinträchtigung können wir leben. Doch die gesellschaftliche Entmündigung und Diskriminierung, die unser Leben tagtäglich bestimmt, ist für uns nicht hinnehmbar"[27].

Fröhlich sieht in dieser Aussage die klare Forderung nach einer Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung. Er interpretiert es als Aufschrei gegen die ständige Wohltätigkeit und Fürsorge und spricht von jener Freiheit der Menschen mit Behinderung, welche sie selbst entscheiden lässt, ob sie den Rat und die Hilfe von "uns" brauchen oder nicht.

3.1.4 Selbstbestimmung

Die Antwort auf Integration beginnt, meines Erachtens, mit der Selbstbestimmung jedes Menschen. SCHMITT bezeichnet diese Selbstbestimmung auch als "Wesensmerkmal menschlicher Existenz"[28]. Voraussetzung ist wiederum die Akzeptanz des "Anders-Sein" und die Annahme, dass jedes menschliche Dasein eine "autonome Lebenskraft"[29] besitzt.

Jede Form von Selbstbestimmung wird von verschiedensten Faktoren beeinflusst. Zu diesen zählen u.a. die Lebenslage, gesellschaftliche Rahmenbedingungen, individuelle Fähigkeiten und das persönliche Beziehungsnetz. Selbstbestimmung ist also an gewisse Bedingungen geknüpft. Sie ist immer ein Lernprozess, welcher von der Umgebung positiv oder negativ beeinflusst werden kann. Selbstbestimmung ist auch abhängig von Wahlmöglichkeiten, damit eine Entscheidung überhaupt stattfinden kann und sie wird oft weniger von der individuellen Beeinträchtigung der Menschen mit Behinderung beeinflusst, sondern vielmehr von gesellschaftlichen Einstellungen.

Wie kann also ein Weg gefunden werden, Menschen mit Behinderung ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen?

3.1.5 Dialog

Das bloße Zusammensein von behinderten und nichtbehinderten Menschen reicht nicht aus, um eine Integration, die dem Gleichwertigkeitsprinzip entspricht, zu erreichen. Erst wenn Menschen Dialog führen, miteinander kommunizieren, kann eine Begegnung entstehen.

JASPER[30] geht davon aus, dass jeder Mensch, um sein eigenes Selbst zu erfahren, ein Gegenüber braucht, in dem er wider-hallt. Ziel des Menschen ist demnach in erster Linie seine Selbstverwirklichung, welche er jedoch nur über eine ICH-DU-Beziehung erreichen kann. BUBER nennt es das "Doppelprinzip des Menschseins" und versteht darunter, dass wir erst am DU zu unserem ICH werden[31].

Nach FEUSER repräsentiert sich die "Dialogfähigkeit und -kompetenz auf allen Ebenen psychischer Entwicklung"[32]. Dies bedeutet, dass wir auf Bestätigungen unseres Gegenübers unser ganzes Leben lang angewiesen sind, um für einen geregelten Prozess der Identitätsbildung zu sorgen.

Menschen, die somit aufgrund negativer Merkmalszuschreibungen als behindert angesehen werden, erfahren gesellschaftliche Ausgrenzung und folglich auch einen Ausschluss der Dialogmöglichkeit. Eine solche Verweigerung von Dialogmöglichkeit kann zu einer Störung der Identitätsentwicklung führen. Mangelndes Selbstvertrauen ist nur eine Folge davon.

Derzeit ist dieser Zustand in vielen Heimen gegeben. Aufgrund fehlender Motivation seitens des Pflegepersonals, mangelnder Ausbildung oder ungünstiger institutioneller Bedingungen kann es für Menschen mit Behinderung eine zu geringe Dialogmöglichkeit und somit auch eine unbefriedigende Situation geben, was das Knüpfen von Beziehungen und auch die Bestätigung ihrer Existenz angeht. Fehlt letztere, kommt es zur Beschädigung der Selbstwerdung und Identität eines Menschen, denn jeder Mensch wird "zu dem ICH dessen DU wir ihm sind"[33].

Das Ziel nach der absoluten Integration von Menschen mit verschiedensten Merkmalen bleibt vielleicht Illusion. Ein Menschenbild, das den Menschen als Ganzen sieht, ihm Autonomie einräumt und ihn normfrei behandelt, ist ein Schritt in Richtung Integration. Weiters muss in Zukunft nach Dialogmöglichkeiten vielfältigster Art, beispielsweise durch die Einbeziehung verschiedenster Medien, gesucht werden.



[2] Mahler, M.: Kreativer Tanz, Bern, 1980, 9 (zit. nach: Dinold, M. / Zanin, K.: 1996, 32).

[3] Niedermair, P. 1993.

[4] Der kl. Duden,1991, 187.

[5] Klein, F: 1987 zu finden in: http://bidok.uibk.ac.at/library/.

[6] Feuser, G: 1996.

[7] Schmitt, B.: 1996, 14.

[8] Schmitt, B.: 1996, 14.

[9] Ebd.: 1996, 12.

[10] Neira-Zugasti, H.: 1999, 6.

[11] Schmitt, B.: 1996, 17

[12] Reiser, H.: Entwicklung und Störung - Vom Sinn kindlichen Verhaltens, in: Behindertenpädagogik, 32, 1993, 227-238 (zit. nach: Schmitt, B.:1996, 18).

[13] Wolf-Perez, E.: 1995, 126.

[14] Begle, N.: 2000.

[15] Stange, W.: Interview 2001

[16] Salmon, S.: 1999, 58

[17] Alessi, A. (zit. nach: Schmitt, B.: 1996, 14).

[18] Ebd., (zit. nach: Schmitt, B.: 1996, 92).

[19] Vgl. Blackwell, E.: in: ebd., 1996, S. 92.

[20] Vgl. ebd., 1996, S. 92.

[21] Ehlers, DanceAbility - Performance for handicapped people

[22] Feuser, G.: 1996.

[23] Feuser, G.: 1996.

[24] Radtke, P.: 1994, S. 113.

[25] Fröhlich, F. 2000, S. 30.

[26] Vgl. nur die Art. 1, 6, 7 und 26 UN-Menschenrechtspakt II; die Art. 2 und 14 der Europäischen Menschenrechtskonvention 1950 sowie die Präambel der Satzung der Vereinten Nationen.

[27] Miles-Paul, O. (zit. nach: Fröhlich, F.: 2000, 32.

[28] Schmitt, B.: 1996, 19.

[29] Ebd. 19.

[30] Schmitt, B.: 1996, 33.

[31] Vgl: Buber, M., (in: Schmitt, B: 1996, 34).

[32] Feuser, G.: (zit. nach Schmitt, B: 1996, 35).

[33] Feuser G. (zit. nach ebd. 36).

4 ZUR ENTWICKLUNG DER TANZÄSTHETIK

4.1. GRUNDFRAGEN ZUR ÄSTHETIK

"Kaum eine andere philosophische Disziplin ruht auf so ungesicherten Voraussetzungen wie die Ästhetik."[34]

In dieser Aussage wird das Grundproblem des Ästhetik-Begriffes angedeutet: Es gibt keine allgemeingültige Definition. Zur Untersuchung des Begriffes werden an dieser Stelle zwei AutorInnen herangezogen, Wolfgang WELSCH und Gabriele KLEIN.

4.1.2 Ästhetisches Denken bei Wolfgang Welsch [35]

Landläufig meint man, etwas sei ästhetisch wenn es schön, hübsch, geschmackvoll und künstlerisch hochwertig ist. Das griechische Wort "aisthesis" bedeutet jedoch "Wahrnehmung, Empfindung, also einen noch nicht als "schön" oder "unschön" gewerteten Vorgang. Daraus abgeleitet müsste das Gegenteil, an-aisthesis, Nicht-Wahrnehmung bedeuten. In Urban & Schwarzenbergs Medizin-Lexikon finden sich um den Begriff "Anästhesie" Formulierungen wie "Unempfindlichkeit gegenüber (...) Reizen", "Narkose", "Ausfall der Berührungsempfindung" usw.

Anästhetisierte Welt?

Anästhetik ist eine Empfindungslosigkeit im Sinn eines Verlustes, einer Unterbindung der Sensibilität, die von der physischen Stumpfheit bis zur geistigen Blindheit reichen kann. Sie ist die Kehrseite der Ästhetik, aber keine Anti-Ästhetik, nichts Un-ästhetisches und nichts Nicht-Ästhetisches.

WELSCH macht deutlich, dass eine immense Anästhetisierungswelle über die Lande zieht und diskutiert den Sinn und Unsinn derselben. Ästhetik ist das Ziel, doch das Gegenteil passiert.

Er spricht von "Eintönigkeit", von "konsum-inszenatorischen Dekorationsbauten", die sich als "leer, zombiehaft und für ein verweilendes Anschauen unerträglich erweisen"[36].

Ästhetische Werte verkommen zu konsum-orientierten Animationswerten; "sie erzeugen leerlaufende Euphorie und einen Zustand trancehafter Unbetreffbarkeit."[37]

In der medialen Bilderwelt scheint er dies am drastischsten erkennen zu können. Die Menschen werden durch den technologischen Fortschritt auf Gebieten wie der Tele-Vision und Tele- Kommunikation zu bildervollen, aber fensterlosen Lebewesen.

Das Präfix "Tele-" macht es schon deutlich: Der Mensch "entfernt" sich zunehmend von der "eigentlichen, konkreten Wirklichkeit, die inzwischen zur uneigentlichen, sekundären, scheinhaft-farblosen Realität herabgesunken ist."[38]

Mitleid zum Beispiel wird zum "zeichenhaften Gefühl von Bildschirmpersonen", Ethik zum "telegenen Zitat" und Solidarität primär zum "gemeinsamen Benutzerverhalten einer televisionären Solidargemeinschaft."[39] Um Beispiele hierfür zu finden, reicht es völlig aus, einen Nachmittag lang die Talkshows und "Nachrichten"-Sendungen der Privaten durchzuzappen...

Ambivalenz

Doch bei aller Polemik bildet sich allmählich eine teuflische Formel heraus: "Je mehr Ästhetik, desto mehr Anästhetik."[40] Der Ästhetik scheint also zugleich das Phänomen der Anästhetik innezuwohnen. Dieser wendet er sich nun zu und fragt, ob sie nicht sogar als positiv zu verbuchen wäre; ihr "Universalitäts- und Verfügbarkeits-Vorteil"[41] ist immerhin immens.

Anästhetik als Lebensvorteil? WELSCH macht dies an einem weiteren Beispiel deutlich: die Loire-Schlösser. Da sie von der massentouristischen Zerstörung bedroht waren, entwickelte Jack Lang eine Videodisk, die eine umfassende Führungstournee und sämtliche Informationen über die Bauten enthielt - in bester Bild- und Tonqualität, für den Gebrauch im eigenen Wohnzimmer. Die Folgen einer solchen Anästhetik wären weitreichend: uneingeschränkter Genuss zu jeder Zeit, in jedem Outfit; zugleich vollkommene Verschonung der Orte und Gebäude; vor allem auch die Reduzierung der immensen Umweltbelastung durch den Verkehr und ein Beitrag zum Weltfrieden....

Somit bleibt im Raume stehen: "...dass wir heute auf verschiedenen Ebenen Übergänge von Ästhetisierung in Anästhetisierung antreffen; dass dabei keineswegs überall sicher ist, dass die positiven Aspekte einzig bei der Ästhetisierung, die negativen hingegen bei der Anästhetisierung liegen; und dass eine philosophische Ästhetik heute diesen Fragen sich stellen, dass sie Anästhetik zu einem zentralen Gegenstand ihrer Überlegungen machen muss."[42]

WELSCH gibt eine Reihe von Gründen für diese Behauptung an. Er bezieht sich dabei auf Erkenntnisse der Neurophysiologie und Wahrnehmungspsychologie.

Nicht-Wahrnehmung

"Wir sehen nicht, weil wir nicht blind sind, sondern wir sehen, weil wir für das meiste blind sind."[43] Etwas sichtbar zu machen heißt, im gleichen Akt etwas anderes unsichtbar zu machen. Wenn wir wahrnehmen, selektieren wir, ob wir wollen oder nicht. Das Problem ist nur: das Wahrnehmen des Aktes der Nicht-Wahrnehmung. Und: "Was innerhalb eines Sinnes gilt, trifft auch auf das Verhältnis zwischen den Sinnen zu."[44] Die Strukturen der Sinne unterscheiden sich grundlegend. Der bevorzugte Wahrnehmungstypus des Abendlandes ist das Sehen, die anderen werden vernachlässigt. Jenes "Betrachten" jedoch setzt "ganz und gar auf Distanz und Überschau - im Unterschied etwa zum Betroffen- und Involviertsein des Hörens"[45]. Hier tritt eine charakterliche Verbindung zur "chicen Coolness" der (An-)-Ästhetisierungswelle (s.o.) ans Tageslicht.

Sinnes- und Sinnwahrnehmung

Auch ist mit "Wahrnehmung" nicht nur bloße Sinneswahrnehmung gemeint. Welsch assoziiert Wörter wie "Gewahrwerden", "Für-Wahr-Nehmen", "Einsicht". Was beispielsweise in einem Stierkampf passiert, kann man sehen. "Aber dass darin der alte Kampf von Finsternis und Licht, Böse und Gut, Rohheit und Kultur, Gewalt und List sich wiederholt, (...) dessen muss man innewerden, das muss man wahrnehmen." Sein Wahrnehmungsbegriff ist umfassend, nachspürend, aufklärend. Nicht nur "Sinneswahrnehmung", sondern auch "Sinnwahrnehmung"; die "blinden Flecke" wieder zu sehenden machen.

4.1.1 Der Begriff der Tanzästhetik bei Gabriele Klein

Nach Gabriele KLEIN versteht sich Ästhetik im heutigen, wohl gebräuchlicheren Sinne, als eine Wissenschaft, die sich mit Kunst beschäftigt und in der Tanz als eine Körper-, Zeit- und Raumkunst ein vielversprechendes Forschungs- und Erkenntnisfeld zu sein scheint. "Tanz ist die Kunst des Augenblicks, Ausdruck des Dynamischen im Hier und Jetzt"[46]

Tanz macht das Verhältnis von Körper und Raum sinnlich erfahrbar. Räumliches wird im Tanz als Ineinandergreifen von materiellen und imaginären Räumen thematisiert, sowie in einem Dialog gezeigt, den ChoreographInnen mit den Mitteln der Gestaltung und TänzerInnen mit ihren Körpern mit dem (Bühnen-)raum führen.

Körper, Raum und Zeit sind nicht abstrakt, sondern kulturell und sozial konkret. "Die individuellen Stile von TänzerInnen und die choreographische Handschrift von Tanzensembles sind von daher nicht nur das Ergebnis tänzerischer Biographien, sondern immer auch Ausdruck einer Auseinandersetzung der TänzerInnen und ChoreographInnen mit dem jeweiligen kulturellen Raum, der sozialen Zeit sowie der Kulturgeschichte von Tanztechniken und -ästhetiken"[47].

Entsprechend ihres ständigen Dialogs mit Raum und Zeit lassen sich Körper nicht als statische, funktionale Größen denken. So wie Raum und Zeit historisch und sozial kodiert sind, sind Körper kulturell geprägt. Gabriele KLEIN spricht von einem Zusammenspiel kultureller Formen, gesellschaftlicher Prozesse und individueller Praxen, welche sich als verschiedene Sprachen des Tanzes mit dem ihnen eigenen Vokabular, ihren spezifischen Zeichen und ästhetischen Formen speisen. Der Weg zum Begreifen der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Tanz-Sprachen scheint ein mühseliger zu sein, da die kulturell, sozial und biographisch bedingte Vielfalt des Tanzes erahnen lässt, dass Tanz nicht universell und damit allen Menschen überall, wenn auch verschüttet, in gleicher Weise eigen ist. Tanz beschreibt vielmehr die ästhetischen Dimensionen in der Kommunikation zwischen Menschen in deren verschiedensten kulturellen Situationen. "Die hierdurch bedingte Pluralität von Tanzsprachen macht offensichtlich, dass man dem Tanz eher nahe kommt, wenn man von Heterogenität und Differenzen als von Homogenität und Einheitlichkeit ausgeht"[48]

Alexander Gottlieb BAUMGARTEN, der Namensgeber der Ästhetik, definiert diese als eine Wissenschaft vom sinnenhaften Erkennen. Für KLEIN kann nach diesem Verständnis Tanz als Medium eines bislang vernachlässigten, sinnenhaften Erkenntnisvermögens wirksam werden. Ästhetik im Sinne BAUMGARTENS dient der Erweiterung der Erkenntnis durch die Ausbildung des sinnenhaften Erkenntnisvermögens. Folglich ist Ästhetik nicht auf das Verstehen von Kunst, sondern auf den Erwerb von Wissen gerichtet. Ziel ist es, Erkenntnisprozesse fundamental zu verändern, sie ästhetisch um zu interpretieren. BAUMGARTEN kritisiert das traditionelle Erkenntnisideal und hält begriffliche Wahrheiten für abstrakt und reduziert. Die Wirklichkeit gestaltet sich vielmehr individuell. Dem traditionellen Ideal steht die Vorstellung BAUMGARTENS einer aesthetikologischen Wahrheit gegenüber, die auf einer ästhetisch geprägten und konkreten Erkenntnis beruht.

Die Theorie BAUMGARTENS ist in der KANTSCHEN "Revolution der Denkart" weitergeführt. Nach KANT erkennen wir die Erscheinungen der Dinge, das, was wir in sie hineinlegen und nicht die Dinge an sich. Ästhetik ist hier also auch eine Lehre von den Anschauungsformen und Wirklichkeitsauffassungen, weniger von der Kunst. Wahrheit und Wirklichkeit sind in der Wissenschaft genauso relativ wie in der Kunst: Wahrheit ist, was der Denkstil sagt. KLEIN stößt bei der Suche nach Fundamenten und Ursprüngen auf die Erkenntnis, dass unsere Fundamente kulturelle Artefakte sind. Sie sind sinnenhaft erzeugt, ästhetisch und hochgradig unterschiedlich. Es scheint daher unmöglich, das Ganze dieser Wirklichkeiten auf einen einheitlichen Begriff zu bringen. Es bleibe, so KLEIN, die Heterogenität der Wirklichkeiten und die Erkenntnis, sich diesen Differenzen zu stellen. "Das Ganze hingegen scheint sich nur noch mit ästhetischen Kategorien beschreiben zu lassen. Es ist vielfältig, beweglich, dynamisch, transitorisch - ein Tanz?"[49]

Aktuell ist für KLEIN ein ästhetischer Stil in vielen zeitgenössischen Choreographien nur mit Mühe auszumachen. Doch haben es einige ChoregraphInnen geschafft, die leiblichen Bewegungen in Raum und Zeit zu nützen und als Medium ästhetischen Erkennens zu verwenden. KLEIN nennt Pina BAUSCH, William FORSYTHE und Meg STUART als Beispiele, die mit unterschiedlichsten ästhetischen Mitteln arbeiten, welche Imaginationen hervorrufen, die - "jenseits von Schönheit und Ganzheit - auf mehreren Ebenen Vielfältigkeit, Differenz, Bruch, Grenzverletzungen und Grenzüberschreitungen thematisieren"[50].

Tanz sei weder das Andere der Vernunft, noch ist er eindimensional erklärbar. Er lässt sich nur unzureichend mit statischen, abstrakten Begrifflichkeiten fassen.

Tanz verstehen

Nach KLEIN ist Tanz weder eine natürliche noch eine universelle Sprache, sondern trägt eine Vielzahl heterogener Sprachen in sich, die nur begrenzt verständigungsfähig sind.

Die tänzerische Sprache ist uns fremd. Beispielsweise ist es oft so, dass nach einer Tanzaufführung die Botschaft des Tanzes oder die eine oder andere Bewegung oder Sequenz nicht verstanden wurde. Oder auch in tanzpädagogischen Situationen werden oft getanzte Improvisationsthemen nicht verstanden und müssen verbalisiert und reflektiert werden, um die Intention der Tänzerin und den tänzerischen Ausdruck stimmig zu machen. Beispiele, die zeigen, dass das Verstehen von Tanz häufig nicht mit dem Tanz, sondern im Diskurs über den Tanz erfolgt.

Ist Tanz wirklich eine andere Sprache?

Und wenn ja, wer kann diese Sprache verstehen?

"Ein Verstehen des Fremden, das über dessen Einordnung in die eigene Wahrnehmungswelt hinausgeht und versucht, Fremdartigkeit in dem dazugehörenden Kontext zu deuten, ist auch im Tanz eng an Wissen gebunden"[51]. Sollte also der Tanz tatsächlich eine eigene Sprache sein, bleibt diese weitgehend verschlüsselt.

Mary WIGMAN meinte, das Reden über Tanz habe mit dem Tanz selbst nichts zu tun. Die am Körper orientierte Tanzsprache scheint konkret dynamisch und mehrdeutig. Der Geist des Körpers dominiert nicht, sondern der Körper selbst spricht. Was der Körper sagt, ist allerdings, im Gegensatz zu Gesprochenem oder Geschriebenem, nicht objektivierbar. Tanz bleibt, verstanden als eine nonverbale Sprache, zwangsläufig der Ebene der subjektiven, körperlichen Erfahrung verhaftet. Diese Tanzerfahrung ist mittels Verbalsprache nur sehr bedingt verständigungsfähig und führt zu jenem Menschenbild des modernen Tanzes, welches im wesentlichen von einem einzelnen, autonomen Individuum ausgeht. "Und gerade auf der Folie dieses Menschenbildes kristallisiert sich eine weitere Frage heraus: die nach der Verständigungsmöglichkeit, der Kommunizierfähigkeit zwischen Menschen mit, im und über Tanz."[52]

Tanz zu verstehen oder auch nicht zu verstehen hat sozial ein- oder ausschließende Wirkungen. Es kommt zur Bildung von Tanzgemeinschaften, welche sich wie bei Menschengruppen aus jenen Leuten mit gleichem Sprachbesitz bilden. Zu den Tanzgemeinschaften gehören jene Menschen, welche die Sprache des Tanzes verstehen. Diejenigen, die Verständigungsschwierigkeiten haben, sind aus dieser Gemeinschaft ausgeschlossen. "Das Verstehen des Tanzes meint sowohl die Fähigkeit, mit Tanz etwas ausdrücken zu können als auch die Fähigkeit, den Ausdruck des Anderen zu verstehen"[53].

Eine weitere Ebene des Verstehens spielt sich zwischen tanzenden Menschen ab. Es kommt zu unterschiedlichsten Erfahrungen, wenn miteinander getanzt wird. Hier geht es wiederum um das Verstehen oder Nicht-Verstehen von Verständigungen zwischen Körpern, die nur annähernd erklärbar sind und deren Sprachstrukturen wir glauben, nicht analysieren zu dürfen oder zu können.

Innerhalb der Tanzgemeinschaften bilden sich soziale Hierarchien unter jenen, "die die Definitionsmacht haben über das, was Tanz ist, und denen, die diese Definitionsmacht akzeptieren. Und gerade diese Definitionsmacht im Tanz besitzt diese besondere Kraft des Normativen [...]"[54]

Die Sprachen des Tanzes müssen, falls sie verbalisiert und reflektiert werden wollen, übersetzt und decodiert werden. So gesehen sind sie Fremdsprachen und zugleich Fachsprachen des Körpers.

Es geht, wie Gabriele KLEIN verdeutlicht, im Verstehen von Tanz um die Art der Wahrnehmung der anderen Tanzkörper. "Hier ist ein ethnologischer Blick vonnöten, der es vermag, sowohl den eigenen Körper wie den Körper der Anderen mit einem fremden Blick, dem Blick des Anderen zu sehen."[55]

4.2. ZUR TANZÄSTHETIK AM BEGINN DES 20. JAHRHUNDERTS

Sabine HUSCHKA spricht vom Ruf nach Freiheit, mit welcher der Bühnentanz mit Beginn der letzten Jahrhundertwende die Schwelle zur Moderne überschreitet. Das gesellschaftliche Bild des Tanzes wurde geprägt vom klassischen Ballett.

Heute erscheint Vieles natürlich, was damals Empörung und Ärger in der allgemeinen Tanzszene auslöste. Um 1900 war es noch unvorstellbar, nackt zu tanzen, sich dem Rausch der Gefühle hinzugeben, selbst mit nur entblößten Füßen zu tanzen. Isadora DUNCAN - später als Mutter des modernen Tanzes stilisiert - tanzte, befreit von kulturellen Normen, die Nähe zur Natur des Körpers suchend. Das damalige Bürgertum zunächst entsetzt, dann durch die entliehenen Körperposen aus der Antike, welche DUNCAN zum Inhalt von ihren Stücken machte, von diesem Neuen Tanz begeistert.

Nach HUSCHKA artikuliert sich der ästhetische Aufbruch des Bühnentanzes im Körper und im Blick auf ihn. Angestrebt wird dabei eine Erweiterung der Bewegungsmöglichkeit, wie sie sich im Tanz wieder finden soll.

Der Körper kann weder eindeutig der Natur noch der Kultur zugeordnet werden. Diese Dualität wird in der Tanzkunst oft thematisiert.

Jedoch unterliegt die Freiheit des Modernen Tanzes immer einer eigenen Disziplin, einem Codierungssystem, theatralen Darstellungsgeboten, bewegungstechnischen und choreographischen Innovationen ästhetisierter Körpererscheinungen.

4.2.1 Der Moderne Tanz als Antithese zum Klassischen Ballett

Europa ist in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts von Kriegen und schweren sozialen und ökonomischen Krisen geprägt. Diese Sturmfluten an Veränderungen beeinflussen auch das Tanzgeschehen der damaligen Zeit. Sowohl der Gesellschaftstanz als auch der Bühnentanz erleben eine radikale Wende. "In den drei Jahrzehnten zwischen 1900 und 1930 vollzog sich in der Ideologie über Kultur, Körper und Weiblichkeit ein entscheidender Wandel."[56]

Es entstand auf Grund eines sich erneuernden Körperbewusstseins, die mit einer Gesundheitswelle einher ging, eine in dieser Form noch nie da gewesene Gymnastikbewegung. Verbunden mit den Begriffen Rhythmus, Körperschönheit und Gesundheit stand die Natürlichkeit des Lebens im Mittelpunkt.

Emile JAQUE-DALCROZE (1865 - 1950), Genfer Professor einer Musikschule, gründete eine Bildungsanstalt in Hellerau und legte durch sein System der Rhythmischen Gymnastik den Grundstein für die weitere Entwicklung des Ausdruckstanzes.

Eine vorerst nur für gehobene gesellschaftliche Schichten zugängliche Welle der neuen Körperkulturen hatte in Europa und Nordamerika Schule gemacht.

"Er [Emile JAQUE-DALCROZE] plädierte für eine organisch-rhythmische Tanzkunst, wie sie von Isadora DUNCAN erstmalig präsentiert worden war. Mit ihr teilte er auch seine an die griechische Antike angelehnte Ästhetikvorstellungen, wie auch die Auffassung einer eurhythmischen Menschenbildung, die er als Voraussetzung für eine freiheitlichere Gesellschaftsordnung begriff. Wie viele Lebensreformer träumte auch DALCROZE von einer sozialen Gemeinschaft harmonisch ausgeglichener Menschen, die im rhythmischen Erleben die Verbindung von Körper, Seele und Geist, die Nähe zur Natur und die Harmonie mit dem Kosmos wiederentdeckt hatten."[57]

Rhythmus bildete das neue Schlagwort für moderne Körperlichkeit, indem er als Befreier strenger bürgerlicher Konventionen gesehen wurde. Die neue Rhythmus- und Gymnastikbewegung setzte sich auch mit den Einflüssen der Technik- und Maschinenwelt auseinander, deren Auswirkungen das gesellschaftliche Leben prägte. "Die Körperkulturbewegung war keineswegs eine Randerscheinung des Jugendstils, sondern ihr zentraler Kern."[58]

"Diesseits und jenseits des Atlantiks ist der Moderne Tanz als tänzerische Gattung mit bestimmten Technikelementen und Ausprägungsformen, vielleicht auch mit seiner normativen Ausgrenzung [...] als eine Reaktion, in gewisser Weise zugleich als eine Bewegung des Protests zu sehen: Gegenüber den sinnentleerten, erstarrten Ausdrucksformen und Bewegungsmustern des Klassischen Balletts, gegenüber den gesellschaftlichen Zwängen, gegenüber den vorherrschenden bürgerlichen Werten [...]."[59]

Der Moderne Tanz gründete in den Idealen der Romantik, wo das Individuum gegenüber der Gesellschaft stärker betont wurde. Der Künstler - so beschreibt FLEISCHLE-BRAUN - könne seiner eigenen Eingebung folgen, dadurch Wahrheiten erkennen und letztendlich auch in seinen Werken zwischen Realität und Utopie vermitteln. BRANDSTETTER sieht in der "hervorgehobenen Bedeutung des Zufalls, der Improvisation und der Präsentation des Bewegungsbildes als eines ‚spontanen' Empfindungsausdruckes"[60] geradezu das spezifische Kriterium des Modernen Tanzes. Für sie verkörpert der Tanz "ein Grundmuster der Moderne", er wird gleichsam zum Symbol der Moderne und zum "Schlüsselmedium aller Künste, die das neue technische Zeitalter als eine durch Bewegung definierte Epoche zu reflektieren suchen".[61]

Der Bühnentanz mutiert regelrecht zur "Ikone der Moderne"[62].

Das neue Tanzgenre bedingt folgenreiche Veränderungen in der Wahrnehmung und Beurteilung von Tanzkunst, bei welcher die bislang geltenden ästhetischen Normen einer radikalen Neubewertung unterzogen werden. HUSCHKA spricht von einer Humanisierung der Tanzkunst. Gleichzeitig entstehen Kontroversen, die sich im Diskurs zwischen verschiedensten Tanzwissenschaftlern in der Frage nach der ästhetischen Legitimität neuer Tanzströmungen darstellten und stellen. Es werden die ästhetischen Kriterien Artifizierung bzw. Stilisierung im klassischen Tanz versus Primitivismus und Barbarentum im Ausdruckstanz und Humanität / Expressivität im Ausdruckstanz versus einem bloß vordergründigen optischen Design im Ballett voneinander abgegrenzt.

Beispielsweise nennt HUSCHKA den amerikanischen Tanzwissenschafter John MARTIN, welcher die expressiv-emotionale Dimension der körperlichen Bewegung zur ästhetischen Aufgabe der Tanzkunst erklärt und den Ballerinenkörper als Produkt einer unterdrückten Natur bewertet. Dementgegen sei es für den Tanzwissenschaftler KIRSTEIN gerade dies, was die Tanzkunst ausmacht. Ballettästhetiker betonen, dass Stile, welche beispielsweise durch Mary WIGMAN geprägt waren, dem Ideal des Balletts nicht entsprächen, ihnen fundamental eine technische Bewegungscodierung fehle und dass sich dadurch Wigmans Tanzstil jeglicher ästhetischer Legitimität entzöge.

4.2.2 PionierInnen

Der sogenannte freie Tanz steht am Anfang des modernen Tanzes in Europa. Amerikanische Solo-Tänzerinnen wie Loie FULLER, Isadora DUNCAN und Ruth ST. DENIS gelten als dessen Pionierinnen. Sie präsentieren eine aus dem Korsett entschlüpfte und barfüßige neue Tanz-Körper-Ästhetik gegenüber den abendländischen Traditionen und sozialen Normen. Vor allem der Ausdruckstanz (ab 1910) und Modern Dance (ab 1930) verkehren die ästhetischen Gesetzmäßigkeiten des klassischen Tanzes in ihr Gegenteil. Die angestrebte Schwerelosigkeit wird von der Masse und Schwere des Körpers abgelöst. ChoreographInnen nutzen diese zur Initiierung und Gestaltung von Bewegung und bewirken eine qualitative Erweiterung des tänzerischen Bewegungsvokabulars.

"Bislang als unästhetisch geltende Bewegungsqualitäten wie Schlagen, Stampfen, Stoßen und Hämmern finden sich integriert, choreographiert zu weiträumig sich entladenden oder in sich gedrungenen Körpergestalten, die groteske, wild-verschlungene und winkelig gebrochene Gliederformationen zeigen."[63] Individueller Ausdruck wird vom klassischen Bewegungskodex verdrängt. Man spricht für die Entwicklung und Ästhetik des modernen Tanzes von einer "konstitutiv gewonnen Freiheit"[64].

Es gab keine direkten Vorbilder für die PionierInnen des Modernen Tanzes. Sie entdeckten und erforschten vielmehr ihre eigene Ausdrucksfähigkeit und entwickelten dabei eigenständige Auffassungen und Konzepte für Tanz. FLEISCHLE-BRAUN nimmt an, dass direkt und indirekt alle ProtagonistInnen sowohl des American Modern Dance als auch des Ausdruckstanzes von den Gedanken, die Francois DELSARTE in seiner "Ausdruckslehre" formuliert hatte, beeinflusst wären.

DELSARTE (1811 - 1871) erkennt während seiner Ausbildung als Sänger und Schauspieler am Pariser Konservatorium die Verbindung von Stimme und Geste und gleichzeitig die Bedeutung von Bewegung. DELSARTES Theorie basiert auf der Erkenntnis, dass jede geistige Funktion sich auf eine entsprechende körperliche Funktion übertragen lässt. Seine drei Prinzipien des menschlichen Seins (Leben, Geist, Seele) sind die Grundlage für eine Ganzheitskonzeption seiner Bewegungslehre, die später ein wesentliches Fundament für den Modernen Tanz legt.

Im folgenden Abschnitt werden ästhetische Erneuerungen der Ausdruckstanzbewegung (ca. 1910 - 1935) beschrieben, welche den Ansatz der Körper-Geist-Seele-Einheit des Menschen als weltanschauliches Gegenprogramm zu Rationalismus und Technikorientierung der Gesellschaft verbreiteten.

Die tanzgeschichtlichen Kapitel werden auf den Ausdruckstanz und die Postmoderne reduziert, da die Protagonisten dieser Wolfgang STANGE und Alito ALESSI von diesen Strömungen beeinflusst wurden.

4.3. AUSDRUCKSTANZ

Definition

"Der Begriff Ausdruckstanz fasst unterschiedliche, oft sogar widersprüchliche Tanzkonzepte zusammen: Ihr Spektrum reicht vom expressionistischen Oh-Mensch-Pathos bis zum politischen Agitprop[65]."[66] Dieser Terminus bezeichnet also nach DAHMS weder ein einheitliches ideologisches oder tanzorientiertes System, noch eine klar definierte Technik oder Pädagogik. Der deutsche Ausdruckstanz erlebte seine Blüte als freier, nicht traditionell kodifizierter und ästhetisierter Tanz in den 1920 bis 1930er Jahren. Jedoch werden Strömungen, die sogar bis nach dem zweiten Weltkrieg aktiv waren auch noch zum Ausdruckstanz gezählt.

Entstehung

Die Ausdruckstanzbewegung entstand in einem sicherlich nicht zufälligen Zusammenhang mit anderen künstlerischen, sozialen und pädagogischen Reformbestrebungen der damaligen Zeit. Die sog. Jugendbewegten wandten sich gegen die entfremdenden und entmenschlichenden Auswirkungen der Industrialisierung und somit wuchs das Interesse am Körper und an der Bewegung, sogar an den sich in freier Natur bewegenden nackten Körper. Der Ausdruckstanz folgte, wie auch andere zeitgenössische Künste (z.B. Malerei), dem expressionistischen Impuls: "Kunst war nicht länger das, was allgemein für schön gehalten wurde, sondern das, was den Künstler innerlich bewegte; sein subjektives, als Realität verstandenes Erleben wurde zu einem wesentlichen Bestandteil der Motiviation und offenbarte sich im Kunstwerk selbst."[67]

Nach DAHMS ist die Geschichte des Ausdruckstanzes zunächst eine Geschichte von Einzelpersönlichkeiten, die der Erfahrung der Entfremdung auf unterschiedliche und individuelle Weise begegneten. Auf der Suche nach neuen Bewegungen, die alles andere als dem bisher konventionellen traditionellen Ballett entsprachen, folgten die ChoreographInnen der neuen Strömung und versuchten, inhaltliche Anleihen exotischer Kulturen in ihr Bewegungsvokabular mit ein zu beziehen. Dem Tanz wurden moralische, soziale und politische Verantwortlichkeiten zugeschrieben.

Der Ausdruckstanz ist als ein revolutionärer Gedanke gegen die herkömmliche Form des Bühnentanzes zu verstehen, bleibt aber zunächst in Verbindung mit den Einflüssen der Gymnastikbewegung um die Jahrhundertwende. Es galt, wie dies in der expressionistischen Kunst prinzipiell der Fall war, "permanente Spannungsverhältnisse zwischen Innen- und Außenwelt offenzulegen"[68].

Das Zentrum des Ausdruckstanzes liegt, im Gegensatz zum Ballett, nicht in einer formalen Aussage, die genaugenommen gar keine darstellt, sondern in einer inhaltlichen Auseinandersetzung. Das Getanzte oder Choreographierte erhob von nun an den Anspruch, eine inhaltliche Aussage zu vermitteln. Die amerikanische Strömung des befreienden Tanzes gab auch in Mitteleuropa den wesentlichen Impuls, einen eigenen Weg zu gehen.

Die Themen der neuen ChoreographInnen Isadora DUNCAN, Loie FULLER, Ruth ST. DENIS und dann auch Mary WIGMAN u.a. beruhten vorwiegend auf subjektiven Erfahrungen, und dem Bedürfnis, diese in die Außenwelt zu transformieren.

In den 1920er Jahren nahmen die AusdruckstänzerInnen unterschiedliche Haltungen zur Moderne und zu ihrer großstädtischen Lebensweise ein. Diese Einstellungen beschreibt HUSCHKA zwischen "einer Begeisterung für das berauschende Großstadtleben (Valeska GERT), einer mystischen Verklärung der Existenz (Mary WIGMAN), einer alternativ-ideologischen Kulturkritik (Rudolf von LABAN), einer konformistisch-unbeschwerten Haltung (Gret PALUCCA) bis hin zu linksliberalem Agitprop (Jean WEIDT) und sozialkritischen Reflexionen (Kurt JOOS)"[69].

Im folgenden Kapitel werden nun Rudolf von LABAN und seine Schülerin Mary WIGMAN näher dargestellt. Sie sollen den ästhetischen Aufbruch der Zeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umreißen.

4.3.1 Rudolf von Laban

Rudolf von LABAN ist in seiner pädagogischen, choreographischen und theoretischen Arbeit für den deutschen Ausdruckstanz von entscheidender Bedeutung. 1879 in Pressburg (Bratislava) geboren, absolvierte er sein Kunststudium in München, Paris und Wien. Als Tänzer wirkte er von 1910 bis 1919 bei Aufführungen mit und entwickelte seine Basis zum Laban-System. 1910 wird auch seine erste Schule und Tanzgruppe in München gegründet. In seinen weiteren Ausbildungsstätten wie beispielsweise seiner Sommerschule des Tanzes auf dem Monte Verità (1913 - 1915) und der Züricher Laban-Schule (1915 - 1918) werden Bewegungsstudien erstellt, die wie sein grundlegender Entwurf Die Welt ist ein Tänzer die "Wertigkeit und das Wesen der menschlichen Bewegung auf analytischem und philosophischem Weg grundlegend bestimmen"[70].

Von 1920 - 1950 verfasst LABAN ein theoretisches Werk zum modernen Tanz. Es enthält ein Konzept zur Tanzerziehung, eine Systematik der Bewegungsanalyse, eine Tanzschrift (Kinetografie), sowie ein grundlegendes Werk zur Choreographie. Seine pädagogischen Ambitionen zielen auf den Status des Tanzes als lehrbares Unterrichtsfach, denn tänzerische Bewegungen galten als wesenhafte Äußerung des Menschen schlechthin, LABAN erlangt durch seine 1923 gegründete erste Laban-Schule in Hamburg, dem dort angeschlossenen ersten Laien-Bewegungschor sowie der in Hamburg gegründeten Tanzbühne Laban großen Erfolg. Es entstehen in den folgenden Jahren etwa 24 Laban-Schulen in ganz Deutschland, ein choreographisches Institut in Würzburg und Berlin und eine Kammertanzbühne, die er zusammen mit Dussia BERESKA leitet. Somit entsteht ein Netz tänzerischer Aktivitäten, die sich mit den Schwerpunkten von Körperausbildung, Vermittlung der Laban'schen Tanzschrift und Bewegungschören optimal zusammenfügt. Durch die von ihm propagierte Förderung der Laientanzbewegung und Einflussnahme auf die Ausbildungssituation der Tänzer verbesserte sich in den dreißiger Jahren die Lage und gesellschaftliche Anerkennung der Tänzer.

Auf einer Vortragsreise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz stellte LABAN bereits 1929 unter dem Thema Probleme des Tanzes die Basis seines Tanzverständnisses dar. In Erläuterung seiner Prinzipien der Tanzpädagogik (Training für professionelle Tänzer), des Laientanz (Recreation), die Kunst des Tanzes (die praktische Erarbeitung von Tanzstücken) und führt somit einleitende Überlegungen für eine Tanzwissenschaft an. In dieser geht er folgenden Aspekten theoretisch nach: der Ethik und Ästhetik des neuen Tanzes sowie der Tanzerziehung und der Bewegungsartikulation und Notation im künstlerischen und pädagogischen Bereich.

LABAN strebte eine tiefgreifende Reform an, aus welcher der Tanz als eigene Kunstgattung hervorgehen sollte. Entgegen der ästhetischen Erwartung an damalig moderne ChoreographInnen und im Widerspruch zum Selbstverständnis vieler AusdruckstänzerInnen lehnt LABAN den klassischen Tanz trotz kritischer Bemerkungen keineswegs ab. Als Hintergrund für seine eigene Choreographieordnung nützt er die bewegungstechnisch wie räumlich strenge Systematik des Balletts.

Tanzverständnis

"LABANS Lebenswerk galt der Erforschung der menschlichen Bewegung, die als das konstitutive Element jeglicher Ausdrucksform und -kunst anzusehen ist."[71] Ausgangspunkt seiner Begrifflichkeit ist das Verständnis, dass die Perfektion einer Bewegung aus der Quelle eines inneren Bereiches kommt.

Durch die Befreiung von dogmatischen Regeln und durch seinen bewegungsanalytischen Ansatz gab er dem Mordernen Tanz die Freiheit, auf alle in der Natur des Körpers gegebenen Bewegungsmöglichkeiten zurückzugreifen. Nach LABANS Verständnis war Tanz immer ein experimenteller und kreativer Akt und es war ihm daher wichtig, in harmonischer und ausgeglichener Weise alle Ausdrucksmöglichkeiten des Individuums zu fördern. Die Erfahrung der physischen und psychischen Existenz des Körpers soll im Tanz eine Integration erfahren. Das zentrale Bemühen ist der Wechselbezug zwischen innerer Bewegtheit und Bewegungsausdruck, bezogen auf die natürliche Körpersprache des Menschen.

Er löste den Tanz aus seiner Abhängigkeit von der Musik. Neben diesem - auch von Mary WIGMAN vertretenen - sogenannten "absoluten Tanz" legte er vor allem in seinen späteren Choreographien Wert auf ein gleichgestelltes Verhältnis von Tanz und Musik. Tanz sollte den gleichen Stellenwert wie andere Künste bekommen und ebenso wie Musik über eine Schrift erfassbar und wiederholbar sein (Kinetografie). Sein Wissen über Architektur, Geometrie, Kristallogie und Mathematik flossen in sein System ein.

Seine Auffassung "Jeder Mensch ist ein Tänzer" widersprach den bislang gelebten Normen des klassischen Balletts und erweitert, vor allem im Laientanz, die Definition von Tanz.

LABANS Arbeit wurde von vielen SchülerInnen unterstützt und weiterentwickelt. Darunter waren, um nur einige zu nennen, Kurt JOOS, der spätere Leiter der Folkswangschule und Lehrer von Pina BAUSCH, Lotti HUBER, Valeska GERD, die spätere Tanztherapeutin Trudi SCHOOP und Irmgard BARTENIEFF mit ihrer fundamentalen Körperarbeit.

Das Schaffen Mary WIGMANS, Schülerin und langjährige Mitarbeiterin LABANS, soll im folgenden Kapitel näher beschrieben werden.

Die deutschen Tanzkritiker und Autoren BÖHME und BRANDENBURG (u.a.) sahen Mary WIGMAN, nachdem sie 1930 erstmals in den Vereinigten Staaten gastierte, als "Personifizierung der neuen Tanzästhetik"[72] an.

4.3.2 Mary Wigman

Die 1886 in Hannover geborene Mary WIGMAN geht genauso wie ihr Lehrer Rudolf von LABAN im Tanz von ihrem inneren Erlebtem aus. Sie wandelt somit das Bild des klassischen Tanzes und verändert die neue Bühnentanzästhetik radikal.

Am Anfang der Tanzästhetik Mary WIGMANS (zuvor Marie WIEGMAN) steht eine spezifische Erfahrung. Es scheint ihre Entdeckung vom Tanz zu sein, eine Szene des Erfahrenen und tanzend überwundenen Schmerzes. Diesem Erleben folgt eine Ausbildung bei Émile JAQUES-DALCROZE von 1910 bis 1912. Als sie LABANS Sommerakademie auf dem Monte Verità besucht, wird sie sehr stark von seiner Lehre beeinflusst.

Sie verabschiedet sich deutlich von ihrem bisherigen Tanzverständnis und widmet sich dem befreiten Tanz und scheint in zahlreichen Bewegungsstudien ihr einstmals gespürtes Glück im Tanz Ausdruck zu verleihen.

WIGMANS Tanz wird charakterisiert durch innere Erlebnisse und Schmerzerfahrungen. Diese bilden ihre Motivation, bestehende Normen auf zu lösen und führen sie zu intuitiven Bewegungen.

1920 gründet Mary WIGMAN ihre Schule des Freien Tanzes in Dresden, aus der u. a. Gret PALUCCA und Harald KREUTZBERG hervorgehen. Ihrer Pädagogik liegt ihre künstlerische Lebensphilosophie der Tanzkunst in Demut und mit Opferbereitschaft zu Grunde und durchzieht thematisch und motivisch WIGMANS gesamte choreographische Arbeit. Sie fordert, "das innerlich Erfühlte, das innerlich Erschaute sichtbar zu machen, das private Ich-Erleben des Gestaltens durch die tänzerische Form zu läutern, zu entpersönlichen"[73]. Bis zur Gründung ihrer Tanzgruppe 1923 choreographiert WIGMAN solistisch und setzt sich radikal vom klassischen Tanz ab.

Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht das tiefere Empfinden, die Körper-Seele-Einheit im Tanz. Diese in eine Sprache zu formen, visioniert WIGMAN als Ziel ihrer Ästhetik. HUSCHKA beschreibt neben Wigmans Hexentanz, einen ihrer ersten Solotänze, der 1914 in München uraufgeführt wurde, auch die 1917 in Zürich aufgeführten Gespenstertänze und dem im gleichen Jahr aufgeführten Zyklus Ekstatische Tänze (u.a. Der Derwisch). WIGMAN zeige hier ihr Interesse an existenziellen Themen und deren religiös-mystischem Kern. Für die Ballettästhetik zeigt sich ein völlig undenkbarer, expressiver Tanzstil, der sich in "dynamischen Bewegungsgestus und perkussiv bizarren Formen"[74] äußert.

WIGMAN spricht mit ihren Stücken hauptsächlich ein Publikum der bürgerlichen Mittelschicht an. "Deren Presse zeigt sich angesichts der dramatischen Gruppentänze über Leben und Tod [...] begeistert und schwärmt von den ‚tänzerischen Körperbewegungen, [die sich] ohne Rücksicht auf den Anblick' darböten."[75]

Das Bewegungsmotiv des Drehens und Kreisens scheint ein wesentliches Element WIGMANS zu sein. Im Wechsel zu getragenen, perkussiven Bewegungen, in welchen sich die Wucht des Körpers und seine ungehemmten Dynamik und Energie präsentiert, nimmt das Drehen den Platz der Musik ein. Nach HUSCHKA ist dem Drehen ein ekstatisches Erfahrungsmoment zu eigen, das WIGMAN anstelle der Musik als inspirierende Quelle ihres Tanzes nimmt. Jene Impressionen, die den Körper mit Gefühlen und Erregungszuständen füllen sollen, werden nicht von der Musik initiiert, sondern sollen von der Bewegung des Körpers selbst zu Gefühlszuständen erzeugt werden.

Dem Körpererlebnis, das WIGMAN als Quelle der Gestaltung von Tänzen voraussetzt, wird eine entsprechende Form gegeben, um die Kommunizierbarkeit ihrer Tänze zu gewährleisten. HUSCHKA spricht vom Widerspruch zwischen dem reinen Erleben als absolutes Körpergefühl und seiner Darstellbarkeit, denn ihr eigener Eindruck falle, vom Körper selbst ausgelöst, mit diesem in eins.

WIGMAN besitzt als Vertreterin des absoluten Tanzes ein Menschenbild, das jedem Individuum die Fähigkeit zur TänzerIn einräumt. In der natürlichen Körperbewegung sah WIGMAN die Verbindung zwischen körperlicher Bewegung und Tanz : "Gewiss, die körperliche Bewegung an sich ist noch nicht Tanz. Aber sie ist seine Elementare und unumstößliche Grundlage, ohne die es den Tanz gar nicht gäbe [...]. Denn verständlich wird der Tanz nur dort, wo er die Sinnbeziehung zum natürlichen Bewegungsausdruck des Menschen respektiert und bewahrt."[76]

4.3.3 Gertrud Bodenwieser[77]

Das Oeuvre der 1890 in Wien geborenen Gertrud BONI, die sich später BODENWIESER nennt, ist typisch für die Bewegung des Ausdruckstanzes. Das Wirken der Choreographin fügt sich einerseits in die Gesamtbewegung ein, trägt jedoch andererseits ihre unverwechselbaren Züge. Im Unterschied zu anderen VertreterInnen des Ausdruckstanzes schöpft BODENWIESER weniger aus der Intuition, sondern mehr aus dem Intellekt. Dies ist nicht zuletzt auf ihre Bildung und einer Geisteshaltung, die für eine Tochter des damaligen jüdischen Großbürgertums bezeichnend ist, zurückzuführen. Als ihre Vorbilder nennt BODENWIESER Erneuerer des Tanzes, wie Francois DELSARTE, Émile JAQUES-DALCROZE und Rudolf von LABAN, obwohl bis heute nicht bekannt ist, bei wem sie gelernt hat. Als einzigen Lehrer nennt BODENWIESER den Ballettlehrer Carl GODLEWSKI.

Sie arbeitet bewusst mit den Mitteln der theatralischen Wirkung. Nicht nur deswegen zieht sie, früher als die meisten anderen VertreterInnen des Ausdruckstanzes, das klassische Ballett in ihr tänzerisches Ausbildungsangebot mit ein.

Im Wien der Jahrhundertwende verfolgt BODENWIESER die Gastspiele der amerikanischen Tänzerinnen des modernen Tanzes Loie FULLER, Isadora DUNCAN, Maud ALLAN und Ruth ST. DENIS. Sie geben den noch zögerlichen MitteleuropäerInnen den wesentlichen Impuls, einen eigenen Weg zu gehen und helfen den neuen Tanz als Kunstform zu etablieren.

Während des ersten Weltkrieges herrscht eine Phase des Beobachtens, der später die Phase des Losbrechens folgt. Diese scheint bei BODENWIESER moderater zu sein, als bei anderen. Sie bekennt sich klar zur damaligen Strömung der Epoche, dem Expressionismus. Ihr erstes Debüt als Solotänzerin im Wiener Konzerthaus beschreibt A. Török wie folgt:

"[...]neu, bedingungslos neu war alles, was uns die Künstlerin bot. Wir sahen hier erstmalig dasjenige im Tanze zur Geltung kommen, was der Malerei, der Dichtkunst und der Musik der Jungen schon seit einiger Zeit eigen ist: die bedingungslose Abkehr von allem Überlieferten und das ehrliche Suchen nach neuen, rein persönlichen Ausdruckswerten [...]"[78].

BODENWIESER vermeidet alles, was sonst zum Inventar einer Tänzerin gehört: schrittgemäßer Aufbau, die illustrierende Pantomime, die historischen Hilfen und Anknüpfungspunkte in Bewegung und Kostüm. Ihr Grundsatz ist : alles in den Dienst des persönlichen Ausdrucks zu stellen und sich von jeder Konvention und Tradition zu befreien.

BODENWIESER ist offen für andere Künste. So geben ihr die bildenden Künstler den entscheidenden Anstoß, sich selbst zu erproben.

Nach weiteren Solotänzen experimentiert sie auch mit Partnern wie Ernst Walt (in den frühen zwanziger Jahren) und Curt Hagen (in den späteren zwanziger) mit der Form des Tanzduos. Besonders während der Entstehungsphase ihrer Tanzgruppe 1922 beschäftigt sich Gertrud Bodenwieser eingehender mit pädagogischen Fragen zur Tanzausbildung.

Bald wird ihr die Notwendigkeit des klassischen Balletts als funktionales Mittel in einer Tanzausbildung bewusst. Sie führt 1921 das Fach Künstlerischer Tanz an der Wiener Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst ein und versucht, eine breit gefächerte Ausbildung zu etablieren. Einige Jahre später führt sie beim Essener Tänzerkongress (1928) einen Diskurs über die Aufnahme des klassischen Balletts in das Unterrichtsangebot an modernen Schulen, bei dem sie einerseits in Mary WIGMAN ihre prominenteste Gegnerin und in Kurt JOOS einen wichtigen Befürworter findet.

BODENWIESER selbst geht dem Grundsatz der breitgefächerten Ausbildung nach und vertieft ihre Studien bei Rudolf von LABAN. Aus den Schülerinnen der Staatsakademie und der von ihr eigens gegründeten Schule, die den offiziellen Laban-Tanzschulen zugerechnet wurde, erwuchs die Tanzgruppe Bodenwieser, die 1923 erstmals auftritt und bis zu ihrem Tode besteht. Zu ihren Schülerinnen gehören Gertrud KRAUS, Grete GROß, Hilde HOLGER, Gisa GEERT und Lisl RINALDINI.

Typisch für die Zeit ist auch die Funktion der Meisterin, selbst wenn BODENWIESER den Versuch macht, sich in die Gruppe einzugliedern. Typisch ist auch, dass die Gruppe ausschließlich aus weiblichen Mitgliedern besteht. BODENWIESERS Bestreben ist es anscheinend auch, gutaussehende Mädchen in der Gruppe zu haben.

Vom Zeitgeist geprägt beginnt sich BODENWIESERS Fokus zu verändern. Die Verbindung von Tanz mit Dichtkunst und Musik gewinnt immer mehr an Bedeutung, bis schließlich das Tanzdrama das erklärte Ziel ihres Schaffens wird.

1924 bringt die Künstlerin ihre vierteilige Tanzfolge Gewalten des Lebens heraus, deren zweiter Teil, Dämon Maschine, zu ihren wesentlichen Kreationen zählt. Noch einige Male beschäftigt sich BODENWIESER mit der Thematik der Mechanisierung des menschlichen Lebens. Auch durch ihre enge Beziehung zum Sprechtheater, unterscheidet sie sich von vielen VertreterInnen des Ausdruckstanzes. Vom vieldeutigen Symbolgehalt mittelalterlicher und religiöser Stoffe ausgehend, gelingt es BODENWIESER, in die Handlung ihrer Tanzdramen die Atmosphäre des aktuellen politischen Geschehens miteinzuweben.

Zu ihren heimischen Erfolgen kommen internationale. Neben Tourneen nach Florenz, London, Moskau und Japan gründet sich sogar eine zweite Bodenwieser-Tanzgruppe in New York.

Ein Neuanfang kommt für Gertrud BODENWIESER, als sie durch den Einmarsch der deutschen Truppen in Österreich ihre Heimat verlassen muss und in ihrem neuen Zuhause Australien zwei Kulturen verknüpft.

Neben Gertrud BODENWIESER wird auch ihre Schülerin Hilde HOLGER Opfer des Nationalsozialismus. Im folgenden Kapitel soll das Schaffen von Hilde HOLGER, spätere Lehrerin und prägendes Vorbild Wolfgang STANGES, kurz beschrieben werden.

4.3.4 Hilde Holger

1905 in Wien geboren, nimmt Hilde HOLGER bereits früh an Tanzklassen teil. Mit 14 Jahren wird sie an der von Gertrud BODENWIESER geleiteten Tanzfakultät an der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien angenommen. Beeinflusst vom Expressionismus erlebt der Tanz eine eigene Phase, den Ausdruckstanz. Der Bruch mit der Ästhetik der Danse d'école ist die zwingende Antwort auf das Endstadium der Ballettklassik in der Spätromantik. Als eine Schülerin von BODENWIESER, die zu Verehrerinnen von Isadora DUNCAN zählte, genießt Hilde HOLGER eine Ausbildung, die von Körperfreiheit, freiem Ausdruck und neuem Körperkult geprägt wird. Die Musik, Malerei, Literatur und Bildhauerei - die Offenheit der Künste gegenüber - ist wesentlicher Bestandteil des Unterrichts bei Gertrud BODENWIESER. Hilde HOLGER ist ab 1921 nicht nur Assistentin BODENWIESERS, sie tanzt auch in ihrer Tanzgruppe.

1926 entscheidet sie sich, ihren eigenen Weg zu gehen und eröffnet in Wien ihre erste Tanzschule, welche sie Neue Schule für Bewegungskunst nennt. Sie gründet ihre eigenen Tanzgruppen: die Hilde Holger Tanzgruppe und eine Kindertanzgruppe. Den SchülerInnen wird eine Allgemeinbildung geboten, die vor allem bei den Kindern auf Unterstützung der eigenen Kreativität und des eigenen Ausdrucks zielt. Diesen künstlerisch-pädagogischen Ansatz vertritt Hilde HOLGER während ihrer gesamten Lehrtätigkeit. Ihre Schule entwickelt sich mehr und mehr zu einem Zentrum des modernen Tanzes in Wien.

Als Jüdin ist sie 1939 gezwungen, auszuwandern. Sie verliert ihre gesamte Familie in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten. Bombay wird ihre neue Heimat. Dort öffnet sich für Hilde HOLGER eine eindrucksvolle Welt der Bewegungen, die sie an Menschen beobachtet und auch in künstlerischen Bereichen findet.

Ihr Anliegen gilt der Unterstützung und Förderung der natürlichen Bewegungsgabe der InderInnen und die Entwicklung des eigenen Ausdrucks ist nach wie vor Grundprinzip ihrer pädagogisch-künstlerischen Arbeit. 1940 heiratet Hilde HOLGER Adi BOMAN-BEHRAM, einen indischen Arzt, der ihre Arbeit sehr unterstützt und ihre Aufführungen organisiert.

Eindrücke von der Natur, der phantastischen Landschaft und der Kultur Indiens tauchen in späteren Jahren in ihren Choreographien wieder auf.

Aufgrund der politischen Unruhen und Glaubenskämpfe zieht Hilde HOLGER mit ihrem Mann und ihrer Tochter Primavera 1948 nach London. Sie gibt dort Tanzkurse und unterrichtet in Schulen.

1949 wird ihr Sohn Darius geboren. Er weist eine geistige Behinderung auf. Hilde HOLGERS Bewegungsstudien mit ihrem Sohn führen zu ihrer pädagogischen Weiterentwicklung und einflussreichen Arbeit mit Menschen mit Behinderung.

"Man riet mir, Darius in ein Heim zu geben, doch ich behielt ihn zu Hause. Er ist ein liebenswürdiger Junge mit großem Sinn für Humor, Musik und Tanz. Er zeigte mir den Weg, Behinderte mit in die Tanzarbeit einzubeziehen, und er öffnete mir neue Möglichkeiten, wie Musik und Bewegung behinderte Jungen und Mädchen erreichen und beeinflussen können. Damals vertrat man noch die Ansicht, dass man mit Behinderten nichts machen kann, und die Heime waren nur Aufbewahrungsorte."[79]

Ihre erste große choreographische Arbeit in diesem Bereich, Towards the Light, gilt heute als wegbereitender Beitrag für die Tanztherapie Englands.

Zahlreiche Aufführungen folgen. Ihr Interesse gilt innovativen Ausdrucksformen und Inhalten.

Am wichtigsten bleibt für sie die Integrität der Kunst, die Kunst als Lebensphilosophie und ihre Vermittlung durch den Unterricht. Die Individualität und den starken schöpferischen Sinn zu wecken, den kreativen Tanz für alle zu öffnen und den persönlichen Ausdruck im Tanz zu finden, dies waren bis zuletzt Grundprinzipien von Hilde HOLGER, die in London im Alter von 96 Jahren zweimal wöchentlich ihre Tanzklassen gab. "Ich glaube unerhört an die Kraft des Tanzes, der Tanz erfüllt den ganzen Menschen."[80] Im September 2001 stirbt Hilde Holger 98-jährig in London.

Wolfgang STANGE über Hilde HOLGER : "Ich bin in meiner choreographischen Arbeit von Madam beeinflusst und besonders in meiner Arbeit mit den Behinderten. Das sind ja noch viel größere Individualisten als die sogenannten normalen Leute, da muss man noch viel einfühlsamer sein. Und da ist so viel Reinheit, so etwas Schönes, das man entwickeln kann. Dass ich das alles heute kann, habe ich Madam zu verdanken."[81]

Für STANGE hatte Hilde HOLGER einen unglaublichen Sinn für Freiheit. Sie bestand darauf, die Kunst dafür zu verwenden, den Charakter zu bilden.

4.3.5 Tanztheater

Im Tanztheater hat in den siebziger Jahren eine vorwiegend thematische Veränderung stattgefunden. Gesellschaftlich-politische Themen standen im Mittelpunkt. Bewegungen kamen zwar wieder aus dem Inneren, nahmen jedoch verstärkt Bezug zum Individuum in der Gesellschaft. "Mit der Umkehr zur Innenschau traten gleichzeitig Frauen als Choreographinnen hervor, die bis heute wesentlich die Entwicklung des deutschen Tanztheaters bestimmten."[82] Die neuen tanzschaffenden Künstlerinnen, wie beispielsweise Pina BAUSCH, befassten sich, ebenso wie ihre VorgängerInnen, die den Ausdruckstanz in die Welt riefen, mit subjektiven Darstellungen. Der kosmische Bezug zum Tanz verlor allerdings an Bedeutung, dafür versuchte man in unglaublicher Direktheit die reale, menschliche Existenz darzustellen. Mit diesem Entwicklungsschub verabschiedeten sich die neuen Tanztheaterschaffenden von dem in der Nachkriegszeit vorherrschenden Motto: Dance is motion - not emotion. Betroffenheit im Publikum zu schaffen, die ZuschauerInnen auf zu wecken, aus ihrem über jahrelangen, bürgerlichen Tiefschlaf aufzurütteln, mit körperlichen Grenzgängen Emotionen aus zu lösen und vielleicht auch die Menschen zu schockieren, das waren neu definierte Zielsetzungen eines zeitgenössischen Tanztheaters.

"Mit dem Realismus, der in das Tanztheater einkehrte, mit dem unerbitterlichen Aufzeigen körperlicher Grenzen und verinnerlichter Konventionen, scheint ein Endpunkt der Zivilsationsgeschichte des Körpers und des Tanzes erreicht zu sein: der Tanz wird auf sein unmittelbarstes Medium zurückgeführt. Der Körper in einem langfristigen Zivilsationsprozess zum Schweigen gebracht, erhält wieder eine Sprache. Aber das Tanztheater zeichnet ebenso wenig den zivilisationsgeschichtlichen Endpunkt wie es eine Modeerscheinung ist."[83]

4.4. POSTMODERNE

Eine neue Perspektive des modernen Tanzes eröffnete sich nach 1945 in Europa und in den Vereinigten Staaten. Es entwickelten sich neue tanztechnische Prinzipien, die ständig verfeinert und modifiziert wurden. Eine Pionierin dieser Entwicklung war Martha GRAHAM, und in den späteren Jahren Merce CUNNINGHAM und Alwin NIKOLAIS. Diese lehrten in Nordamerika, und ihre persönlichen Stilrichtungen und Bewegungsvariationen werden bis heute in fast unveränderter Form unterrichtet.

Merce CUNNINGHAM und auch Alwin NIKOLAIS werden zu den führenden Choreographen und Theoretikern des Modern Dance der kommenden Jahrzehnte. "CUNNINGHAMS Tanzverständnis stützt sich allein auf Gegebenheiten und das Offensichtliche seines Phänomens, nämlich Bewegungen möglichst zahlreich und different zu formen. Dabei wird die Körperbewegung sachlich und konstruktiv aufgefasst und verbindet sich mit dem ästhetischen Ziel, das Gegebene in immer neue Formen umzuwandeln und neue Bewegungsarten zu zeigen. [...] CUNNINGHAMS Ästhetik war angesichts einer konstatierten inneren Leere nicht integrierbar."[84] Alwin NIKOLAIS misst dem individuellen Körper kaum Bedeutung zu. Körperformen, visuelle und skulpturelle Aspekte stehen im Mittelpunkt seiner Stücke, in welchen Individualität beinahe keine Rolle spielt.

Merce CUNNINGHAM und Alwin NIKOLAIS sind zwar tanzgeschichtlich und ästhetisch von großer Bedeutung, werden jedoch für diese Arbeit ausgeklammert, da sie in Bezug auf die Protagonisten nicht relevant erscheinen.

In den sechziger Jahren wird eine New Yorker Kirche, die Judson Memorial Church in Greenwich Village, zum Zentrum einer experimentierfreudigen Gruppe von TänzerInnen (siehe Kapitel 4.4.1). Diese postmoderne Strömung ist im Gegensatz zu anderen in der Literatur, Architektur oder Theater eine amerikanische Erscheinung geblieben, mit einer zeitlichen Hochphase in den sechziger und siebziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts. Sabine HUSCHKA stellt die Frage nach dem Postmodernen - Verständnis. Zahlreiche KritikerInnen versuchen, den Begriff zu deuten und Kriterien aufzustellen. Angesichts der jedoch stilistischen Heterogenität des postmodern dance mit unterschiedlichen ChoreographInnen, deren Stücke höchst unterschiedliche Themen aufweisen und bei denen man weder von einem gemeinsam ästhetischen Ziel, noch ähnlichen Strukturen sprechen kann, wird es im amerikanischen Diskurs immer umstrittener, die Zeit post modern zu nennen.

Die ChoreographInnen lösen sich aus den tradierten musikalischen Strukturen. Dies ist für HUSCHKA ein gemeinsamer Nenner, auf den sich die ChoreographInnen dieser Strömung Trisha BROWN, Lucinda CHILDS, Douglas DUNN, Judith DUNN, David GORDON, Simone FORTI, Deborah HAY, Kenneth KING, Meredith MONK, Steve PAXTON, Elaine SUMMERS, Jennifer TIPTON und Yvonne RAINER bringen lassen. Der postmodern dance bringt die Aufführungskunst in die Nähe zur alltäglichen Bewegungsaktion und Körperäußerung, wodurch sich die zentralen ästhetischen Zielsetzungen des bisherigen Bühnentanzes als veraltet darstellen: "Körpertechnische Virtuosität von homogen gestalteten Körpern, ihre anmutig-schöne Repräsentanz, Synchronität von Bewegungsabläufen, ein energetisch internationaler Bewegungsgestus zur dramatischen Steigerung und visuellen Fokussierung der Abläufe, eine herrschaftliche Haltung Körper und Raum gegenüber."[85]

Es ginge vielmehr um die Irritation des zuschauenden Blicks, um eine Verringerung der visuellen Dominanz des Tanzkörpers. Der postmodern dance tritt dabei als performative Kunst in Erscheinung und versucht, die Kunst mit dem Leben zu verbinden.

Die ChoreographInnen verstehen ihre Tanzkunst nicht mehr als Ausdruckskunst, als expressive Vermittlung eines narrativen Stoffes. Sie wollen keine Geschichten erzählen, wie es häufig im Modern Dance der dreißiger und vierziger Jahre der Fall war. Tänzerische Bewegung war da "zum bloßen Bedeutungsträger reduziert worden"[86]. Im post modern dance gelte, die Schönheit des bloßen, physischen Bewegungsvorgangs zu vermitteln. "Bewegung habe nicht zu bedeuten sondern zu sein, als sich selbst genügende Wirklichkeit"[87]. Folglich kommt hier dem Tänzer / der Tänzerin eine neue Bedeutung zu. Er / Sie kann nicht mehr als eine Person, als aus einem Erfahrungszusammenhang heraus motiviertes Subjekt gesehen werden, denn diese hätte eine von subjektiven Erlebnissen gefärbte, erzählende Bewegungsdramatik zur Folge. Vielmehr ist der/die TänzerIn TrägerIn eines objektiven, d.h. reinen Bewegungsgeschehens. Es vollzieht sich also der Wandel des Körpers im Tanz vom Subjekt zum Objekt.

Dieser Vorgang vollzieht sich bereits im Modern Dance beispielsweise bei CUNNINGHAM und NIKOLAIS. Der Unterschied zu CUNNINGHAM, der in vielerlei Hinsicht als Vater des postmodern dance gilt, liegt in einer grundsätzlich anderen, da entspannteren Haltung zum Körper.

Eine Konzentration auf den depersonalisierten Bewegungsvorgang führt in der Zeit des postmodern dance bei vielen zu Experimenten, um das Phänomen Bewegung in seiner Vielfältigkeit zu entdecken. Eine Loslösung vom expressiven Vokabular ihrer VorgängerInnen scheint durch eine Neuorientierung an tänzerisch nicht geschultem Bewegungsverhalten erreicht zu werden. Außerhalb des Tanzstudios wird nach neuen Ausgangspunkten gesucht, die wie gesagt im Alltagskontext stattfinden. Deren konkrete Inhalte werden allerdings abstrahiert. "Der von choreographischen bzw. gestalterischen Gesichtspunkten bestimmten Bewegungslogik wird als Ideal die spontane, "motorische Logik" gegenübergestellt und Tanz-Happenings werden zur Demonstration von kinetischen Ereignissen, wobei Zufälligkeit und Ziellosigkeit des Geschehens im Vordergrund stehen."[88] Es werden Experimente unternommen, um Bewegungsvorgänge qualitativ zu testen.

STÜBER berichtet von einer Aufführung, in der Steve PAXTON beispielsweise auf einem Stuhl sitzend, scheinbar bewegungslos verharrt. Eine auf ihn gerichtete Kamera projiziert die zahlreichen kleinen Regungen seines Gesichts auf einen Bildschirm. Somit wird deutlich, dass einer scheinbaren Regungslosigkeit ein lebhaftes Bewegungsgeschehen innewohnen kann.

PAXTON entwickelt später sogar eine Choreographie für Gesichtsmuskulatur. Ein solches Experiment soll zeigen, dass Tanz eine Bewegungskunst ist, und dass selbst die kleinsten Bewegungen als zum Tanz gehörend betrachtet werden sollen. Andere ChoreographInnen, so beschreibt STÜBER, ließen im Zeitlupentempo (Slow-motion) Bewegungsveränderungen durchführen und beabsichtigten so eine qualitativ andere Erfahrung von Raum und Zeit zu ermöglichen. Für STÜBER geschieht in diesen Experimenten eine Monumentalisierung des Augenblickhaften, in gewisser Weise werde auch eine hypnotische Wirkung erzielt, die den Betrachter / die Betrachterin zwinge, sich den Momenten eines Bewegungsgeschehens zu widmen. Er zitiert Eric HAWKINS : "...Tanz geschieht jetzt - auf der Bühne, Augenblick für Augenblick, ... Er ist konkret, ... reine Fakten ... Es gibt nicht zu kommunizieren, keine Symbole. Bewegung ist nicht das Thema; Bewegung ist einfach ... jeden Teil des Körpers lässt sie um seiner selbst willen existieren[89].

Das Judson Dance Theater gilt als Wegbereiter für viele der ChoreographInnen dieser Strömung.

4.4.1 Das Judson Dance Theater

In der amerikanischen Tanzgeschichte des 20. Jahrhunderts genießt das Judson Dance Theater, deren Aufführungen die Judson Memorial Church am Washington Square in New York stattfanden, einen legendären Status. Der Kirchenraum wurde bereits 1948 für Ausstellungen, Konzerte und Theaterstücke verwendet und gehörte einer zuvor aktiven Gemeinde der Vereinigten Kirche der Christen und der amerikanischen Baptistenkirche an. Als lose Gruppierung aus jungen TänzerInnen, ChoreographInnen, MusikerInnen, KomponistInnen und bildenden KünstlerInnen zeigten ihre als concerts benannten Aufführungen "genreübergreifende Arbeiten, die konsequent dem demokratischen Gedanken folgten"[90]. Zu den KünstlerInnen der damaligen Gruppe zählten u.a. Judith DUNN, Robert E. DUNN, Ruth EMERSON, Deborah HAY, David GORDON, Steve PAXTON, Rudy PEREZ, Yvonne RAINER, Elaine SUMMERS und Jennifer TIPTON.

In der Zeit vom Juli 1962 bis Oktober 1964 wurden über 200 Tänze produziert. Robert E. DUNN leitete über zwei Jahre die wöchentlich stattfindenden Workshops, die von seiner Frau Judith DUNN assistiert wurden. Der Musiker und Pianist DUNN stellte als Initiator Fragen und offene Aufgaben wie beispielsweise einen five-minute-dance in einer halben Stunde zu tanzen.

Er war maßgeblich von John CAGE beeinflusst, dessen Kompositionstechniken als zentrale Ideengeber DUNNS gelten. Als Grundlage einer normgelösten choreographischen Praxis waren die vier Ebenen von Musik, wie sie auch bei CAGE sind : Struktur, Methode, Material und Form. Diese ermöglichten im Sinne von strukturierten Tanzimprovisationen einen freieren Umgang in Fragen der Anordnung von Bewegungsphrasen, Motiven, Gesten u.a. "Evident wurden Fragen zur Ordnung von Bewegungsabläufen, den Techniken ihrer Strukturierung und zu ihrer theatralischen Gewichtung."[91] Kompositionsansätze des Modern Dance, wie jenes von Doris HUMPHREY, basierend auf Phrasen und ihren räumlich und zeitlichen Rahmungen, wurden nun durch "aleatorische, mathematische, spielerische oder aus anderen Zusammenhängen ermittelte Anordnungen ersetzt"[92]. Den Workshops gehörten u.a. Simone (Forti) MORRIS, Steve PAXTON, Yvonne RAINER, Trisha BROWN, Ruth EMERSON, Alex HAY, Deborah HAY, Fred HERKO, Dick LEVINE und Elaine SUMMERS an. Nach deren Beendigung 1964 ging die immer schon lose Gruppe auseinander. Es folgten Konzerte in der Judson Church von Meredith MONK, Kenneth KING, Phoebe NEVILLE, James WARING und seiner Company sowie Aileen PASSLOFF.

4.4.2 Steve Paxton

Als Begründer der Kontaktimprovisation gehört der 1939 geborene Steve PAXTON zu den zentralen Initiatoren und intellektuellen Mitgliedern des Judson Dance Theaters. Er beginnt 1958 seine Tanzausbildung am Conneticut College und studiert später bei Jose LIMON, Merce CUNNINGHAM, Martha GRAHAM und Doris HUMPHREY Moderner Tanz.

Die hierarchischen Strukturen der Kompanien betrachtet PAXTON bald sehr kritisch. Sie stehen für ihn im Widerspruch zu den Ideen von GRAHAM und LABAN, die denen Tanz Freiheit und Gleichberechtigung verleihen wollten. Gleichzeitig wendet er sich von dem Ziel der in seinen Augen leeren Hülle der hohen tanztechnischen Perfektion ab, da sie den ZuschauerInnen das Gefühl vermitteln, dass ihre eigenen, normalen Bewegungen wertlos und bedeutungslos seien. Schon im Judson Dance Theater gilt sein Interesse u.a. der Arbeit mit Laien und deren ungeschulten Bewegungsabläufen wie einfaches Gehen, Sich-Hinsetzen oder Stehen. "Weder rhythmisch noch dynamisch in ihrem gewohnten Zeit- und Ausdrucksgefüge verändert, präsentierten die Bewegungen ein dem gewohnten Sehen und Verstehen von Tanz vollkommen konträres Konzept."[93]

Bedeutendes Beispiel dafür scheint PAXTONS 1967 aufgeführtes Stück Satisfyin' Lover zu sein, das einen Marsch von regelmäßig hintereinander langsam gehenden Menschen zeigt. Diese einfachen Bewegungsabläufe werden durch Essen, Trinken, Lächeln, Sich-Anziehen oder Geschichten-Erzählen ergänzt. HUSCHKA zitiert PAXTON, für den das Tanzen nicht bloß eine physisch determinierte Kunst darstelle, sondern vielmehr eine Komplexität aus sozialen, physischen, geometrischen, organischen, politischen, intimen und persönlichen Informationen, die nicht einfach wiederzugeben sei. PAXTON interessiere zudem das Wahrnehmungsgefüge des eigenen Körpers.

"When you're a dancer, you can spend many hours a day dancing, working on your technique and following the aesthetic rules of whatever dances you're in, but there's still all the rest of the time. What is your body doing? How does it get you uptown to the class? [...] How does ist know to stick its hand in your pocket an get out the money and take you trough the subway hassles? There's still an incredible reservoir of activity, quite separate from the technical activities that one is involved in as a dancer. To look at that was the aim."[94]

Die Nicht-Tanz-Bewegungen des Alltags stellen für PAXTON eine Erweiterung des tänzerischen Repertoires dar, es entstehen Verbindungen zwischen TänzerIn und ZuschauerIn und lassen kein richtig oder falsch zu.

Vergleichbar zu Trisha BROWN und Yvonne RAINER verwendet PAXTON den Körper als Informationsträger und -nehmer. "Aufführungsästhetisch erfährt dieser innerhalb formal strukturierter Abläufe eine transpersonalisierte Behandlung, als Objekt präsentiert und dennoch innerhalb eines subjektzentrierten Aktions- und Bewegungsraums."[95]

Zudem attackiert PAXTON mit politischen Stücken wie Word Words (1963), in dem er mit Yvonne RAINER nackt tanzt, das Nacktheitsverbot des Staates New York. RAINER initiierte das Continuous Project Altered Daily, ein sich live entwickelndes Stück, das den Übungsprozess als Teil der Performance ansah. Aus diesem Projekt entstand später die Grand Union, welche von 1970 - 1976 existierte. Zu ihr gehörten Yvonne RAINER, David GORDON, Steve PAXTON, Trisha BROWN, Barbara DILLEY, Douglas DUNN, Nancy GREENE und andere. "Das Tänzerkollektiv löste sich immer mehr von gewohnten Strukturen und legte seinen Schwerpunkt aus Gruppen-, Duo- und Einzelimprovisationen. Bei diesen ‚open-end'-Improvisationen wechselten beispielsweise dramatische, surreale Szenen zu Bewegungsspielen oder persönlichen Konversationen."[96]

1972 entstand Magnesium, ein Stück, in dem sich elf Männer durch die Luft warfen, zusammenstießen, sich auffingen und zu Boden fielen. Ziel war es, nicht von einem erlerntem Tanzvokabular her zu arbeiten, sondern Körperreflexe in den Mittelpunkt zu stellen. KALTENBRUNNER beschreibt die Erfahrungen des Stückes wie folgt :

"Wenn sich jemand in eine waghalsige Situation wirft, werden instinktive Körperreflexe aktiviert, die eine Verletzung vermeiden helfen und den Körper abrollen. Dies dauerte etwa zehn Minuten, anschließend standen sie für ein paar Minuten still."[97]

Die Erfahrungen von Magnesium ließen Steve PAXTON nicht los. Er wollte diese Prinzipien weitererforschen und gründete eine Gruppe von guten TänzerInnen und TurnerInnen, um an diesen Grundsätzen zu experimentieren. Die Kontaktimprovisation entstand.

Im folgenden Kapitel werden ästhetische Tendenzen im integrativen Tanz näher erläutert. Vorausgehend sind dabei das Lebenswerk der Choreographen Wolfgang STANGE und Alito ALESSI.



[34] Fischers Lexikon der Phil., 1965

[35] die folgenden Darlegungen orientieren sich an den Ausführungen von W. Welsch in seinem Buch "Ästhetisches Denken", 1995 1 - 40.

[36] Welsch, W.: 1991, 13.

[37] Ebd. 14.

[38] Ebd. 16.

[39] Welsch, W.: 1991, 16.

[40] Ebd.

[41] Ebd.17.

[42] Welsch, W.:. 1991. 23.

[43] Ebd. 31.

[44] Ebd. 32.

[45] Ebd.

[46] Klein, G.:, 1995, 26.

[47] Klein, G.:1995,. 27.

[48] Ebd.

[49] Klein, G.: 1995. 29.

[50] Klein, G.: 1995, 29.

[51] Klein, G.: 1997, 11

[52] Ebd.

[53] Ebd.

[54] Klein, G.: 1997. 13.

[55] Ebd. 14.

[56] Klein, G : 1992, 144.

[57] Klein, G.: 1992. 149.

[58] Klein, G.: 1992, 152.

[59] Fleischle-Braun, C.: 2000, 27.

[60] Brandstetter, G.: 1995, 35.

[61] Brandstetter, G.: 1995, 35.

[62] Baxmann, I.: Mythos: Gemeinschaft. Körper- und Tanzkulturen in der Moderne. München 2000, (zit. in: Huschka, S.: 2002, 30.

[63] Huschka, S.: 2002, 31.

[64] Ebd.: 31.

[65] Anm.: Agitpropgruppe: Gruppen von Laienspielern, die Agitation im marxistischen Sinne treibt, aus: Duden Fremdwörterbuch, 2000.

[66] Dahms , S.: 2001, 152.

[67] Dahms , S.: 2001, 153.

[68] Klein, G.: 1992, 181.

[69] Huschka, S.: 2002, 158.

[70] Huschka, S.: 2002, 165.

[71] Fleischle-Braun, C.: 2000, 55.

[72] Huschka, S.: 2002, 74.

[73] Huschka, S.: 2002, 180.

[74] Ebd., 182.

[75] Ebd.

[76] Wigman, M.: vgl. Goergi, Y.; Tanz für das Theater. in: Musik und Theater, 3. Jg., Sept.-H., 1928, 5 (zit. nach: Klein, G: 1992, 181.

[77] Grundlagen aus: Oberzaucher-Schuller, G.: 1996, 8-15.

[78] Török, A.: Tanzabende in: Der Merker, 10. Jhg., Heft 11, 1.6.1919 (zit. nach: Oberzaucher-Schuller, G., 27).

[79] Hirschbach, D.: 1990, 49.

[80] Hirschbach, D .:1990, 61.

[81] Ebd. 63.

[82] Klein, G.: 1992, 243.

[83] Ebd.: 251.

[84] Huschka, S.: 2002, 47.

[85] Huschka, S.: 2002, 251.

[86] Stüber, W.: 1984, 160.

[87] Ebd. 160

[88] Stüber, W.: 1984, 161.

[89] Hawkins, E: aus: Turner, M.-J.: New Dance: Approaches to Nonliteral Choreography Pittsburgh, 1971, 16, (zit. nach: Stüber, W.: 1984, 161).

[90] Huschka, S.: 2002, 256.

[91] Huschka, S.: 2002, 258.

[92] Ebd., 258.

[93] Huschka, S.: 2002, 273

[94] Novack, C.: 1990, 53.

[95] Huschka, S.: 2002, 273.

[96] Kaltenbrunner, T.: 1998, 22.

[97] Kaltenbrunner, T.: 1998, 22.

5 ZUR TANZÄSTHETIK IM INTEGRATIVEN TANZ

5.1. WOLFGANG STANGE

5.1.1 BewegGrund

Wolfgang STANGE wurde am 6. Juli 1947 in Berlin geboren. Aufgewachsen in einer Arbeiterfamilie, hatte sein Vater wenig Verständnis für die Tanzvorlieben seines Sohnes. Wolfgang verdrängte seine Sehnsucht zum Tanz und fand seine Form des Ausdrucks im Theater. Er gründete mit 14 Jahren seine erste Amateurtheatergruppe.

Als er im Alter von 17 den Ballettfilm "Romeo und Julia" mit Margot FONTEYN und Rudolf NUREYEV sah, spürte er, dass er tanzen muss. Ihm war plötzlich bewusst, dass "Ausdruck durch Musik und Bewegung so stark wie oder sogar noch stärker als Ausdruck durch Worte sein kann".[98]

Da seine Eltern eine Tanzausbildung nicht finanzieren konnten, entschied er sich, Koch zu werden. Schließlich konnte er auch bei dieser Tätigkeit seine Kreativität frei entfalten. Nach 3-jähriger Ausbildung zog es ihn 1968 nach England. Dort wollte er vor allem sein Englisch verbessern und spekulierte damit, einmal am Theater als Übersetzer unterzukommen, um so eine Verbindung dorthin aufzubauen.

1970 lernte Wolfgang STANGE durch eine damalige Freundin die Tänzerin Hilde HOLGER kennen. Sie gab ihm das notwendige Selbstvertrauen, mit dem Tanzen zu beginnen. Durch Hilde HOLGER machte Wolfgang STANGE auch seine ersten Kontakte mit Menschen mit Behinderung. Zum einen gab er Hildes Sohn Darius Lese- und Schreibunterricht, zum anderen bot sich ihm einmal die Möglichkeit, einer Tanzstunde beizuwohnen, in welcher eine Gruppe junger Männer mit Down-Syndrom von Hilde HOLGER unterrichtet wurde. "Ich war überrascht, dass Hilde auch hier ihrem Temperament freien Lauf ließ und losschimpfte, wenn etwas nicht klappte, wie sie es aufgetragen hat. Ja, warum auch nicht, dachte ich, sie behandelt diese Menschen nicht anders als uns".[99]

1972 bekam er ein Stipendium des englischen Bundesministeriums für ein 3-jähriges Studium an der Martha-Graham-Schule "London School of Contemporary Dance" (LSCD). Gleichzeitig besuchte er weiterhin die Klasse von Hilde Holger, deren Arbeit ihm viel näher lag als der amerikanisch orientierte Stil an der LSCD.

"Meine erste Begegnung mit Hilde HOLGER war eine fundamentale Erfahrung. Ich war erst unsicher, aber sie hat meine Art akzeptiert, mich unterstützt und ermutigt [...] an der anderen Schule hat man Technik entwickelt, aber nicht die Seele erzogen. Bei Hilde lernt man sehen und empfinden."[100]

1976 begegnete er der Tänzerin Gina LEVETE. Sie ist für Wolfgang Stange "the Mother of Art opportunities for disadvantaged in Great Britain"[101]. Gina LEVETE unterrichtete mit Unterstützung vom "Leverhulme Trust" Tanz- und Pantomimeklassen in verschiedenen Krankenhäusern. Sie arbeitete mit der Überzeugung, dass Kunst die Entwicklung des Menschen wesentlich beeinflusst. Es war ihr ein Anliegen, dass KünstlerInnen ihre Liebe zur Kunst mit Menschen mit Behinderung teilen. Durch Gina LEVETE wurden Wolfgang STANGE die Türen zur Kunst mit allen geöffnet.

Gina LEVETE gründete die Organisation Shape, welche es sich zum Ziel gesetzt hatte, musische Aktivitäten von KünstlerInnen in verschiedenen Einrichtungen für Menschen mit Behinderung zu organisieren.

Wolfgang STANGE war durch Shape in Institutionen wie Tageszentren, Krankenhäuser, Rehabilitationszentren, geschlossenen Anstalten und Notunterkünften tätig. Vorerst arbeitete er mit psychisch Kranken, dann mit SchlaganfallpatientInnen, Menschen mit geistiger Behinderung und Herzkranken.

In Berührung mit einer integrativen Gruppe trat er erstmals in einem Workshop, den er im Rahmen von Shape für eine Gruppe von BehindertentherapeutInnen leitete. Eine Frau mit Sehbehinderung wollte an diesem Workshop teilnehmen. Durch seine Offenheit und Spontaneität gehörte es für Wolfgang STANGE zu einer Selbstverständlichkeit, alle in seinen Kursen mittanzen zu lassen, die es wollten. Nach diesem Kurs baten ihn einige der TeilnehmerInnen, auch die blinde Frau, um wöchentliche Tanzklassen.

Um einer Bitte des Institutionsdirektors nachzukommen, gründete er eine zweite Tanzgruppe, an der Menschen mit Sehbehinderung teilnahmen. Nach einiger Zeit wurden dann beide Gruppen zusammengeführt.

Gleichzeitig unterrichtete Wolfgang STANGE eine Klasse in einem Langzeitwohnheim für Menschen mit Behinderung, mit welcher er an Weihnachten Stücke aufführte. Mit einer Schauspielerin, die in dieser Institution unterrichtete und selbst im Rollstuhl saß, plante er 1980 ein Projekt, bei dem die Gruppe des Langzeitwohnheims und seine bereits integrative Gruppe mit den Sehbehinderten und TherapeutInnen zusammengelegt wurden.

Die Gruppe, welche sich später AMICI nannte, brachte ihre erste Produktion "I Am Not Yet Dead" im Roof Top Theatre, London auf die Bühne.

Die Idee für AMICI entstand in Sri Lanka, wo Wolfgang STANGE 1973 bei seinem ersten Besuch seine Liebe zu diesem Land und den Leuten entdeckte. Bei seinem zweiten Besuch im Dezember 1974 war er auf einer Weihnachtsfeier in Negombo in einem "Cheshire Home" eingeladen. Junge Leute brachten dort ein Stück zur Aufführung, das STANGE sehr beeindruckte. "I was wondering looking at their curious and grateful eyes, how people with a disability must feel sitting always, as it seemed, on the other side of the fence."[102] Erstmals stellte er sich die Frage, warum Menschen unterschiedlicher körperlicher oder geistiger Fähigkeiten keinen Platz in der Kunst hatten. In dieser Nacht habe er den Entschluss gefasst, daran etwas zu ändern.

Sri Lanka

Wolfgang STANGE hat seine zweite Heimat in Sri Lanka gefunden. Seit 1974 arbeitete er einmal jährlich als Volontär in einem Heim für Menschen mit Behinderung. 1980 bot sich ihm durch die finanzielle Unterstützung der "Gulbenkian-Foundation" die Gelegenheit, gemeinsam mit einer Kollegin die Insel zu erkunden und die kreativen Möglichkeiten im Musik- und Tanzbereich zu entdecken. 1981 gab er Kurse für BetreuerInnen und Lehrerinnen im Behindertenbereich.

Durch Interlink, die Nachfolgeorganisation von Gina LEVETEs Shape, bot sich 1983 für Wolfgang STANGE die Gelegenheit bei einem Projekt in Sri Lanka mitzuwirken. Gemeinsam mit anderen KünstlerInnen wurden Kurse in Musik, Tanz, Bildhauerei, Malerei, Schauspiel und Pantomime für Lehrerinnen und BetreuerInnen im Behindertenbereich veranstaltet. Ein weiteres Projekt Interlink Colombo wurde ins Leben gerufen, bei welchem Wolfgang STANGE immer wieder mitarbeitete und es unterstützte. 1987 inszenierte er sein erstes Stück in einer Sonderschule mit jungen SchauspielerInnen, TänzerInnen mit Menschen mit und ohne Behinderung. Das Stück thematisierte die damalige Bombenlegung in der Stadt, die mehr als 500 Menschenleben forderte.

Wolfgang STANGE machte die Bekanntschaft mit Rohana Deva PERERA, einem jungen Theaterdirektor, der sehr beeindruckt von STANGES Arbeit war. PERERA besuchte Workshops von STANGE und begann, selbst Kurse zu geben. Später wurde er von Wolfgang STANGE dazu motiviert, Stücke auf die Bühne zu bringen, welche er mit einer Gruppe von Menschen mit geistiger Behinderung erfolgreich inszenierte.

1997 wurde Wolfgang STANGE von Sunethra BANDARANAIKE, der Schwester des Präsidenten von Sri Lanka gebeten, neue Projekte im Behindertenbereich zu starten. 1998 besuchte sie einen Workshop von Stange, welcher sie so sehr beeindruckte, dass sie die Idee der Integration in der Kunst unterstützen wollte.

Das erste Stück Butterflies will always fly, das er gemeinsam mit Rohana Deva PERERA inszenierte, wurde von einer Gruppe von Menschen mit körperlicher, geistiger Behinderung und Kriegsversehrten aufgeführt. Die Idee Wolfgang STANGES war, Menschen, die seit Geburt an eine Behinderung haben und Menschen, die durch den Krieg körperbehindert wurden, zusammenzuschließen. Die Mitwirkenden gehörten gleichzeitig auch den verschiedensten religiösen Konfessionen an.

Kürzlich startete er in Colombo das Projekt Flowers will always plum, welches sowohl Menschen mit geistiger und körperlicher Behinderung, Gehörlose, Kriegsversehrte und Flüchtlinge als Teilnehmende zählt. Die Idee dazu entstand aus dem Gedanken der tieferen Integration. Es wirken unter anderem auch zwei professionelle Tänzerinnen und eine Schauspielerin mit. Finanziell werden die Aufführungen von der Sunera-Foundation von Sunethra BANDARANAIKE unterstützt. Flowers will always plum wurde im Mai 2001 in vier Sprachen (singalesisch, tamelisch, englisch und in der Gebärdensprache) in London aufgeführt.

5.1.2 AMICI

"Amici is a London dance company comprising of people with varying abilities. They perform for the public and also improvise for their own pleasure."[103]

Der Name AMICI bedeutet Freunde und wurde 1981 für das Stück The Dream von den Gruppenmitgliedern selbst gewählt. Es wurde im Rahmen des international year of Disabled aufgeführt und Gina LEVETE gewidmet.

Etwas mehr als die Hälfte der derzeit 25-köpfigen Dancecompany haben Down-Syndrom, sind blind, spastisch oder weisen eine andere Körperbehinderung auf. Als alleinige Voraussetzung, um bei AMICI mitarbeiten zu können, nennt Wolfgang STANGE "Menschsein" und die "Lust zum Mitmachen"[104].

Vier Mitglieder sind schon seit der ersten Aufführung dabei. Je nach Projekt gibt es viele professionelle TänzerInnen, die teilnehmen. Zahlreiche StudentInnen, welche Tanz u.a. am Laban-Center studieren oder eine Therapieausbildung machen, absolvieren bei der Dancecompany Praktika, die von AMICI-Mitgliedern betreut werden.

"Es waren auch schon Tanzbegeisterte aus dem Ausland bei uns. Beispielsweise haben letztes Jahr eine japanische blinde Tänzerin und ein japanischer Junge mit geistiger Behinderung, der von seiner Mutter betreut wurde, bei uns mitgetanzt", erzählt Wolfgang STANGE bei einem Telefongespräch.

AMICI wurde bis 1999 von der britischen Regierung unterstützt. Durch private Sponsoren und Spenden kann die Gruppe immer wieder finanzielle Engpässe überbrücken.

5.1.3 Aus dem Bauch tanzen

"Was wir machen, ist Kunst."[105]

Als Ausgangspunkt für das gemeinsame Schaffen nennt mir Wolfgang STANGE das "voneinander lernen". "Leute, die Mensch sein wollen, kommen zu uns", meint STANGE. "Zu verstehen, dass jeder eine andere Art hat, sich auszudrücken - der Respekt vor jeder einzelnen Person ist das Wesentliche an unserer Arbeit."[106]

Eines der Ziele Wolfgang STANGES ist es, das kreative Potential jedes Menschen anzusprechen und die Qualität der Bewegung zu entwickeln. Dabei stehen die Ideen der TänzerInnen im Vordergrund.

Weiters ist es ihm ein Anliegen, den TeilnehmerInnen Tanz auf ihren individuellen Ebenen erleben zu lassen und ihnen den Ausdruck ihrer Erfahrungen wie beispielsweise von Schmerz und / oder Ausgeschlossen-Sein zu ermöglichen.

Es soll die Fähigkeit zu tieferen Erlebnissen entwickelt werden, um dadurch die Grenzen einer Behinderung zu überschreiten und eine individuelle Wahrheit zu finden. Den Menschen soll das Gefühl gegeben werden, dass sie etwas können und ihre eigenen, besonderen Begabungen besitzen. Diese Erfahrung und die Möglichkeit, dies anderen Menschen mitzuteilen, was wir teuer und schön finden, bereichert unser Leben und das Leben derer, die mit uns leben und arbeiten. Die TänzerInnen sollen ein Selbstwertgefühl entwickeln und geistige Defizite durch Stimulation des Körpers positiv beeinflusst werden.[107]

Wolfgang STANGE unterrichtet in verschiedenen Volkshochschulen, probt mit AMICI, macht Projekte in Sri Lanka und wird auf der ganzen Welt immer wieder als Workshopleiter oder auf Symposien eingeladen.

In seinen Kursen setzt er durch Materialien wie Masken, Fächer, Stöcke, Tücher, Seile oder auch Alltagsgegenstände Impulse für Improvisationen. STANGE verwendet bestimmte Themen, Bilder und Gedichte. Seine Materialien sind Vermittler, erleichtern sozusagen die Kontaktaufnahme zum Gegenüber oder zum Thema und geben einen bestimmten Rahmen vor.

Ein wichtiger Bestandteil seiner Kurse ist Musik. Wolfgang STANGE liebt Musik, verwendet am häufigsten Unkommerzielles, da ihm einerseits Populäres nicht besonders gefällt, andererseits, weil die TeilnehmerInnen dazu neigen, bei bekannten Liedern Popidole nachzuahmen und ihr "Eigenes" dabei zu verlieren. "Ich wollte, dass meine Schüler sich ihrer eigenen Bewegungen bewusst wurden, sie entwickeln und dass sie stolz auf das Eigene wurden. Imitation hatte hier keinen Platz."[108]

So verwendet Wolfgang STANGE Musik aus aller Welt, die meist sehr farbenreich und stimmungsvoll ist. Dabei wird die unmittelbare Beziehung zwischen Musik und Bewegung deutlich. Sie gibt den TeilnehmerInnen die Möglichkeit, dem eigenen Instinkt zu folgen und öffnet Ohren für neue ungewohnte Klänge und ebenso neue ungewohnte Wege im Tanz.

"Ich werde nie vergessen, als ich an einem Abend japanische Gäste in der Gruppe hatte und eine meiner Schülerinnen mit Down-Syndrom zur japanischen Musik tanzte. Meine Gäste fragten, wie lange diese junge Frau japanischen Tanz studiert hatte. Sie wollten nicht glauben, dass diese Frau zum ersten Mal zu dieser Musik getanzt hatte."[109]

Ein wesentlicher Aspekt seiner Arbeit ist, wie auch bei Hilde HOLGER, die Verbindung der verschiedenen Künste. Die kreative Auseinandersetzung mit einem Thema ist nicht auf die tänzerische Ebene beschränkt, sondern reicht vom Bildnerischen, Sprachlich-Assoziativen und Schauspiel, bis zu Skulpturen formen und dem Einsatz der Stimme.

"95% der Menschen mit Behinderung arbeiten direkt aus dem Bauch - im Gegensatz zu ausgebildeten Darstellern."[110]

Bei Wolfgang STANGE steht Tanztechniktraining genauso am Anfang jeder Probeneinheit wie die abschließenden Kreisrituale.

Er geht vom Individuum aus und versucht, innerhalb der Gruppe Potentiale zu entdecken und zu entwickeln.

Durch seine jahrelange Erfahrung weiß er, welche Hilfestellungen notwendig sind, um mit Menschen mit bestimmten Beeinträchtigungen zu arbeiten. Beispielsweise benötigen blinde TeilnehmerInnen Sicherheit und Orientierung durch den Kreis oder auch durch PartnerInnenarbeit. Materialien unterstützen bei Solotänzen und können Verbindungen herstellen.

"Der Gedanke, das Gefühl und letztlich die Idee für eine Choreographie kommen von mir. In Improvisationen lasse ich die Gruppe an meiner Idee teilnehmen."[111] Als Anhaltspunkt für Improvisationen wählt er Gedichte, Geschichten, Vorstellungsbilder oder Musik.

Er hat klare Vorstellungen von den einzelnen Szenen. Die Kunst liegt darin, den Ausdruck aus den Menschen hervorzurufen. Das was STANGE fühlt, kann er durch Tanzimprovisationen und Vorstellungsbilder in den TänzerInnen erzeugen. An ihnen liegt es dann, Gefühltes im richtigen Moment umzusetzen.

Wolfgang STANGE beobachtet die Gruppe und auch individuelle TänzerInnen und notiert, was seiner Idee am nächsten ist. Auch wenn manches nicht nahe an seiner Vorstellung liegt, jedoch einen hohen künstlerischen Wert der Ausführung und des Ausdrucks besitzt, versucht er, solche Beiträge einzubauen, ohne vom Originalgedanken abzukommen.

Es werden auch spezielle Bewegungen erlernt, welchen die TänzerInnen meist ihre persönliche Note verleihen. Die Gruppe nimmt ständig am kreativen Prozess teil. Dies sieht STANGE als Erleichterung, wenn es um das Einstudieren komplizierter Kombinationen geht.

"Der Rahmen der AMICI-Stücke ist fest und stark, aber innerhalb des Rahmens gibt es viele Möglichkeiten, sich selbst zu sein und etwas Persönliches zu geben. Das macht die Aufführung mit AMICI so lebendig."[112]

5.1.4 Stücke

Durch die Unterstützung von Shape und ihrer neuen Direktorin Seona REID konnte 1982 erstmals die professionelle Produktion Rückblick am The Place Theatre in London uraufgeführt werden. Durch Rückblick war ein Grundstein für die zukünftige Arbeit im Integrativen Tanz in Großbritannien gelegt worden.

Der Schauspieler Ben KINGSLEY übernahm nachdem er die Aufführung von AMICI gesehen hatte, den Ehrenschutz (patron of AMICI) für die Gruppe. Das Stück wurde im März 1983 im Young Vic, 1988 in den Riverside Studios und schließlich 1995 an der Akademie der Künste in Berlin aufgeführt. Jede der Inszenierungen wurde Hilde HOLGER gewidmet.

1985 brachte AMICI das Stück Silence auf die Bühne, bei welchem alle Hauptrollen von Menschen mit Lernschwierigkeiten getanzt wurden.

Bei Pieces und Hungover im Hyde Park waren 1989 mehrere ChoreographInnen beteiligt. Unter anderem auch blinde AMICI-TänzerInnen, sowie Menschen mit Lernschwierigkeiten.

1990 brachte Wolfgang STANGE gemeinsam mit Nigel WARRACK Mercurius und Passage to Sanity im Tramway Theatre in Glasgow heraus. AMICI erhielt 1991 den Digital Dance Award in England.

Mit Tears & Laughter tourten drei Mitglieder von AMICI gemeinsam mit Wolfgang STANGE nach Japan. Im selben Jahr wurde Fragments of Flight in den Riverside Studios in London aufgeführt.

Durch die finanzielle Unterstützung der Muse Company Tokyo wurde die Rückblick - Tournee 1992 verfilmt. Im selben Jahr produzierte die BBC eine dokumentarische Verfilmung über STANGES Arbeit mit Ben KINGSLEY in der Hauptrolle.

1993 wurde AMICI am Teatr Polski in Warschau mit der Vaslav Nijinsky Medaille für outstanding contribution to the theatre geehrt.

1994 standen eine Reihe von Workshops und Performances mit einer Gruppe von Menschen mit Behinderung aus Japan auf dem Programm, die im Cochrane Theatre in London stattfanden.

Als Zeichen des Dankes brachte Wolfgang STANGE 1996 die Lebensgeschichte von Hilde HOLGER mit dem Stück Hilde auf die Bühne. Anlässlich ihres 93. Geburtstags wurde die Produktion 1998 im Odeon in ihrer Geburtsstadt Wien aufgeführt.

Mit der Beteiligung verschiedenster ChoreographInnen inszenierte AMICI 1999 Pieces 2. Im Jahr 2000 feierte AMICI ihr 20-jähriges Bestehen. Im Juni 2002 wurde das Stück The Dream Of Friends im Lyric Theatre Hammersmith aufgeführt. Gleichzeitig war AMICI in The route of ark zu sehen, welches von Wayne MCGREGOR und Random Dance choreographiert und im Millennium Dome im März 2001 aufgeführt wurde.

Ein Merkmal der Stücke von Wolfgang STANGE ist wohl die große Expressivität, die er gekonnt aus seinen TänzerInnen herausholt. Er versteht es, Emotionen auszulösen, die oft nur im Tanz zum Ausdruck kommen können.

Die Themen seiner Stücke sind meist sehr dramatisch - handeln von Tod und Ausgrenzung, so wie beispielsweise in Rückblick.

"Wolfgang STANGE scheut in seinen Choreographien große Gefühle nicht. Die Held(innen) seiner Tanzdramen, die er in kraftvollen Gruppenszenen, eindringlichen oder in witzigen Pas de deux und Pas de trois umsetzt, sind Menschen, die gegen den Strom schwimmen, die anders sind, ausgegrenzt werden und, wie im Fall Käthe KOLLWITZ, ungebrochen nach ihrer Überzeugung leben und handeln."[113]

Im Juni 2000 brachte AMICI das Stück "20 / 20" auf die Bühne, das sich erstmals mit der Thematik der Behinderung auseinandersetzte.

5.1.5 Persönliche Eindrücke

Im Rahmen meines Praktikums lernte ich die Arbeit von Wolfgang STANGE besser kennen. Die Teilnahme an den Proben von AMICI und an den Tanzklassen verschiedenster Einrichtungen ermöglichten mir einen neuen Zugang zum integrativen Tanz und setzten mich sehr oft in Erstaunen.

"Wolfgang hat einen unheimlich guten Blick für die Begabung der Menschen. Er nimmt sie ernst, gibt ehrliche Feed-backs, hat eine faszinierende Art zu motivieren, Menschen mit Behinderung zu fördern und gleichzeitig zu fordern. Er begleitet ihr künstlerisches Tun mit seinen ehrlichen Komplimenten. In seinen Stunden entsteht ein homogenes Gleichgewicht zwischen Vorgegebenem und Freiem. Er ist der Ansicht, dass Freiheit nur das sein kann, zu was ich sie mir auch selbst erkämpft habe.'

Wolfgang korrigiert an den ‚richtigen' Stellen. Die TeilnehmerInnen können seine Kritik gut aufnehmen und umsetzen. Er stellt hohe Ansprüche, begnügt sich nicht mit dem Mittelmäßigen und erreicht so den Einsatz und die Motivation der Menschen."[114]

"Behindertenarbeit hat häufig einen sozialen Beigeschmack. Davon ist in dieser Gruppe nichts zu spüren. Einerseits können sich die Nichtbehinderten, vor allem was Improvisation betrifft, oft einiges von behinderten TänzerInnen abschauen, die Anerkennung für die Fähigkeiten jedes einzelnen ist also eine ehrliche, andrerseits stehen auch die Menschen mit Behinderung so dermaßen auf eigenen Beinen (oder Rädern), dass ein "übersozialer" Umgang gar nicht erst aufkommt [...].

Gerade beim Tanzen verschmelzen die Grenzen zwischen Behinderung und Nichtbehinderung und es kommt zu einer Begegnung auf einer gemeinsamen tänzerisch-künstlerischen Ebene, von der beide Seiten bzw. jede/r Einzelne nur profitieren kann."[115]

"Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass immer mehr Menschen die Chance geboten wird, sich selbst in der Kunst zu entdecken."[116]

5.2. ALITO ALESSI

1972 begann Alito ALESSI als Mitglied der Eugene Dance Collective zu tanzen. Er beschreibt die damalige Zeit der frühen 70er in den USA als eine, der großen Bewegungen:

"anti-establishment, a radical time in the development of arts"[117]. Das Eugene Dance Collective arbeitete gemeinschaftlich mit der Vision der Gleichwertigkeit und Demokratie. Etwas später wurde ALESSI bewusst, dass sie zwar Großartiges für soziale Themen gemacht hatten, aber noch immer keine Demokratie waren. Es gab stets noch die Isolation und im gewissen Sinne das Elitedenken, welches Teil der neuen Bewegung war. Mit diesen Gedanken begann er später die DanceAbility-Arbeit, die seine persönliche Vision der Verantwortung, die ein Künstler haben sollte, erfüllt.

1979 wurde ALESSI künstlerischer Leiter der Joint Force Dance Company. Nach erfolgreichen Auftritten, Workshops an der nordamerikanischen Westküste, und 1987 auch Gastspielen in Europa wurde die Company für ihre neuen Entwicklungen in Choreographie durch Kontaktimprovisation anerkannt, noch bevor sie im mixed-abilites-Bereich arbeiteten.

ALESSI studierte mit Nancy STARK-SMITH, Andrew HARWOOD und arbeitete später intensiv mit Steve PAXTON zusammen.

5.2.1 DanceAbility - vom Aufbau eines internationalen Netzwerks

Das DanceAbility Project wurde 1987 in Eugene (USA) von Alito ALESSI und Karen NELSON, künstlerische LeiterInnen der Joint Force Company, gegründet. Seit 1989 führt ALESSI als alleiniger Direktor die Entwicklung weiter. In Zusammenarbeit mit dem Choreographen Emery BLACKWELL, der seit seiner Geburt mit spastischen Lähmungen lebt, beschäftigt sich ALESSI mit der Entwicklung der Kontaktimprovisation und ist bekannt als Pionier und Choreograph im Bereich Tanz und Behinderung.

Das DanceAbility Project wird international als führend im Schaffen von New Dance-Gesellschaften für Menschen mit und ohne Behinderung und verschiedenster Kulturen anerkannt. Neben integrativen Bewegungsworkshops , werden jährlich zahlreiche Stücke auf Festivals, Bühnen und Straßen in Städten in den USA, Europa und Südamerika aufgeführt. ALESSI ist unter anderem auch Begründer der ersten integrativen Tanzklasse an der Universität in Oregon und auch von Kinderklassen.

Seit 1982 besteht die Breitenbush Contact Improvisation Teachers and Performers Conference, welche von Alito ALESSI gegründet wurde und eines der wichtigsten internationalen Netzwerke für New Dance darstellt.

1989 gewann das Video über DanceAbility Project 88 den Silver Apple beim National Educational Film and Video Festival und war gleichzeitig Finalist beim American Film and Video Association Festival in New York City.

ALESSIS Arbeit hat in den letzten Jahren lokale, nationale und internationale Aufmerksamkeit erregt. 1991 trat er beim Governor's Arts Award in Eugene auf und gewann den Exemplary Grant. Seine Lehrtätigkeit und Performancearbeit reicht von vielen Schulen, Universitäten bis zu sogenannten Spezialschulen wie beispielsweise die Gehörlosen-schulen in Santa Fee oder Minneapolis. In den Jahren 1992, 1993, 1995 und 1996 erhielt er Preise von der National Endowment for the Arts und 1992 von der Oregon Arts Commission.

ALESSI und die Joint Forces Dance Company sind seit Jahren bei internationalen Tanzfestivals wie beispielsweise den Berner Tanztage in der Schweiz, Dance Umbrella in Boston und Contact Arts in Italien vertreten. 1998 choreographierte er Lunar de Nature für das schwedische Theater M.A.R.I.A, welches erstmals ein integratives Tanzstück auf die Bühne brachte. Im Winter 1999 tourte er mit mehr als zwanzig Aufführungen durch die Schweiz.

DanceAbility wird unter anderem von Oregon Arts Council, Lane Arts Council, Meyer Memorial Trust und Privatspendern finanziell unterstützt. Durch die internationalen Kontakte wird das Projekt auch von Organisationen aus Europa und Südamerika gesponsert.

Joint Forces veranstaltet jährlich das New Dance Festival in Eugene. Dort werden eine Serie von Aufführungen von international bekannten Performance-KünstlerInnen herausgebracht. Ein Teil dieses New Dance Festivals ist das jährliche DanceAbility Project, ein drei bis fünf Tage dauerndes Event, bei welchem bis zu 6000 Menschen im Alter zwischen 10 und 70 Jahren beteiligt sind.

1996, 1997 und 1999 versammelten sich Interessierte aus 13 Ländern in Eugene zu einem einmonatigen intensiven DanceAbility-Lehrer-Trainingskurs. Teilnehmende waren TanzstudentInnen und Menschen, die Interesse an der Arbeit im integrativen Tanz haben - unter ihnen selbst viele mit Behinderung. 2003 wird dieses Trainingsprogramm erstmals in Deutschland (Trier) stattfinden. Es beinhaltet pädagogisches und organisatorisches Know-how für Kurse aller Level mit verschiedensten Voraussetzungen. Weiters werden Grundlagen in Improvisation und Kontaktimprovisation, Konzeption von Performances mit unterschiedlichen Gruppen gelehrt und auch die Leitung von Projekten (auch Outdoor-Performances) vermittelt.

5.2.2 Ziele

Ziel von DanceAbility ist es, die Entwicklung und Aufführung des New Dance zu fördern und eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, die es dem/der Einzelnen erlaubt seine/ihre eigene Kreativität und deren Ausdruck zu entwickeln. Weiters soll Menschen ermöglicht werden, Selbstbewusstsein, Gruppenintegrität und Gleichwertigkeit zu erfahren.

TeilnehmerInnen wird Gelegenheit geboten, auf neue Weise die Ausdruckskraft ihres Körpers zu entdecken. Es sollen Brücken in der Gruppe entstehen, die unterstützen, gegenseitige Vorurteile ab zu bauen, um somit ein Netz unter den TänzerInnen zu knüpfen.

ZuschauerInnen wie auch TeilnehmerInnen werden eingeladen, über die nonverbale Kommunikationsform des Tanzes ihre oft festgefahrenen Einstellungen und Wahrnehmungen bezüglich Tanz und Behinderung zu verändern.

"In meinen Workshops versuchen wir, durch verbale und physische Kommunikation das Vertrauen der Menschen mit Behinderung in ihre körperlichen und kreativen Fähigkeiten zu stärken. Behinderte und Nichtbehinderte tanzen als völlig Gleichwertige miteinander, so werden die Behinderten zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten inspiriert und die Nichtbehinderten lernen Stereotypen und Fehlglaube hinsichtlich des Umgangs mit behinderten Menschen abzubauen."[118]

Die Arbeitsweise Alito ALESSIS ist geprägt vom Tanzstil der Kontaktimprovisation. Der in den 70er Jahre erstmals entwickelte Stil von Steve PAXTONS[119], ist die Basis seiner integrativen Arbeit, des Miteinander Experimentierens und Kommunizierens im Tanz.

5.2.3 Kontaktimprovisation als Tänzerisches Prinzip

PAXTON schränkte unter den TeilnehmerInnen jegliche soziale Kontakte wie Reden oder Lachen sehr ein. Der Tanz brach vor allem das Berührungstabu und er wollte vermeiden, dass die TänzerInnen die physische Situation durch Reden, Lachen etc. umgingen.

Er wollte zudem vermeiden, dass sich die TeilnehmerInnen in psychischen Dramen oder sexuellen Phantasien verloren. Somit galt ausschließlich entlang folgender Fragen zu arbeiten:

"Was passiert, wenn ein Partner Gewicht gibt?

Was passiert, wenn man sich gegenseitig anspringt, hochhebt oder trägt?

Wie gebe ich Gewicht in den Boden ab?

Wie kann ich die Schwerkraft für die Bewegung ausnutzen?"[120]

Unterschiedlichste Leute brachten verschiedenste Vorbildungen wie Release, Akrobatik, Tanz u.a. mit in das Projekt. Was auch immer die TeilnehmerInnen an Fähigkeiten mitbrachten, fand Raum und konnte sich in der neuen Tanzform einfügen. Hierbei war das gemeinsame Tanzen von einer nicht hierarchischen Vorgehensweise geprägt.

Im weiteren ging die Gruppe mit ihren offenen Jams, bei denen ohne Anleitung improvisiert wurde, an die Öffentlichkeit. Sie wollten die ZuschauerInnen am Ereignis teilhaben lassen, anstatt Konsumhaltungen zu unterstützen. Oft kam es sogar zu spontanem Mittanzen des Publikums. Nancy Stark SMITH beschreibt ihre Eindrücke dieser showings :

"Was offenbar passierte, war, dass Gefühlsempfindungen auf das Publikum übertragen wurden. Sie waren nach der Performance gerötet, verschwitzt und erregt, fast als ob sie selber beteiligt gewesen sind ... Ich glaube, es gab keine einzige Performance, die wir machten, die nicht sehr begeistert aufgenommen wurde. Es war so, als ob wir den Leuten einen neuen Weg angeboten haben, Bewegungen zu sehen und Bewegungen zu sehen und Bewegungen zu erleben, in einer völlig neuen und gesunden Weise, sehr vital und, wie ich glaube, unterstützend für das Leben."[121]

Kontaktimprovisation entstand in der Flower-Power-Zeit der sechziger und siebziger Jahre. Als die junge Generation auf der Suche nach neuen Lebensformen und gerechteren politischen Zuständen war. Diese Strömung betonte mehr als nur das Miteinanderleben und die Gleichheit der Menschen ohne hierarchische Systeme. Kontaktimprovisation war von Beginn an ein Gruppenphänomen. Kontakt-TänzerInnen lebten zeitweilig zusammen und entwickelten ein breites Netz gegenseitiger Kontakte und Unterstützung. "Contact Improvisation kann als physische Manifestation für die Überzeugung und Werte dieser Generation angesehen werden. Das erklärt vielleicht auch zum Teil die Faszination und Euphorie des Publikums während der ersten Kontakt-Aufführungen, da offenbar auf der Bühne etwas verkörpert und sinnlich erfahrbar wurde, das in ihrem Leben Bedeutung hatte."[122]

Kontaktimprovisation verfolgt einige wichtige Grundsätze [123] :

  • Kooperation und Kommunikation statt Konkurrenz Es wird im spielerischen Umgang durch gegenseitiges Gewicht-Abgeben nach gemeinsamen Lösungen gesucht. Versucht eine TänzerIn ihren/seinen Willen durchzusetzen und aufzuzwingen, wird es langweilig und kommt zum Stillstand.

  • Gleichberechtigung statt Hierarchie PAXTON betont immer, dass das Experiment im Mittelpunkt steht. Die TänzerInnen sollen sich von einem Vorbild lösen und in eigener Verantwortung ihre Lösungen finden. Nach dem Prinzip : der Tanz ist der Lehrer, durchbricht PAXTON übliche pädagogische Prinzipien der Tanzwelt. Falls es zu einem LehrerInnen-SchülerInnen-Verhalten kommt, da nach zwanzig Jahren Kontakt-Entwicklung einiges an effektiven Wegen und Lösungen vermittelt werden kann, entsteht jedoch kein sozialer Unterschied. Es gibt kein "richtig" oder "falsch" und vor allem werden in der Improvisation Tipps gegeben und keine Korrekturen angewendet.

  • Eigene Verantwortung und gegenseitige Abhängigkeit Während der Gewichtabgabe kann frei entschieden werden, ob und wie viel angenommen wird oder nicht. Eigenverantwortung und Selbstwahrnehmung sind tief in diese Tanzform eingegraben. KALTENBRUNNER zitiert hier KERIAC : "Contact Improvisation ist auf natürliche Weise ein Modell für soziales Verhalten. Was ist das soziale System? Es ist ganz sicher die Idee von Nicht-Hierarchie, jede Person ist gleich der anderen, und jeder übernimmt Verantwortung für das eigene Verhalten, wir versuchen nicht, jemand zu retten, wenn sie abgleitet oder fällt, aber du gibst ihm Körperfläche. Du bist aufmerksam und sensitiv und präsent mit ihr. Aber du kontrollierst nicht, was passiert, du gibst ihr Wahlmöglichkeiten, aus dem einfachen Grund, weil sie selber mit Dingen umgehen kann."[124] Gleichzeitig ist Kontaktimprovisation ein Modell der gegenseitigen Abhängigkeit, die sich jedoch nicht einseitig äußert.

  • Bruch sozialer Tabus Einen engen körperlichen Kontakt zu einem fremden Menschen in kürzester Zeit auf zu bauen, war sicher eine revolutionäre Aufforderung. Berührung unterliegt in der heutigen Gesellschaft bestimmten Codes. In der Kontaktimprovisation darf berührt werden, dürfen im Tanz Gefühle gelebt werden. KALTENBRUNNER hält Kontaktimprovisation für eine der wenigen sozialen Situationen, in welcher in sicherer Atmosphäre soziale Grenzen neugierig erforscht und erweitert werden können.

  • Geschlechterrollen werden aufgelöst Im starken Gegensatz zum "Pas de deux" des Balletts werden in der Kontaktimprovisation Geschlechterrollen aufgelöst. Größen - oder Gewichtsunterschiede spielen im allgemeinen keine Rolle (ausser evtl. bei AnfängerInnen). Jede Art von männlichen oder weiblichen Körpern ermöglichn Kontakt-Duette. Da die Basis der Stabilität nicht auf Muskelkraft aufbaut, sondern in einer optimalen Körperausrichtung (alignment) gesucht wird, kann auch eine leichtere Frau einen schweren Mann tragen. Es wird sogar eine gegenseitige Bereicherung von typischen männlichen und weiblichen Bewegungen oder Qualitäten aufgezeigt.

  • Aktives Publikum Die TänzerInnen versuchten von Beginn an, in ihren öffentlichen Jams, ZuschauerInnen an einem Ereignis teilhaben zu lassen, anstatt es zu beeindrucken und Konsumhaltungen zu unterstützen. Oft kam es auch zu spontanen Reaktionen des Mittanzes einiger ZuschauerInnen. Prinzip ist : unabhängig vor den Beobachtenden zu tanzen.

  • Jeder Mensch ist KünstlerIn und TänzerIn! Weit ab vom Leistungs- und Produktivitätsdenken der westlichen Kultur wendet sich die Kontaktphilosophie von der technischen Perfektion und Virtuosität des Tanzes ab. "Kontaktimprovisation ermöglicht es, mit einer fremden Partnerin zu tanzen, ohne vorher abzusprechen, wie es geht. Die eine Hälfte des Namens ist Improvisation. Es ist Bewegen ohne Ziel oder Planung. Das In-Berührung-Sein mit einer Partnerin, das Spüren beider physikalischer Gewichte und die Hingabe an die physikalischen Kräfte ermöglicht eine gegenseitige Freiheit zu einer körperlichen und geistigen Bewegung."[125]

5.2.4 Stücke

Alito ALESSI und Emery BLACKWELL machen meist Behinderung und die Vorurteile der Gesellschaft gegenüber solchen zum Thema ihrer Stücke.

"[...] es tun sich Landschaften von Körpern auf [...], die unterschiedlichen Körper fügen sich wie Zellen zu Organismen. Wer die Poren öffnet, spürt, dass die Energie fließt. Nicht anders ist das, wenn ALESSI und BLACKWELL zusammen auf der Bühne der Berner Dampfzentrale tanzen. Sie rollen übereinander, ziehen und halten sich; die Bewegungseigenarten werden streckenweise persifliert - Emery BLACKWELL entkommt einer gelangweilten Psychiatrieschwester und wir später von Alito ALESSI auf Rollschuhen umgarnt. Körper und Rollstuhl treten in einen selbstverständlichen Dialog.[...] Die sich konstruierenden und dekonstruierenden Impulse elementarer Bewegungen, wie Gehen, Drehen, Fallen, verschraubten sich, brachen ab, um unvermittelt wieder aufzuflackern, und erinnerten an die Behinderungen von sogenannten Nicht-Behinderten: der sich widersprechende Dialog zwischen Körper und Kopf, eine Bewegungskoordination, die sich immer wieder kurzschließt."[126]

Kurzübersicht (unvollständig) der weltweiten Projekte und Aufführungen :

"1987 - Performance with Mobility International

1988 - 2000: New Dance Festival Performance Series Festival in Eugene, Oregon.

1989 - Dortmund, Germany:

1991 - 1995: Hannover, Germany, "TUT" School for New Dance and Development

1992 - 1995, 2000: Bregenz, Austria, Intako

1992 - 1993: Santa Fe, New Mexico, DanceAbility Southwest, School for the Deaf

1993 - Zürich, Switzerland

1993 - 1994: Köln, Germany

1993 - Prato, Italy

1993 - Minneapolis, Minnesota (U.S.) New Dance Lab

1994 - 1996, 1998, 1999, 2001: Buenos Aires, Argentina

1994 - Dayton, Ohio (U.S.)

1995 - Winterthur, Switzerland, Axis

1995-2000 - Bern, Switzerland

1996, 1998 - Sao Paulo & Brasilia, Brazil

1998 - Athens, Greece

1997 - 1999 - Nicosia, Cyprus

1998 - Milano, Italy

1999 - Budapest1999 & 2000: Lunar de Natur mit Theatre M.A.R.I.A. of Switzerland 2001 - Transitions in Bern, Switzerland"[127]

Aktuell

ALESSI arbeitet derzeit an der Konzeption zur Erweiterung der DanceAblity-Idee. "The problem is now that DanceAbility has become a small island of work of its own"[128]. Es gehe ihm darum, dass die Struktur von DanceAbility auf allgemeine Grenzen nach Außen überprüft werde, und sie dann dahingehend aus zu weiten. ALESSI hat darum ein neues Projekt Dance Into Diversity gestartet, das Festivals für LehrerInnen verschiedener Tanzsparten organisiert. Dort sollen den TeilnehmerInnen vermittelt werden, die Entwicklung ihrer eigenen Fähigkeiten zu erleichtern und somit ihren Klassen zugänglich zu machen. Er hofft, auf diesem Weg seine Idee des Tanzes für alle zu erweitern und Begegnungsstätten zu schaffen, wo Verschiedenheit sich in der gemeinsamen Arbeit etabliert hat. Gleichzeitig ist ALESSI damit beschäftigt, seine teacher trainings auf verschiedensten Kontinenten an zu bieten.

Ab April 2003 gibt er Kurse in Körperarbeit, Kontaktimprovisation und DanceAbility in Wien (A), Trier und Erlangen (D). Im Mai findet ein Dancefestival in Oregon (USA) statt. Kurse bei den Tanzwochen in Wien im Juli und August sowie in Frankreich sind weitere Programmpunkte des Tänzers in Europa.

ALESSI schreibt seit längerem an einem Buch über seine Erfahrungen und Methoden des DanceAbility.

5.2.5 Interview mit Alito Alessi

Alito ALESSI spricht in seinem folgenden Interview[129] über die Bedeutung des integrativen Tanzes, das Potential, das diese Kunstform in sich trägt, die Schwierigkeiten, die Akzeptanz der Öffentlichkeit und seine Arbeitsmethoden bei Workshops.

Wieso ist die integrative Kunstarbeit wichtig für Sie?

Sie unterstützt zum einen meine grundsätzliche "politische" Haltung als Künstler. Ich glaube nämlich letztlich an die Gleichwertigkeit und Demokratie - meine Arbeit ist nicht weiterführbar, wenn ich mir eine spezielle Zielgruppe auswähle. Ich muss dazu aus der Überzeugung heraus arbeiten, dass ich mit jedem Menschen, der das Verlangen dazu hat, tanze. Dann erfülle ich meine eigenen Kriterien, Projekte zu machen, die auf der Gleichwertigkeit basieren. Wenn man offen ist gegenüber allen Personen einer Gemeinschaft und allen Möglichkeiten, die diese bieten, ist es denkbar, einen demokratischen, kreativen Prozess zu schaffen, der auf Gleichwertigkeit beruht.

Improvisation befreit uns nicht nur von Gewohnheiten, sondern erweitert unser Potential, uns selbst auszudrücken, indem sie uns immer mit neuen Situationen konfrontiert. Es entsteht eine neue Art von Bewegung, auf die man antworten und von der man beeinflusst werden kann.

So scheint es sehr einfach, über die Gewohnheiten hinaus zu kommen und neue Wege zu finden, sich aus zu drücken, wenn viele verschiedene Arten von Körpern und Bewegungs- und Denkweisen im Raum sind.

Eine für uns unbekannte Situation schärft unsere Sinne (eine typische Reaktion auf solche Situationen ist Angst). Dann ist eine unterstützende Atmosphäre notwendig, um die Aufnahmefähigkeit zu erreichen.

In diesem Modus der Aufnahmefähigkeit sammeln wir Informationen, welche die Möglichkeit bieten, auf das Wissen unseres Körpers zu reagieren. Diese Kombination aus Unvorhergesehenem und geschärften Sinnen, erhöht die Chancen, neue Arten des Handelns zu finden, die über die normalen Gewohnheitsmuster hinausgehen.

Das Erlernen der Improvisation in einer unterstützenden Atmosphäre führt die TeilnehmerInnen in unbekannte Räume und hilft, diese zu öffnen.

Aus welchen Leuten setzt sich ihr Publikum zusammen?

Es ist die Gesellschaft, die allgemeine Öffentlichkeit. Wir treten jedes Jahr in Schulen für ca. 2000 Kinder im Alter zwischen fünf und zwölf auf, manchmal sind sie auch älter. Weiters performen wir international für tausende von Leuten. Für gewöhnlich im Tanzmilieu, weniger in Institutionen (Behinderteneinrichtungen usw.). Obwohl wir dort arbeiten und auch manchmal etwas aufführen. Des öfteren werden die Aufführungen von 10 - 30% "disabled people" besucht - obwohl ich hoffe, dass diese Kategorisierungen anfangen zu verschwinden.

Wo sehen Sie die Hauptunterschiede der integrativen und der nicht-integrativen Arbeit?

Der Hauptunterschied ist für mich, das Wohlfühlen, wenn ich mit allen Menschen zusammenarbeite und keine bestimmte Trennung und Isolation unterstütze, von der ich glaube, dass sie der Hauptgrund für die Leiden unserer nicht funktionierenden Gesellschaft sind. Die integrative Arbeit ermöglicht es mir, mich im Moment zu finden.

Was sind die Methoden, Techniken, Strategien mit denen Sie arbeiten, welche Impulse stehen am Anfang und wie entwickeln sie Ideen?

Um Verschiedenartigkeit zu respektieren, um den persönlichen Ausdruck zu ermöglichen und eine künstlerische Gemeinschaft durch Bewegung zu bilden, müssen wir mit Elementen arbeiten, die alle gemeinsam haben: die "common denominators" [gemeinsame Nenner], das bedeutet, die Basis der Bewegung und der Kommunikation, die jeder/m innerhalb einer Gruppe zugänglich ist. Was sind die Fähigkeiten der Bewegung und Wahrnehmung, die wir in dieser bestimmten Gruppe teilen und jede/r daran teilhaben kann?

Das kann der Atem sein, die Bewegung der Augen, es kann jede/r in einer bestimmten Art ihre/seine Arme bewegt, dass jede/r hören kann, usw. Die Variationen sind von Gruppe zu Gruppe unendlich.

Das Danceability Warm-up und die Common-Language-Exercices, (ich gehe nun nicht näher darauf ein), sind Übungen, die jede/r machen kann, um die Hauptelemente der Improvisation zu erforschen, ungeachtet der Möglichkeiten der Gruppe. Zunächst lernen wir die eigenen Bewegungen und dann die Bewegungen der anderen kennen, dann die grundlegende Konzepte der Improvisation, was eine Kommunikationsbasis festlegt.

Zu Beginn eines Workshops, während des Eröffnungskreises - Warm-up und Common-Language-Exercices - sucht der/die Vermittelnde jene Personen aus, deren Fähigkeiten der gemeinsame Nenner ist. Dies festzustellen sichert die Weiterentwicklung, in der alle inkludiert, verbunden und präsent sind.

Die Weiterentwicklung- und erforschung auf dem gemeinsamen Nenner basierend, schafft das Grundgerüst der Unterstützung und Kommunikation aller TeilnehmerInnen. Die Fähigkeiten aller werden zugänglich gemacht und genutzt - dies erleichtert den Aufbau von Vertrauen.

Die Übungen, die ich verwende, basieren auf meiner früheren Arbeit der Improvisation, Performanceerarbeitung, gemeinsame Performanceerarbeitung und Kontaktimprovisation. Diese haben sich jedoch weiterentwickelt, wurden adaptiert, zusammengeführt, verändert und es wurde Neues dazugenommen, als ich dann mit den mixed groups gearbeitet habe.

Ein Großteil basiert auf Improvisation, aber auch auf der Reduzierung der Elemente, die der Erforschung der Improvisation dient. Ich entwickelte auch ortsgebundene Choreographien, Straßenperformance, Paraden. Beinahe alle diese Arbeiten stammen aus der Beobachtung der einzigartigen Bewegungsmöglichkeiten und vom Gebrauch der individuellen Körpersprache.

Das übergeordnete Ziel ist dabei, die Menschen mit ihrer eigenen Körpersprache vertraut zu machen, ihnen den Dialog mit anderen zu erleichtern (und dies durch Bewegung und nicht durch Worte) und das Gemeinschaftsgefühl der Gleichwertigkeit zu wecken und bewusst zu machen, wie Gemeinschaft die Umwelt beeinflussen kann.

Wo liegen die Schwierigkeiten, auf die Sie in der integrativen Arbeit gestoßen sind und wie haben sie diese bewältigt?

Eine Schwierigkeit ist es, die Nicht-Abkapselung [non-isolation] zu gewährleisten. Das konnte ich bewältigen, indem ich die Methode des gemeinsamen Nenners festlegte. Vor 10, 15 Jahren war eine Finanzierung der Projekte schwer zu erreichen, weil die GeldgeberInnen nicht glaubten, dass es möglich ist, Programme und Tanzklassen zu veranstalten, ohne diese Menschen zu isolieren oder eine spezielle Zielgruppe zu bilden. Dies wurde durch die Kontinuität der qualitativ hochwertigen Kursangebote erreicht. Weiters ist ein Problem der Finanzierung, dass zusätzliche Kosten in Bezug auf Rollstuhltransporte für Menschen mit Behinderung anfallen, oder HelferInnen benötigt werden, mit denen der/die TänzerIn und die TanzlehrerIn arbeitet. Das versuchen wir zu erreichen, indem wir die GeldgeberInnen vom Wert und der Fairness zusätzlicher Kosten überzeugen. Dennoch ist dies nach wie vor ein Hindernis.

Das schwierigste ist wohl, die grundsätzliche Haltung der Gesellschaft zu bewältigen. Generell basieren Einstellungen auf Vorurteilen den Leuten gegenüber, die oft durch die Einteilung nach Fähigkeiten bestimmt werden. Wir haben versucht, den Menschen Erfahrungen zu ermöglichen, welche ihnen eine fundierte Auswahl [educated choices] gewährleistet.

Eine weitere Schwierigkeit ist, dass viele Leute diese Arbeit in den Therapiebereich stellen und nicht als Kunst verstehen. Mainstream-Tanzfestivals und Mainstream-Performing-arts-Veranstalter willigten nach langer Zeit erst ein, unsere Stücke auf ihre Bühnen zu bringen. Wir haben qualitativ hochwertige Produktionen gemacht, wo die Öffentlichkeit Kunst sehen und der Fokus nicht auf der Behinderung liegt.

Wenn sie sich gegenwärtig in der aktuellen Tanzszene umschauen, werden sie beinahe auf der ganzen Welt Festivals finden, die mixed-abilities-Arbeit mit der all-able-bodied-Arbeit verbinden.

Die Ermöglichung von Tanzausbildungen für behinderte Menschen stellte ein weiteres Problem dar. Joint Forces behandelt dieses Thema nicht nur, indem sie AnfängerInnen unterrichtet, sondern auch LehrerInnen Fortbildungen anbietet, welche Lehrinhalte wie Führung einer integrativen Tanzklasse bis hin zur Materialfindung enthalten.

Es ist immer noch ein weiter Weg konventionelle Tanzkurse für Menschen verschiedenster Behinderungen zu öffnen.

5.2.6 Persönliche Eindrücke

Anfangs war meine Scheu und Angst gegenüber den Anderen, dem Anders-artigen groß. Bei DanceAbility wurde mir sehr schnell ein persönlicher Zugang zu Menschen mit Behinderung eröffnet, der im Alltag so nie möglich gewesen wäre. Alito arbeitete mit einer hohen Sensibilität, scheute sich vor keinem Experiment und beeindruckte mich durch seine offene, selbstverständliche Art gegenüber allen TeilnehmerInnen.

Auch meine erste Erfahrung mit Kontaktimprovisation war eine Herausforderung. Spannend dabei war das Finden einer gemeinsamen Sprache - einer Bewegungssprache. Tanzen in ständiger Berührung mit einem anderen Menschen, egal ob im Rollstuhl, mit oder ohne Arme empfand ich als neues Erleben meines Gegenübers und auch des Tanzes selbst. Das Verzichten auf vorgegebene Formen und das Entwickeln von eigenen Formen unmittelbar aus der gemeinsamen Bewegung, machten für mich den individuellen Ausdruck der TänzerInnen nicht nur sichtbar, sondern auch fühlbar.

Mir wurde bewusst dass Tanz viel mehr ist, als schöne Bewegungen, Akrobatik und Technik. Tanz wurde für mich erstmals bei DanceAbility wirklich spürbar als verbindende Kraft, als eine Form, sich auszudrücken und sich wertfrei zu begegnen. Tanz wurde für mich eine Ebene kreativen Ausdrucks, auf welcher jeder Mensch sich selbst sein darf.

5.3. ELEMENTE EINER NEUEN ÄSTHETIK IM INTEGRATIVEN TANZ

5.3.1 Auflösung tradierter Wahrnehmungsmuster

Peter NIEDERMAIR stellt sich zunächst die Frage, ob Stücke von Menschen mit Behinderung als Kuriositäten, sozusagen als analytische, quasi medizinische Zurschaustellung zu sehen sind. "Es wird wohl von der Kunst der Darstellung abhängen, und die Schwächen dieses Tanzgenres, dachte ich mir anfänglich, werden wahrscheinlich höflich übergangen, wie man vieles andere auf den Brettern der Bühne Gebotene in der Darstellung von Nichtbehinderten auch übergeht. (...) Es hat viel mit allgemeinen Bildern und tradierten Vorstellungen zu tun, d.h. mit eigenen Wahrnehmungsmustern."[130] Für gewöhnlich versteht man Tanz als eine künstlerische Form, körperliche Bewegungen in immer perfekterem und technisch ausgereifterem Gestaltungsmittel zu übersetzen und inszenieren. Es gibt Tanzformen, die innerhalb ihrer eigenen Logik eines klar definierten Bezugssystems funktionieren. "Jede individuelle Tanzform oder Schule mag auch aus anderen Systemen zitieren und Teile integrieren, im wesentlichen Kern sind sie jedoch definiert durch die Art ihrer Grenzen. Und diese Definitionen sind in der Regel ästhetischer Natur."[131]

Es ist aber ein neuer Umstand, wenn diese Grenze sich über eine körperliche Beeinträchtigung definiert. Für NIEDERMAIR liegt die Logik dieser Grenze in der Wahl der ästhetischen Mittel oder in der physischen Einschränkung. "Die Kunst, die Alito und Emery demonstrieren, kommt ohne Mitleid aus, es gelingt den beiden, einen atemlosen, künstlerischen Spannungsbogen bis zum Ende durchzuhalten."[132]

Der integrative Tanz verlangt somit - wie jeder neue Tanz - ein anderes, besonderes Hinschauen. Nicht darum, weil er integrativ ist, sondern vielmehr weil er unvertraut ist, benötigt er große Offenheit und eine hohe Konzentration der Wahrnehmung.

An dieser Stelle wird auf den von Wolfgang WELSCH verwendeten Wahrnehmungsbegriff verwiesen, der diesen in einem umfassenden Sinne, als "Gewahrwerden", "Für-Wahr-Nehmen", "Einsicht" versteht.[133]

Er spricht weiters vom Auflösen der archetypischen Schemata und sieht die Aufgabe der modernen Kunst darin, diese Schemata, kulturelle Grundbilder, die uns prägen und unser Handeln bestimmen, zu öffnen und immer wieder zu erneuern.

In diesem Sinne können integrative Kunstprojekte die gesellschaftliche Wahrnehmung erweitern und bereichern.

5.3.2 Eine neue Ästhetik

"Wenn ich mich entschließe, mit körperbehinderten Menschen zu tanzen, muss ich eine andere, neue Ästhetik entwickeln."[134]

Von ihren VorgängerInnen beeinflusst haben Wolfgang STANGE und Alito ALESSI ihre eigene Ästhetik gefunden und weiterentwickelt. An dieser Stelle muss differenziert werden zwischen der ästhetischen Strömung des deutschen Ausdruckstanzes, von der Wolfgang STANGE geprägt wurde, und ALESSIS postmodern dance, bei dem der Tanz eine ganz andere Körpersprache gefunden hat (z.B. Kontaktimprovisation). STANGE arbeitet in seiner Company mit Menschen verschiedenster, sowohl geistiger, als auch körperlicher Behinderung, was seine Bühnenästhetik anders beeinflusst, als es sich bei ALESSI darstellt, der beinahe ausschließlich mit Menschen körperlicher Behinderung tanzt.

Ein gemeinsames Merkmal ihrer eigenen Art ist wohl der persönliche Ausdruck, die Weiterentwicklung des Individuums im Entdecken und Sprengen der eigenen Grenzen, welche von Behinderungen ausgehen. Diese scheinen das Potential der behinderten KünstlerInnen zu sein und werden von den beiden Choreographen erforscht. Wichtig dabei ist, die eigene Art der TänzerInnen zuzulassen. Adam BENJAMIN, Tänzer und Choreograph des Londoner Ensembles CandoCo beobachtet :

"I have seen professional work in which disabled people have been given no opporunity to explore their physicality or make a significant contribution. Where no matter how well intenioned their inclusion, their presence evokes on a sense of tokenism."[135]

5.3.3 Der imperfekte Körper

Für Gabriele KLEIN beginnt eine radikale Erneuerung, eine Renaissance des Körperverständnisses im Tanztheater der 70er Jahre. Wie bereits zuvor im Kapitel Tanztheater kurz erwähnt, wird hier der Körper als Produzent, Instrument und Resultat gesellschaftlicher Machtverhältnisse zum Gegenstand des Interesses. Für KLEIN zielt die im Tanztheater aufgezeigte körperliche Begrenzung auf eine andere Ästhetik, auf eine veränderte Wahrnehmung menschlichen Verhaltens. Für sie ist der spielerische Umgang mit einem verinnerlichten Normen- und Wertesystem eine Suche nach einer neuen sinnlichen Erfahrung jenseits des selbstbeschränkenden körperfeindlichen Alltags. Ziel ist dabei vielmehr, über eine veränderte Wahrnehmung Assoziationen zu wecken und eine neue Sinnenordnung zu konstruieren. Schlussendlich bedeutet dies, sich auf das unmittelbarste Mittel des Tanzes - den Körper - zurück zu besinnen und das Tanzen selbst wieder zu erlernen. "Der Weg zu einer (Wieder-)Entdeckung der körperlichen Potentiale beinhaltet gleichzeitig, die neuzeitliche Geschichte der Tanzkunst ihres verkünstelten und idealisierten Charakters zu entheben, ohne allerdings, wie im Ausdruckstanz einer rückwärtsgewandten Utopie zu verfallen".[136] Es geht Gabriele KLEIN vielmehr darum, neue tanzästhetische Elemente ausfindig zu machen, deren Bewegungssprache den gesellschaftlichen wie körperlichen Erfahrungen der einzelnen TänzerInnen erwachsen. Dabei werden Grenzen der konventionellen Tanzästhetik überschritten und zugleich auf Rationalität und Subjekthaftigkeit besinnt. Der Körper kehrt als Subjekt zurück.

"Über die spielerische Suche nach den Bewegungsmöglichkeiten des Körpers zielt der Tanz nicht nur auf eine andere Logik und auf eine Praxis ohne objektivierbare Ziele, sondern kann zugleich als Ausdruck des Anderen, des Fremden, des Unterdrückten oder des Neuen seine Wirksamkeit entfalten. Gerade dort, wo antiklassische, grenzüberschreitende Techniken bevorzugt werden, dient die unorthodoxe Suche nach der Freiheit des Körpers dazu, den Körper zum Handeln zu bringen, die Geschichte seiner Unterdrückung und Verdrängung selbst aufzuzeichnen und zu gestalten."[137]

Weiters ist für KLEIN die Sprache des Körpers sozial kodiert. Der Körper übernimmt eine Dolmetscherfunktion zwischen Innen und Außen, zwischen dem ICH und der Gesellschaft.

Für Daniel ASCHWANDEN scheint die Tatsache behinderte Körper auf die Bühne zu stellen, eingeschleifte Tabus zu berühren. Er sieht die Stellung von Menschen mit Behinderung in der (Kunst-)Gesellschaft wie folgt: "Da werden diese Behinderungen ausgestellt - die Menschen benutzt, mit Mitleid gespielt, das lenkt von der wirklichen Kunst ab - ein behinderter Mensch wird immer nur einen behinderten Menschen, also sich selbst spielen können."[138]

Diese Aussagen umreißen das Spannungsfeld und zeigen gleichzeitig Gefahren auf, die entstehen, wenn Menschen mit Behinderung als AkteurInnen arbeiten. Für ASCHWANDEN wird im Tanzbereich sogar prinzipiell einem Körperkult gefrönt, welcher selbst viele der normalen Tanzkörper ausschließt. Grundsätzlich würden solche Aussagen eher die persönlichen Ängste und Verunsicherungen der normalen Menschen verdecken. ASCHWANDEN setzt den Ausschluss der Behinderung mit dem Ausschluss aus der Gesellschaft gleich. Das Überraschende daran ist, dass der Ausschluss von Menschen mit Behinderung weniger aufgrund bestimmter Definitionen passiert, als durch die Macht des Faktischen.

Unter dem Gesichtspunkt des imperfekten Körpers, der seine Legitimität in der Tanzkunst immer wieder neu sucht, sind Bühnenstücke von Menschen mit körperlicher aber auch geistiger Behinderung zu finden. Denn im Tanz wird der Körper sichtbar, wie in keiner anderen Kunstform. Des weiteren wird also auch die körperliche Behinderung, ohne es oft zu wollen, automatisch zum Blickfang der ZuschauerInnen. Gerade hier kommt es zu Fragestellungen nach Ästhetik, was ist schön, was darf dem / der ZuschauerIn zugemutet werden. Kommt es hier nicht zu einer neuen Ästhetik, die den weitgedeuteten Begriff wiederum zu verändern scheint? Wie also ist nun ein imperfekter Körper, ein Körper mit Deformierungen, in der allgemeinen Tanzästhetik einzuordnen?

In westlichen Gesellschaften wird Körperlichkeit zugleich domestiziert und marginalisiert. Bewegungsabläufe sind gekennzeichnet von der sozialen, kulturellen und der äußeren Umwelt. Überall scheint es unsichtbare Bequemlichkeitsfallen zu geben. Jugendlichkeit in ihren körperlichen, äußeren Designer-Dimensionen genießt Kultstatus, und wenn man diese verliert, hängt man ihren künstlichen Attributen nach und übertüncht sie mit Make-up und allen möglichen Varianten kosmetischer Chirurgie. Wenn es also normal zu sein scheint, dass Körperlichkeit, die nicht den Schönheitsidealvorstellungen entspricht, marginalisiert wird, dann führen Menschen mit körperlicher Behinderung noch um vieles mehr ein isoliertes Leben.

"Was ist überhaupt ein normaler Körper? Der zeitgenössische Tanz demokratisierte den Körper. Aber was ist mit all den unnormalen Körpern?"[139]

In den letzten Jahren hat sich der behinderte Körper in der allgemeinen Tanzszene zu etablieren versucht. Einerseits treten Phänomene des sich selbst Be-hinderns von professionellen TänzerInnen auf, die auf der Suche nach neuen Bewegungsqualitäten sind, andererseits gibt es TänzerInnen die gerade aufgrund ihrer Behinderung die Norm des allgemeinen Tanzverständnisses sprengen. Auch Dietmar KAMPER stellt fest : "Erst heute ist das Verhältnis von Verbalsprache und Nonverbalem und das bewusste Ausstellen der Ambivalenz von Im / Perfektion als sogar konstitutiv für den Tanz anerkannt worden. Seine Revolte beruhte auf der Betonung der Selbstreferenzialität des Tanzes. Der Tanz als eigene Sprache, eigene Kultur, mit einem eigenen Bewegungskodex konnte so auch - trotz eines normativen Diktats von Schönheit und Eleganz - körperlich beeinträchtigte Menschen konsequent in seine Reihen aufnehmen [...]."[140]

5.3.4 Bewegungsvokabular

Für ALESSI trägt der integrative Tanz zur Erweiterung der Tanzästhetik bei, da er durch Menschen mit körperlichen Behinderungen und dadurch verschiedenen Bewegungsqualitäten neues Bewegungsvokabular für sich finden kann. Es werden eigene Grenzen entdeckt, die durch gemeinsames Tanzen ausgelotet und überbrückt werden können.

ALESSIS Stärke ist wohl das Finden neuer Bewegungsformen, welche sich den Gegebenheiten des/r Einzelnen anpassen und oft auch aus der Situation heraus entstehen.

"Als zu einem Workshop in Österreich eine Frau in ihrem Bett angefahren kommt, die nur ihren Kopf bewegen kann, fordert ALESSI alle 75 TeilnehmerInnen dazu auf, zunächst nur mit ihren Atembewegungen, Augen und ihrem Kopf zu tanzen, um diese Ausdrucksmöglichkeiten zu erkunden. Später lässt er Paare bilden, in denen jeweils eine Person mit den Augen die andere Person in ihren Bewegungen durch den Raum "führt" und dabei durch die Augenbewegungen verschiedene Dynamiken oder Stimmungen vorgibt. ‚So now a person who cannot move anything but their eyes is a choreographer, is a director moving people in space. Power. Selfempowerment'."[141]

Es entsteht eine neue Ästhetik, die gleichzeitig den zeitgenössischen Tanz beeinflusst. "Es hat sich schon viel verändert, schon ‚nur' beim anders Schauen und Denken. Integrativer Tanz sagt auch, dass Tanz erlernbar ist, auch wenn ich keinen perfekten Körper habe."[142]

5.3.5 Mut zur Langsamkeit

Wenn TänzerInnen mit spastischen Bewegungen ihrem Tanz Ausdruck verleihen, steht oft die Zeit still. Es scheint, als würde eine Grenze von Zeit und Raum durchbrochen. In ihrer Langsamkeit durchbrechen sie das für gewöhnlich im Tanz Dynamische und Schnelle. Es entsteht eine neue Art von Slow-Motion, eine eigene Qualität, die wir in unserer schnelllebigen Zeit beinahe nicht mehr auszuhalten scheinen. Bewegungen mit einer behutsamen und ausdrucksstarken Langsamkeit, die für Menschen ohne Behinderung oft neu erlernt werden müssen.

Im folgenden soll der Bogen von den Künstlern Wolfgang STANGE und Alito ALESSI zu regionalen Projekten in Österreich gespannt werden. Drei von ihnen wurden mehr oder weniger von deren Arbeiten und Ansätzen beeinflusst.



[98] Salmon, S.: 1999, 55.

[99] Salmon, S.: 1999, 55.

[100] Hirschbach, D.: 1990, 63.

[101] Stange, W. : 1999

[102] Stange, W. : 1999.

[103] Koutecký, Filmdokumentation 1993.

[104] Stange, W.: , Telefongespräch, 2001.

[105] Stange, W.: (zit. nach: Wolf-Perez, E.: 1995, 127).

[106] Stange, W.: (zit. nach: ebd.).

[107] Vgl. Salmon, S.: 1995 / 1996.

[108] Stange, W. (zit. nach: Salmon, 1999, 56).

[109] Stange, W. (zit. nach: ebd.)

[110] Stange, W. (zit. nach: Wolf-Perez, E.: 1995, 124).

[111] Salmon, S.: 1999, 57.

[112] Salmon, S.: 1999, 57.

[113] Wolf-Perez, E.: 1995, 127.

[114] Begle, N.: 2000.

[115] Pajtler, B.: 2000.

[116] Stange, W.: 1999.

[117] Alessi, A.: aus: @-mail vom 26. 02. 2003.

[118] Alessi, A.: (in: Kursbeschreibung bei "Internationale Tanzwochen Wien 2000").

[119] Siehe auch Kapitel 4.4.2.

[120] Brinkmann, U.: 1990, 19.

[121] Smith-Stark, N.: (zit. in: Kaltenbrunner, T.: 1998, 24).

[122] Kaltenbrunner, T.: 1998, 33.

[123] Vgl. ebd. 33 - 38.

[124] Keriac: (zit. in: Kaltenbrunner, T.: 1998, 34).

[125] Paxton, S.: (zit. nach: Kaltenbrunner, T.:, 1998, 39).

[126] Buchner, E.:1997.

[127] Alessi, A.: @-mail vom 14. 05. 2001.

[128] Ebd.: @-mail vom 26. 02. 2003.

[129] Alessi, A.: @-mail vom 26. 02. 2003.

[130] Niedermair, P.: 1993, 6.

[131] Ebd. 6.

[132] Ebd.

[133] Vgl. dazu die Ausführungen in Kapitel 4.1.2.

[134] Sabatin, U.: Interview ,17. 02. 2003

[135] Benjamin, A.: 2002, 16.

[136] Klein, G.: 1992, 249.

[137] Ebd., 275.

[138] Aschwanden, D.: 1996, 2.

[139] Talpaz, D.: 2001, 24.

[140] Kamper, D.: 2001, 28.

[141] Alessi, A.: (zit. nach Schmitt, B.: 1996, 93-94).

[142] Sabatin, U.: Interview vom 15. 02. 2003

6 INTEGRATIVER TANZ IN ÖSTERREICH

6.1. EXEMPLARISCHE VERTRETERINNEN

6.1.1 Bilderwerfer

Jeder Körper ist perfekt! Wider den perfekten Körper!

Die erste Begegnung des künstlerischen Leiters der Performancegruppe Bilderwerfer Daniel ASCHWANDEN mit Alito ALESSI fand 1992 im Rahmen eines Workshops in Köln statt. Es folgte eine Teilnahme am Danceability Teacher Training in Oregon der Urbesetzung von Bilderwerfer, Christian POLSTER, Conny SCHEUER, Elisabeth LÖFFLER und Daniel ASCHWANDEN. Die Arbeit ALESSIs ist als Struktur in ihren Workshops präsent - herausragend ist dabei, dass ihr implizit ist, sich laufend weiter zu entwickeln. "Jede ‚Behinderung' ist ein eigenes Universum, das bestimmte Inhalte in der Arbeit suggeriert, einfordert und damit immer wieder neue, spezifische Übungen generiert. Sie ist - wie die Kontaktimprovisation - ein Beispiel von "open source" im Tanzbereich - alle Interessierten arbeiten latent an Verbesserungen und neuen Anwendungen"[143]. Ein Unterschied zu ALESSI ist, dass dieser vorwiegend mit Menschen mit körperlicher Behinderung Workshops veranstaltet hat, Daniel ASCHWANDEN jedoch auch mit Menschen mit geistiger Behinderung.

ASCHWANDEN, 1959 in der Schweiz geboren, ist Video-, Performancekünstler und Choreograph. Eine intensive Beschäftigung mit asiatischen Kampfsportarten, Butoh, Kontaktimprovisation und Schauspiel stellen die Grundlage seiner Arbeit dar.

Beginn

Zum Körperintegrationsprojekt gelang ASCHWANDEN eher zufällig. Zwar hatte er in seiner tänzerisch / performerischen Arbeit bereits die Intention, sich gegen das Diktat der "perfekten" Körper im Tanz zu stellen, hatte auch eine Performance mit Senioren realisiert, war aber zu diesem Zeitpunkt weit davon entfernt, an ein "Behinderten"-Projekt zu denken.

Als der Chef einer kleinen Firma, die u.a. Plastikobjekte für Kunstprojekte herstellt, ASCHWANDEN fragte, ob er nicht einmal einen seiner Angestellten, der Tänzer war, kennenlernen wollte? So machte er die Bekanntschaft mit einem Mann, der Down-Syndrom hatte und ihm im Arbeitskittel, nach Aufforderung ASCHWANDENs, gleich etwas vortanzte. Es war Christian POLSTER, der ASCHWANDEN gleich von Beginn an beeindruckte. "[...] dabei trug er seine Choreographie mit hoher Konzentration und einer erstaunlichen Präsenz vor. Ich war überrascht von seiner Präzision und berührt von seiner Ausdruckskraft, umso mehr, als es mir zuvor äußerst schwer gefallen war, seine Aussprache zu verstehen."[144]

Aus einem Interesse an der Sprache alltäglicher Körper und dem Widerstand gegen das Diktat des "perfekten" Körpers im Tanz begann Daniel ASCHWANDEN 1992 seine Zusammenarbeit mit Christian POLSTER. Es entwickelte sich 1994 die Company Bilderwerfer aus zunächst sechs TänzerInnen, drei von ihnen mit, drei ohne Behinderung : Conny SCHEUER, Christian POLSTER, Elisabeth LÖFFLER, Sabina HOLZER, Yosi WANUNU, Daniel ASCHWANDEN.

Seither produzierte die Gruppe kontinuierlich, ihre Performances wurden bei zahlreichen internationalen Tanz- und Theaterfestivals in Europa und den USA mit großem Erfolg aufgeführt. Daneben eroberte Bilderwerfer mit Installationen und Events on location den öffentlichen Raum. Die PerformerInnen verbinden in ihren Produktionen unterschiedliche Medien (wie Video, Live-Musik, Projektionen) mit einem Körpertheater, das sich an New Dance- und Schauspieltechniken orientiert. Dabei experimentieren sie mit Methoden der Kontaktimprovisation, des Method-Acting und der Stimmarbeit. In der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen intellektuellen und körperlichen Ausdrucksformen entwickelt Bilderwerfer neue ästhetische Ansätze und innovative Bewegungstechniken, die das klassische Körperbild im Tanz grundlegend verändern.

Derzeit erarbeiten Bilderwerfer im Rahmen des Festivals sinnlos der Kulturhauptstadt Graz die Produktion ppp (pretty public privacy), das im Juni 2003 zur Aufführung kommt.

Pressestimmen

"Sie sitzt vor dir, sieht dich von unten herauf an und fragt: ‚Hatten Sie schon einmal harten Sex im Rollstuhl?' Ihr Blick bleibt noch kurz an dir hängen, dann greift sie in die Räder und fährt weg, zu einem anderen. Und sie sagt etwas zu ihm, aber du verstehst nicht, was.

Daily Secrets, das neue Projekt der Tanzperformance-Company Bilderwerfer, kratzt an einem Tabu oder zumindest an etwas, worüber weder gern geredet noch nachgedacht wird. Und das hat zwei Komponenten: einmal Sex. Darüber wissen wir alles, und zwar wirklich; und was uns daran gefällt, haben wir ausprobiert. Hart und zärtlich, schmutzig und im Seifenschaum und so weiter.

Zweite Komponente: verkrümmte, verkürzte und teilweise geschwächte Körper. Darüber wissen Leute ohne sichtbare Handicaps weniger als über Sex - einfach weil Sex vielen als erstrebenswert gilt, ein gelähmtes Bein aber nicht. Wir wissen um die Unvermeidlichkeit des Altern. Früher oder später werden unsere Körper ramponiert sein - daran zu denken ist nicht angenehm.

Und Sex im Rollstuhl? Der aus der Schweiz stammende Wiener Choreograph Daniel ASCHWANDEN und sein Dramaturg Harald BEGUSCH haben die behinderten und nichtbehinderten PerformerInnen ihrer Company Bilderwerfer in ein riskantes Abenteuer geführt. Ihre neue Arbeit, Daily Secrets, fordert besonders von den beiden Tänzerinnen im Rollstuhl, Conny Scheuer und Elisabeth Löffler, mehr Selbstpreisgabe als sämtliche vergleichbaren Stücke, die ich bisher gesehen habe. [...]

Wenn Christian POLSTER, der mit einem Down-Syndrom geboren wurde, und Elisabeth LÖFFLER mit ihren Stöcken sich über Begattungslautspiele lustig machen oder die Frauen in ihren Rollstühlen über die Qualitäten der Ärsche von Gehern fachsimpeln, geraten wir in jene tiefgründigen Bereiche, die wir schon bei Lars von Triers Krankenhausparabel Riget (Geister) gesehen haben. [...] . Zwei Behinderte waschen da in den Kellern des riesigen Reichskrankenhauses Schmutzgeschirr und kommentieren das tragikomische Geschehen mit philosophischer Schärfe.

Die Bilderwerfer haben sich verändert. Daniel ASCHWANDEN, der auch in die Planung des Tanzhauses involviert und hartnäckig auf der Suche nach neuen Performance-Möglichkeiten ist, konzentriert die Arbeit seiner Truppe stark in Richtung einer sehr offenen Untersuchung der Intimzonen am Gesellschaftskörper."[145]

Stephan HILPOLD über das Stück Titus Andronicus - Ein Haufen Schund nach W. Shakespeare : "Erstochen, geköpft, vergewaltigt, abgeschlachtet, zu Pasteten verarbeitet". Jeder Bluttat folgt ein Racheakt, jedem Racheakt eine neue Bluttat. Weswegen dieses Frühwerk wohl weniger eine Tragödie als ein Gemetzel genannt werden sollte. T. S. Eliot drückte sich sogar noch etwas forscher aus: Für ihn war der "Titus" schlicht "eines der dümmsten und uninspiriertesten Stücke, das je geschrieben wurde".[...]

Eine höchst jammervolle römische Tragödie, nannte Shakespeare sein Machwerk. Dem ist auch nach der bereits zweiten "Titus-Version" von toxic dreams und Bilderwerfer (ein erster Versuch wurde im Vorjahr gezeigt) nicht viel hinzuzufügen. Die Konzepte der beiden Wiener Off-Truppen, die dieses Projekt koproduzieren, gehören zu den ambitionierteren der Stadt. Solange sie aber auf solch stümperhafte Art und Weise daherkommen, fällt es schwer, sich damit auseinander zu setzen."[146]

6.1.1.1 Interview mit Daniel Aschwanden

Wie werden Stücke bei Bilderwerfer erarbeitet?

Meistens wird eine konzeptuelle Linie vorgegeben, die von mir / und oder Yosi Wanunu, einem Regisseur, der seit Jahren mit den Bilderwerfern zusammenarbeitet, stammt. Es gibt / gab immer auch das Konzept, GastchoreographInnen, RegisseurInnen einzuladen - dies scheiterte allerdings in den letzten Jahren an Finanzknappheit. Die Umsetzung erfolgt gemeinsam mit den DarstellerInnen, die sich mit persönlichem Material stark einbringen.

Wie suchen Sie sich ihre DarstellerInnen aus?

Nach welchen Kriterien würden sie bei Auditions vorgehen?

Der Kern der Gruppe "fand " sich durch Begegnungen - und dieses Prinzip scheint zu halten:

In Havanna etwa stieß ich auf die kubanische Tänzerin mit körperlicher Behinderung Janel BARBEITO. Ich mag Workshops ganz gerne als Möglichkeit zum "talent-scouting" - sie erlauben einen unbelasteten Einblick in ein Arbeitsverhalten während eines Prozesses - ich halte eigentlich nicht viel von Auditions.

Wie war die Akzeptanz ihrer Stücke in der Öffentlichkeit im Vergleich zum

Anfang und heute?

Anfangs wurden die Stücke als Sozialarbeit marginalisiert, zwischenzeitlich waren wir ziemlich akzeptiert, weil wir den Faktor der Behinderung einiger PerformerInnen ausstellten / vermarkteten. Und auch gerade im "Ghetto" der Behinderten-Szene sehr erfolgreich.

Nachdem unsere Stücke aggressiver und experimenteller und fürs Publikum fordernder wurden, gerieten wir in eine Art Vakuum, aber mit Tendenz, als Kunstprojekt anerkannt zu werden. Nach 8 Jahren löste sich die Gruppe als fixes Ensemble auf - mit ein Faktor der jahrelangen Unterfinanzierung, welche zum Beispiel keine Nachwuchsförderung erlaubte. Gegenwärtig arbeiten wir in flexiblen Konstellationen projektbezogen weiter.

Unsere Stücke, die zunehmend einen Installationscharakter tragen und hybride Formen zwischen Tanz / Performance / Theater und Medienkunst sind, werden nur schwer rezipiert, weniger von einem (jungen) Publikum, als von der Kritik, die offenbar eine Arbeit mit sozialem Touch und experimenteller Ausrichtung nicht verorten und kontextualisieren kann.

Jüngstes Beispiel (im Jahr der Behinderung 2003!) der (Tanz)Beirat des Bundes hat uns nach 6 Monaten Wartezeit und mehreren Besprechungen ausrichten lassen, er fühle sich nicht kompetent, unsere Arbeit zu beurteilen. Das bedeutet konkret: einstweilen kein Geld.

Der Beirat der Stadt Wien hat nach einem Kürzungsvorschlag von 50% im letzten Jahr, der dank Intervention auf 30 % zurückgenommen wurde, eine weitere Kürzung von 30 % im laufenden Jahr empfohlen. damit steht die Bilderwerferinfrastruktur an der Schwelle zum Zusammenbruch.

All dies, obwohl Bilderwerfer in den letzten 4 Jahren jedes Jahr mindestens eine Produktion mit internationalen Geldern bestreiten konnte...

Inwieweit, denken Sie, sollten Stücke mit behinderten KünstlerInnen auch als solche deklariert werden?

Das lässt sich nur schwer grundsätzlich beantworten Ich / wir haben es längere Zeit nicht getan, aus politischen Gründen - weil ein professioneller Arbeitsansatz mit dem inhaltlichen Konzept eigentlich reichen sollte. Weil die Vermarktung eine Tendenz hat, die Arbeit im selben Ausmaß zu marginalisieren, wie sie zu transportieren.

Vermutlich muss man diese Frage immer wieder neu stellen - und unter geänderten Bedingungen neu beantworten. (Dazu gehört auch eine Änderung der politischen Rahmenbedingungen). Im selben Jahr in dem Bilderwerfer nach beinahe 10 Jahren Arbeit vom Bund um 70 % gekürzt wurde, arbeitete Renato ZANELLA (Wiener Staatsopernballett) für zwei oder drei Wochen mit behinderten Menschen, präsentierte ein von der Wahl der Zeichen höchst fragwürdiges Stück, wurde bejubelt und erhielt ein paar Monate später den Orden der Republik (für Kunst und Wissenschaft) - während dieselbe Regierung massiv die Lebensbedingungen für behinderte Menschen beschnitt, z.B. durch Kürzung der Beiträge für Assistenz, die ein autonomes Leben ermöglichen würde, bis hin zur Besteuerung der Renten... (und das aber politisch durch eine sogenannte ‚Behindertenmilliarde' abfederte, welche allerdings nie voll ausbezahlt wurde...)

Denken Sie, dass der integrative Tanz die allgemeine Tanzästhetik verändert / erweitert?

Ich vermute, eine allgemeine Tanzästhetik gibt es nicht mehr.Der integrative Tanz schafft neue Kontexte - und erweitert somit den Kanon der (Tanz) Ästhetik - auf wohl mehreren Ebenen.

6.1.2 Verein i n t a k o

Entstehung

Einer ersten Begegnung mit Alito ALESSI in Deutschland folgte eine Einladung für die Tänzerin und Tanzpädagogin Ursula SABATIN und den Pädagogen Bertram MEUSBURGER nach Oregon (USA) zu einer DanceAbility-Veranstaltung. Nach einem dreiwöchigen intensiven Austausch in den Staaten wurde Neugierde zur Begeisterung und es entstand der Wunsch, die Arbeit ALESSIS in Vorarlberg vor zu stellen. Georg FEUERSTEIN, der Leiter des Studios für ganzheitliche Bewegung Drehpunkt in Bregenz, war mit Ursula SABATIN und Bertraum MEUSBURGER einer der MitorganisatorInnen des ersten DanceAbilityfestivals 1993 in Österreich. Mit nur vier Monaten Zeit und der Unterstützung vieler freiwilliger HelferInnen konnte das Projekt verwirklicht werden. Die OrganisatorInnen brachten bedeutende Persönlichkeiten wie Alito ALESSI, Emery BLACKWELL sowie KünstlerInnen aus den USA und Europa eine Woche lang nach Bregenz. Peter NIEDERMAIR schrieb 1993 über das Festival : "Die Veranstaltung war ein Riesenerfolg, sowohl Workshops als auch Vorstellungen waren überlaufen. Der Erfolg dieser Veranstaltung mag auch ein Zeichen der Zeit sein, in der so viel über Integration und Ausgrenzungen die Rede ist. Und doch, es war mehr als das. Grenzen und Definitionen von Normalität und Nichtnormalität begannen zu verschwimmen"[147]

Zur Geschichte [148]

Was 1993 mit dem ersten "DanceAbility-Festival" Österreichs begann, wurde zu einer ganzjährigen Auseinandersetzung über verschiedenste Veranstaltungen. Tanzworkshops für Kinder und Erwachsene, Performanceaufführungen, Schulveranstaltungen, Tanz-Jams, Diskussionsrunden und Fotoausstellungen in ganz Vorarlberg zählten zum vielfältigen Programmangebot des Vereins. Die eigene intako Company produzierte abendfüllende Stücke. Es vermehrte sich die Zusammenarbeit mit Künstlern und Künstlerinnen aus den verschiedensten Sparten (Malerei, Literatur, Musik, Video). intako wurde mit der Zeit zu einer internationalen Anlaufstelle für Themen im Bereich Tanz, Kunst und Integration.

Nach dem erfolgreichen Festival wurde 1994 ein Verein, vorerst Verein Danceability, dann Verein intako, gegründet, um die Arbeit, die auch von SubventionsgeberInnen als zwingend förderungswürdig eingestuft, und auch des späteren mit einigen Förderpreisen bedacht wurde, kontinuierlich fortgesetzt. Der Name intako steht für Integration und Internationalität, für den zeitgenössich-künstlerischen Tanz sowie für Kontaktimprovisation und Kooperation.

In den Jahren 1994 bis 1997 folgten jedes Jahr Tanzfestivals, die sich immer mehr von den amerikanischen PionierInnen ablösten. KünsterlInnengruppen, wie die Bilderwerfer (Wien), das CandoCo Education Team (London), die HandiCapace Kompanie (Ludwigsburg), Contact 17 (Hamburg) und Karen Nelson (Diverse Dance, Washington), die international für Aufsehen sorgten, weil ihre Arbeit eine eindeutige Weiterentwicklung der Pionierarbeit Alessis beinhaltet, kamen auf Einladung intakos zu dessen jährlich stattfindenden Festivals nach Vorarlberg.

Der Verein intako versteht sich als "Verein für zeitgenössischen Tanz" und wollte diesen dem Vorarlberger Publikum näher bringen. Die zeitgenössische Entwicklung beim Publikum machte VeranstalterInnen und GeldgeberInnen jedoch einen Strich durch die Rechnung. Bereits in den Jahren 1996 und 1997 wurden die Publikumszahlen, trotz hochkarätiger Besetzungen und eigenen Produktionen immer weniger. Das Interesse der Öffentlichkeit schien zu schrumpfen und wenn ZuschauerInnen kamen, waren es meist dieselben.

In einem 1999 veröffentlichten Artikel gehen Brigitta SORAPERRA und Bertram MEUSBURGER fundamentalen Fragen nach:

"Oder ist es doch so, dass die behinderten TänzerInnen über die Spektakularität eines ersten Auftritts hinaus nicht als KünstlerInnen mit Aussagekraft ernst genommen werden und diese zeitgenössische Kunst doch zu anstrengend ist? Oder spiegelt das mangelnde Interesse der Öffentlichkeit an der Kunstform Tanz einen Zeitgeist, der im gesamten Kunstbereich festzustellen ist?"[149]

intako reagierte auf diese Situation, denn Ziel war es, für die breite (kunstinteressierte) Öffentlichkeit und letztlich für jeden Menschen, dessen Leben von der Ausgrenzung von Abnormitäten betroffen ist, zu arbeiten.

Im Oktober 1998 fand ein Symposion zum Thema "Integration-Kunst-Integration" statt, wo sich der Verein solchen Fragen stellen wollte. Es wurden Menschen aus den verschiedensten Bereichen von Kunst und Integration eingeladen, ein Konzept für ein gemeinsames Symposion zu entwickeln. Im Laufe der arbeitsreichen und unterschiedlich erfolgreichen Jahre, hatten sich eine Reihe von Fragen angehäuft, die intako öffentlich diskutieren wollte, da man zur Einsicht gekommen war, dass diese nicht nur den Bereich der "integrativen Kunst", sondern die zeitgenössische Kunst generell betreffen.

Nach dem Laboratorium I 1998 fand im Jahr 1999 das Laboratorium II statt, das dazu dienen sollte, für das geplante Symposium Freaks in der Kunst ein inhaltliches und organisatorisches Konzept zu entwickeln.

2000 brachte das Symposium über Kunst und Integration Freaks in der Kunst fünf Tage lang Menschen aus verschiedensten Ländern nach Vorarlberg. Auf dem Programm standen neben Tanz- , Theater- , und Kabarettaufführungen auch Lesungen, Filme, Ausstellungen und Diskussionsrunden. Diese hinterließen Spuren, regten zum Denken und Fragen an und gaben Anstoß für eine Auseinandersetzung, welche Anregungen Menschen mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen einander geben können und welche neuen Pfade die Kunst eröffnet.

Ein Teil der geplanten Veranstaltungen mussten aufgrund der geringen Anmeldungen abgesagt werden. Wider Erwarten kamen zu den durchgeführten Programmpunkten schließlich eine beachtliche Anzahl von Menschen.

"Berührungspunkte nicht nur zwischen Kunst und Integration, sondern auch von Menschen in Vorarlberg mit KünstlerInnen und ExpertInnen aus Ländern, in denen Kunst und Integration aus einem gesellschaftlich-historisch völlig anderen Zusammenhang gesehen werden. Dadurch entstanden neue Sichtweisen und spannende Erfahrungen, die hoffentlich weiterhin Früchte tragen werden."[150]

Der Verein Intako hat nach mehrjähriger intensiver Arbeit, Eigenproduktionen und dem Symposium Freaks in der Kunst seine Arbeitsfelder reduziert und bemüht sich derzeit, die in den letzten Jahren begonnenen Initiativen weiterzuführen, ohne die ehrenamtlich Mitarbeitenden zu stark zu beanspruchen. Es wird versucht, eine abendfüllende Tanz-Produktion, Ausstellungen, Bild- und Textdokumentationen und diverse Materialien für unterschiedliche Gelegenheiten zur Verfügung zu haben. Weiters wird daran gearbeitet, die Ereignisse und Projekte der letzten Jahre - und was sich an Idee und Haltung dahinter verbirgt - in einer Videodokumentation auf zu arbeiten. Gerade im Europäischen "Jahr der Menschen mit Behinderung 2003" wurde der Verein schon vielfach zur Beratung und Programmgestaltung eingeladen, steht mit Know-how zur Verfügung und wirkt als Bindeglied im Netzwerk von Kunst und Integration.

Zielsetzungen

Durch Experimentieren mit Bewegung sollen Impulse gesetzt werden, die künstlerische Gestaltung ermöglichen. Weiters sollen Brücken zwischen TeilnehmerInnen, die sich unbehindert bewegen können und solchen, die physische oder Hör- bzw. Sehbehinderungen haben, entstehen. intako möchte auch dazu beitragen, Missverständnisse und Vorurteile zu erforschen und ab zu bauen, die Nicht-Behinderte und Behinderte gegenseitig aufrecht erhalten. Es soll angeregt werden, ein Netzwerk zwischen den TeilnehmerInnen auf zu bauen, damit diese Arbeit fortgesetzt und weiter entwickelt werden kann.

Aktivitäten

  • DanceAbility-Festival

  • Intensiv-, Wochenend- und Kinder-Workshops

  • Einführungsabende mit Videopräsentationen

  • Danceability- Performance

  • Interaktive Demonstration für Schulen

  • Fortlaufende Kurse in Kontaktimprovisation

  • Performance Gruppe

  • Kontinuierlich künstlerische Arbeit

  • Öffentliche Aufführungen

  • Weiterentwicklung des integrativen künstl. Aspekts

  • Schulworkshops

  • Videopräsentation und theoretische Einführung

  • Praktische Demonstration

  • Erlernen von Grundformen der Kontaktimprovisation

  • Evtl. Aufführungen vor Publikum

  • Informations- und Präsenationsabende

  • Videopräsentation und theoretische Einführung

  • Praktische Demonstration von Kontaktimprovisation

  • Regelmäßige Treffen (Tanz-Jam)

  • Zweiwöchentliches Tanz- und Austauschtreffen von

  • Danceability TeilnehmerInnen und Interessierten

  • Wissenschaftliche Begleitung und Dokumentation

  • Betreuung von Matura- und Diplomarbeiten (Uni, Sozak.)

  • Öffentlichkeitsarbeit, Artikel in internationalen Zeitschriften, Dokumentation

  • Fortbildung und Vernetzung

  • Vernetzung im In- und Ausland

  • Fortbildung der MitarbeiterInnen bei ähnlichen Veranstaltungen im In- und Ausland

  • Zur Weiterentwicklung im In- und Ausland zur Weiterentwicklung der Danceability und fachlichen Austausch

  • Büro- und Raumverwaltung

  • Verwaltung eines Trainings- und Aufführungsraums

  • Verwaltung eines Service- und Organisationsbüros

  • Koordination der Jahresaktivitäten

Bertram MEUSBURGER betont in einem Interview 1994, dass das primäre Anliegen des Vereines ein künstlerisches, kulturelles sei. Es finden oft integrative "Nebeneffekte" statt, Menschen machen auch ganz erstaunliche Fortschritte, die wiederum ihre Ausdrucksmöglichkeiten erweitern. Es ist aber nicht das primäre Ziel, dass sich Menschen mit Behinderung im alltäglichen Leben zurechtfinden können, sondern der Fokus liegt wirklich auf der Kommunikation und künstlerischen Ausdrucksform. Es geht um ein unvoreingenommenes Kennenlernen dieser Andersartigkeit, um die Wertschätzung der Vielfalt von Bewegungs- und Ausdrucksmöglichkeiten, die eine eigene Ästhetik besitzen.

Caroline RHOMBERG begann beim ersten Workshop 1993 zu tanzen.

Enzo GRUBER, verfilmte die Tanzgeschichte von Caroline einige Jahre später. Im Februar 2001 wurde der Film gesendet: "Ihre Aussichten? Das kann man schlecht sagen, aber eines ist gewiss: eine Tänzerin wird sie keine." Mit dieser Prognose schickte der Kinderarzt damals die Eltern nach Hause. Die Diagnose "Cerebralparese" war ein Schock. Ihre Tochter war schwer behindert, in vielen alltäglichen Dingen wird sie ein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen sein. Heute tritt die mittlerweile 36-jährige Caroline Rhomberg in Tanz-Ensembles und in Solo-Projekten auf. So zufällig wie sie zum ersten Tanzworkshop kam, so schnell wurde das Tanzen für sie zum Lebensinhalt. Dabei bedeutet es für sie weit mehr als nur ein schönes und für einen schwerbehinderten Menschen ungewöhnliches Hobby. Im Tanzen hat Caroline RHOMBERG ein Medium gefunden, in dem sie sich besser, unmittelbarer ausdrücken kann als durch die Sprache. Im Tanzen erlebt sie ein vorher nicht gekanntes Maß an Unabhängigkeit. Und nicht zuletzt eröffnet das Tanzen ihr - und ihrem Publikum - eine neue Wahrnehmung: "Das Tanzen hat meinen Körper in Schönheit umgewandelt. Ich fliege manchmal wie ein Adler. Oder ich schaue aus wie ein Engel in der Luft. Es ist eine andere Ästhetik von mir, die ich vorher nicht gekannt oder nicht gesehen habe."[151]

Ein Interview mit Ursula SABATIN, Tänzerin, Choreographin, Tanzpädagogin und Mitbegründerin von intako:

6.1.2.1 Interview mit Ursula Sabatin

Wie erlebtest du den Aufbau des Vereins intako?

Fasziniert von der DanceAbility-Arbeit haben wir in kürzester Zeit Vieles erreicht.

Am Anfang war der Einsatz um Subventionen ein anderer als heute. Wir waren bemüht, dass wir eben Förderungen aus den Kunstbudgets bekommen. Eigentlich war es seitens des Landes und Bundes nicht so schwer, denn einerseits ist es dem Kulturlandesrat Vorarlbergs ein großes Anliegen, das Thema Integration auch im künstlerischen Bereich aufgegriffen wird, und andererseits hat die Abteilung für Kulurinitiativen des Bundes unsere Arbeit auch immer wieder gefördert. Unsere Arbeit wurde als professionell eingestuft.

Wie war es, gerade in Vorarlberg einen solchen Verein aufzubauen?

Anfangs bestand eine große Nachfrage. Die hat dann mit den Jahren abgenommen. Viele ZuseherInnen können einen künstlerischen Prozess bzw. die Spezifizierung dieser Tanzform nicht so ohne weiteres nachvollziehen. Aktive Beteiligung - z.B. Kursteilnahme am integrativen, künstlerischen Prozess ermöglicht den Interessierten und Publikum einen anderen Zugang und mehr Verständnis für diese Kunstform.

Tanz/Tanzästhetik wird häufig nur aus dem Blickwinkel von perfektionierten Köpern und Akrobatik gesehen. Tanz und Kunst sollen berühren und ich möchte den Prozess nachvollziehen können. Das Anliegen des jeweiligen Künstlers soll für mich sichtbar werden.

Dann könnte man aber auch sagen, dass Menschen mit Behinderung fast immer Kunst schaffen, denn was sie machen berührt einfach. Auch wenn es ein Gefühl wie z.B. Mitleid ist...

Ja, es ist wichtig, auf welcher Ebene diese Berührung liegt. Es passiert viel auf der Mitleidsschiene.

Oder ich spüre vielleicht auch meine eigene Unfähigkeit, dass jemand der/die eine Behinderung hat, so etwas kann, sozusagen über seine/ihre Grenzen springt - und ich schaffe das nicht, über diese zu springen. Da spielen sehr viele Dinge mit hinein.

Wie war das bei den offenen Jams, die ihr alle zwei Wochen veranstaltet habt?

Die "Integrationsidee" hat nicht so gut funktioniert, die Berührungsangst zwischen Behinderten und Nichtbehinderten blieb. Die Bereitschaft, sich auf Ungewohntes ein zu lassen war nicht so groß. In Amerika haben diese Jams eine andere Tradition und es ist mehr selbstverständlich, zu experimentieren.

Im Allgemeinen ist es schwer, sich ein Niveau zu erkämpfen. Die Improvisation an sich wird sehr im Sinne eines "Alles ist möglich" und nicht so sehr als Technik gesehen, die erarbeitet werden kann. Wenn ich beispielsweise ein Instrument erst ein Jahr spiele, gebe ich auch nicht gleich ein Konzert - das passiert aber bei Improvisationsstücken schon. Wenn ich auf die Bühne gehe, dann soll dahinter auch eine Entwicklung stehen und ein Können.

Hast du für dich ein Kriterium für dieses Können formuliert?

Vielleicht nicht direkt für Können - aber ich formuliere immer ein Ziel für jedes Bühnenstück. Oft ist es dann so, dass wir dort aufführen, wo wir gerade sind (im Prozess), aber die Bemühung ist immer da, bis dahin so viel wie möglich aus zu schöpfen und zu trainieren.

Bei einem Stück war es beispielsweise unser Ziel, die Suche nach einer Lösung, Caroline Rhomberg nicht nur am Boden agieren zu lassen. Wir haben alles mögliche ausprobiert, bis wir dann auf das Trapez gekommen sind.

Gleichzeitig muss ich aber den Tänzer, der nicht behindert ist, fordern, dass er in seiner Entwicklung weiterkommt. Es geht ja auch um die Entwicklung von Nichtbehinderten. Oft ist es der Fall, dass Menschen mit Behinderung benutzt werden, damit man selbst auf die Bühne kommt. Es muss auf jeden Fall so sein, dass auch ich als nichtbehinderte Tänzerin mich dem Mensch mit Behinderung annähere und ich nicht meine Ästhetik aufzwingen will. Es geht um Individualität und nicht darum, einen Stil auf zu drücken.

Würdest du es als problematisch einstufen, wenn es Gruppen gibt, die Stile aufzwingen? Die, wie du eben gesagt hast, ihre Ästhetik imitieren lassen?

Einerseits ist es natürlich wünschenswert, wenn sich viel im integrativen Tanz auftut. Konkurrenz ist da, es können sich Qualitäten entwickeln, Vergleiche können angestellt werden, zugleich auch eine gegenseitige Inspiration, Dinge werden erforscht. Und dann auch der Integrationsgedanke: Menschen mit Behinderung werden mehr ins Tagesgeschehen mit eingebunden und sie gehören einfach immer mehr dazu. Andererseits denke ich, dass es eine neue Ästhetik geben muss, wenn ich mit solchen Voraussetzungen arbeite. Ich schaffe mir etwas aus den Möglichkeiten, die ich habe. Also wird das was ganz Individuelles.

Warum habt ihr bei intako beinahe ausschließlich mit Menschen körperlicher Behinderung gearbeitet?

Wir haben auch Workshops in der Lebenshilfe gemacht, mit TeilnehmerInnen mit Down-Syndrom. Da haben wir gemerkt, dass Kontaktimprovisation nicht die richtige Methode ist.

Die Leute dort tanzen total gern und haben auch keine Hemmungen sich zu berühren. Es geht aber hier um eine andere Art von Berührung, die über Kontaktimprovisation nicht vermittelbar ist. Meine persönlichen Kompetenzen liegen mehr in der Arbeit mit Körperbehinderten, auch wegen des intellektuellen Zugangs.

Was ist für dich Kunst?

Ich unterscheide einerseits mehr prozessorientierte und andererseits ergebnisorientierte Arbeitsweisen - klassische Tanzformen betonen meist mehr das Ergebnis, sie nutzen z.B. das Lichtdesign (mit Hilfe eines Blackout), um nur die Ergebnisse zu zeigen und nicht den Weg dorthin. Mein Verständnis des künstlerischen Ausdrucks ist, dass gerade der Weg wichtig ist für den Wahrnehmungsprozess des Zusehers.

Ich glaube, dass es beides braucht. Im integrativen Tanz, soll der Fokus auch auf das Ergebnis gelegt werden, nicht nur auf den Prozess.

Inwieweit hat für dich integrativer Tanz die allgemeine Tanzästhetik verändert?

Es hat schon einiges verändert und wenn es "nur" das andere Hinschauen, Denken ist. In meiner Arbeit mit Laien wird erkennbar, dass Tanzen erlernbar ist, auch wenn ich keinen perfekten Körper habe. Es passiert auf andere Art. Die Improvisationstechnik erscheint mir anhand meiner Erfahrungen als sehr geeignete Methode in dieser veränderten Ästhetik zu arbeiten.

Der Integrative Tanz eroberte sich seinen Stellenwert neben den klassischen Tanzformen. Insofern gibt es da schon eine enorme Veränderung der Tanzästhetik.

6.1.3 Die Blauen Hunde

"Wolfgang STANGE sah ich erstmals auf Video - der Gedanke, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten war lange Zeit im Ideenstadium, bis ich meine erste Erfahrung in der Lebenshilfe gemacht hatte und Feuer fing. Ich sollte Sabine König, Betreuerin und Leiterin der Theatergruppe der Lebenshilfe in Seekirchen, für ihre Karenzzeit vertreten. Sie wusste von meinem Interesse, einmal etwas in diese Richtung machen zu wollen."[152]

Wolf JUNGER wurde zwar dann doch nicht eingestellt, organisierte sich sein erstes Projekt trotzdem im Alleingang, welches 1998 so erfolgreich war, dass es später mit einer Anstellung bei der Lebenshilfe klappte.

Nach seinem Philosophie- und Germanistikstudium bildete er sich in verschiedenen Bereichen wie Clowning, Butoh, Tanztheater, Kampfsport, Biomechanik, Yoga, Tai-Chi, Tanztherapie aus.

Wolf JUNGER ist Mitbegründer des Bewegungstheaters Vorgänge, hat in seiner künstlerischen Laufbahn bei zahlreichen Tanztheaterproduktionen und Filmen mitgewirkt. Eigene Performances und Soloprogramme stehen im Vorfeld seines jetzigen Schaffens mit den Blauen Hunden.

Die Suche nach Unmittelbarkeit, Spontaneität, völlige Hingabe des/r SchauspielerIn / TänzerIn auf der Bühne führten Wolf JUNGER unweigerlich zu Menschen mit Behinderung. Manche von ihnen strahlen eine archaische Bühnenpräsenz und eine natürliche Anmut aus, die nur mehr in eine Form gebracht werden muss. JUNGER sieht sich als Übersetzer. Er versucht einen körperlichen Ausdruck für die Botschaft dieser Menschen zu finden. Die Botschaften sind im Grunde emotional und daher schwer zu verbalisieren.

Wer sind die Blauen Hunde?

Eine Theater- und Tanzgruppe mit Menschen mit geistiger und mehrfacher Behinderung, die von Wolf JUNGER geleitet wird :

Andi AUKENTHALER, Andreas AMTMANN, Alexander DICK, Barbara DITTLBACHER, Ottilie DUM, Hannes EDER, Susanne GIRLEK, Gerhard GÖSCHL, Waltraud GRASFURTNER, Adelheid GRÖMER Reini GOLDBACH Klaus GRANNINGER Waltraud GRASFURTNER, Johann HUBER, Peter JESSNER, Bettina RIEDER, Natalia SARAJLIC, Ronnie SCHAFER, Peter SCHOBER, Ursula SIX, Reinhold SPÖCKINGER, Stefan WARTBICHLER, Renate WENGBAUER, Anita WETSCH, Grete WIMMER, Gertrud ZÖLLNER.

Produktionen

1998 entsteht "Der Planet der Hunde": Wir spielen, dass wir eine Fernsehserie drehen.

Premiere: Toihaus Salzburg mit Caroline RICHARDS und Thomas SCHÄCHL

1999 macht CHIEL van der KRUIT ein Video aus diesem Stück.

1999 starten wir mit einer Serie von Improvisationen in Schulen und bei Kongressen, ausgehend vom Video, später zu Szenen aus Calderon.

Im Herbst 1999 kommt dann Calderon "Das Leben ist ein Traum" mit dem Theater ecce heraus, 16 Aufführungen im Zelt im Volksgarten Salzburg. Die Blauen Hunde zeigen, dass sie professionell arbeiten können. Der große Erfolg ist zu einem großen Teil auf ihre Spielfreude und Power zurückzuführen.

2000 beginnen wir neben kleineren Improvisationsauftritten mit einem neuen Stück

"Wie Alexander die Welt erschuf" mit Fritz MOSSHAMMER , Hans STEFAN (Musik) und Lena BOSCH (Kostüme) Auftritte bei den Oster- und Herbsttanztagen 2001 Salzburg, Premiere im November 2001 im Toihaus Salzburg

2002 Arbeit an einer "Blaue Hunde Revue"

Premiere 23. April 2003 im Kulturgelände Salzburg

6.1.3.1 Interview mit Wolf Junger

Wie bist du zu dem Namen "Blaue Hunde" gekommen?

Blaue Hunde ist aus einem Hörfehler entstanden. Der PR-Mann für Calderon hat statt "Planet der Hunde" "Blaue Hunde" verstanden, noch dazu Stück und Gruppenname verwechselt. Das hat mir so gut gefallen, dass ich mich für diesen Namen entschieden habe. Noch dazu ist blau meine Lieblingsfarbe und ich hab das schon immer als Skandal empfunden, dass ‚die Blauen'[a] meine Farbe vereinnahmen - also eine Rückeroberung der Hoffnung, des weiten Horizonts und der Tiefe.

Wie arbeitest du?

In meiner Arbeit wird die Behinderung nicht versteckt. Es ist aber auch keine zur Schaustellung derer. Ich möchte keinen "Zoo" vorführen. Es geht um die Qualitäten der Behinderung - diese stehen im Zentrum.

Aus der Reduktion des Mittels heraus. Wenn ich die Beweglichkeit der Zunge bei einigen der DarstellerInnen herausnehme und sie gezielt einsetze, arbeite ich mit deren Qualität.

Beispielsweise müssen die meisten Menschen mit Down-Syndrom die Lockerheit auf der Bühne nicht mehr erlernen. Wir hingegen erlernen oft mühsam, unsere Hemmungen abzubauen.

Die Ideen kommen von den AkteurInnen. Beim Stück "Wie Alexander die Welt erschuf" beispielsweise wusste ich überhaupt nicht, was es anfangs werden soll. Mein Interesse war da, mit Alex etwas zu machen, ob das ein Film, ein Hörspiel, ein Buch ... wird, wusste ich nicht.

Alex hat erzählt, ich habe mitgeschrieben. Es waren teilweise wahnartige Ideen. Beim nächsten mal habe ich dann immer das vorgelesen, was ich aufgeschrieben hatte. Ich habe jedoch das ganze auch ein wenig manipuliert, da Alex' Ideen oft auf der Bühne nicht realisierbar waren - z.B. wollte er ein großes Schlachten veranstalten. Das war mir etwas suspekt. Das habe ich dann immer weggelassen.

Ist so wie du arbeitest dann gelenkte Kreativität?

Oft fragen mich Leute, ob das, was wir zeigen, denn wirklich von den DarstellerInnen selbst kommt. Es ist kein anderes Arbeiten als früher im Bewegungstheater. Irgendwer kommt und möchte seine Vision verwirklichen mit Hilfe von anderen Menschen. Ich öffne Räume.

Meine Vision ist es, dass sich Persönlichkeiten entfalten können ohne dabei meine eigene Vision zu verlieren.

Alex wollte ein Theaterstück machen. Ursprünglich eigentlich einen Film und diesen nach Hollywood schicken. Dazu hat mir der Mut gefehlt - manchmal bereue ich, dass ich Utopien nicht umsetze. Calderon beispielsweise war ein fertiges Theaterstück.

Es war auch immer der Kampf zwischen den Profis und LaienschauspielerInnenn mit Behinderung. Letztere zogen natürlich ständig die Aufmerksamkeit auf sich. Wenn es um Präsenz geht, hat man nur als sehr guter Profi die Chance, die Menschen mit Behinderung zu übertreffen.

Wie würdest du die allgemeine Akzeptanz eurer Stücke in der Öffentlichkeit bewerten?

Interessant war dass ich durch die ersten Produktionen, mein früheres Stammpublikum verloren habe. Mein Freundeskreis hat sich plötzlich nicht mehr für diese Art von Kunst interessiert. Mittlerweile konnte ich sie wieder "zurückgewinnen". Es hat sich mehr und mehr etabliert. Ich denke sogar, dass dieser Bereich derzeit "in" ist. Dies hat natürlich auch eine große Öffentlichkeitswirksamkeit, das heißt aber leider nicht, dass die Subventionen darum höher sind.

Ist es für dich wichtig, eure Stücke unter dem Deckmantel "special arts" zu verkaufen?

Ich denke, dass die ZuschauerInnen wissen sollten, auf was sie sich einlassen. Gleichzeitig habe ich die Erfahrung gemacht, dass es derzeit auf der "Behindertenschiene" besser geht. Ich weiß nicht, warum das so ist. Einmal wurde bei einem Festival ein Stück ohne "special arts" angekündigt. Da kamen nicht sehr viele ZuschauerInnen.

Das gleiche Stück wiederum wurde in Saalfelden als ein Stück mit Menschen mit Behinderungen ausgeschrieben. Der Saal war voll. Ich weiß nicht, ob es daher war, weil der Protagonist ein Saalfeldner ist, oder ob es unter "special arts" lief. Aber ich glaube schon, dass es eine Rolle spielt. Mit "Planet der Hunde" am Anfang war es noch schwierig. Seit ca. zwei Jahren sind die Stücke ein Publikumsrenner.

Wie sieht es mit öffentlichen Geldern aus?

Derzeit werden wir vom Land und der Stadt Salzburg unterstützt. Der Bund hat uns für das kommende Projekt keine Gelder ermöglicht, mit der Begründung, dass es ein Laienprojekt ist. Wir haben dafür Gelder aus dem "Integrationstopf" bekommen. Das ist sehr schwierig für mich, da ich Kunst mache und dann auch die Subventionen aus dem Kunsttopf bekommen möchte.

Ich kann auch Kriterien der Geldgeber verstehen, da es im integrativen Kunstbereich auch um eine doppelte Aufweichung des Kunstbegriffs geht : Zum einen vermischt sich die Laien-Profi-Situation extrem. Zum anderen gibt es Projekte, hinter denen nicht unbedingt die Absicht der Kunst steht. Es gibt viele Menschen, gerade im Behindertenbereich, die den Drang verspüren, sich öffentlich zu präsentieren, egal ob es um Kunst geht oder nicht. Die Kunst wird hier ins existenzielle aufgeweicht. Es braucht klare Grenzen - und die auch seitens der Geldgeber.

Und wo ist der Unterschied zwischen deiner Kunst, und jener, die sich "einfach präsentieren" wollen?

Ich denke, es liegt in der Absicht, die dahinter steht. Ich suche mir DarstellerInnen, die Kunst machen wollen. Es muss mindestens eineR in der Gruppe sein, der/die Intention hat, Kunst zu machen. Im Extremfall bin es nur ich selbst.

[Wolf zeigt mir ein Foto seiner DarstellerInnen] Alex beispielsweise möchte Kunst machen. Renate tanzt gern - sie will vor allem tanzen. Das ist ein großer Unterschied.

Es regelt sich eigentlich über den Markt - er bestimmt, was Kunst ist und was nicht. Es wird natürlich dann ein Problem, wenn ich sage, es ist Kunst und andere sagen, es ist keine.

Steht bei dir der Mensch oder die Kunst im Mittelpunkt deiner Arbeit?

Die Kunst steht letztlich im Mittelpunkt. Denn wenn ich mit jemandem nicht zusammenarbeiten möchte, muss dieser Mensch aussteigen. Ich würde aber sagen, es ist eine Kunst, die so nah wie nur irgendwie möglich an den Menschen herangeht.

Wie suchst du dir deine DarstellerInnen aus?

Ich arbeite eigentlich nur mit Leuten, die zumindest intuitiv wissen, dass sie spielen.

Meine DarstellerInnen brauchen Gespür und vor allem das Bewusstsein, dass sie etwas vorspielen.

Was ist Kunst für dich?

Kunst hat für mich mit Erfahrung zu tun - ich gehe als Konsument dahin, weil ich Erfahrungen machen will. Ich will darum Erfahrung vermitteln - und zwar jene der Erfahrungswelten der Menschen mit Behinderung. Manche von ihnen haben eine interessante Weltsicht, die mir (uns) abgeht, darum bin ich mit denen zusammen.

[a] Anm: Farbbezeichnung der Freiheitlichen Partei Österreichs

Wolf JUNGER interessiert die Individualität dieser Menschen, das besondere an ihrem Körper, das Besondere an ihrer Ausdrucksfähigkeit. Jenseits der Normvorstellungen des schlanken Tanzkörpers. Ein Mensch mit Behinderung lässt sich bis zu einem bestimmten Grad benutzen, nämlich genau bis dahin, wo es ihm Spaß mache. Dies bedeute, dass seine Arbeit im spielerischen Umfeld stattfindet und geht somit an die Ursprünge des Theaters. Wenn es ihm gelinge, so JUNGER, die Menschlichkeit ins Zentrum zu rücken, und das Leben der Menschen transparent zu machen, passiere kein Missbrauch.

Reinhold TRITSCHER, der mit Wolf JUNGER "Das Leben ist ein Traum" inszenierte, geht davon aus, dass eine höhere Toleranz erst dann entsteht, wenn man begriffen hat, dass es verschiedene Wahrnehmungen und verschiedene Wirklichkeiten gibt. Randgruppen, seien es Menschen mit Behinderung, Haftentlassene, Obdachlose usw. besäßen, seiner Meinung nach ein großes kreatives Potential, das brach läge. "Dieses Potential ist ein oft anderer Blick auf die Dinge, die uns bewegen. Wenn dieses Potential brach liegt, liegen diese Menschen brach"[153].

Durch Kunst ist es möglich, diesem Potential eine Form, eine Stimme, einen bildnerischen Ausdruck zu geben, um eine Kommunikationsform mit den sogenannten "Normalen" unserer Gesellschaft her zu stellen.

"Was ist real, was ist nur gespielt? Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Die Schauspieler der Lebenshilfe, zum Teil mit Theatererfahrung, ließen den Zuschauer in einer Gratwanderung zwischen Einstudiertem und Improvisiertem bis zum Schluss darüber rätseln. Mit Perfektion integrieren sie Zufälliges, wie Applaus und Fotografieren, in das Schauspiel. Die Akteure wirken dabei so natürlich und bestachen durch ihr Rhythmusgefühl, dass es "Profis" nicht hätten besser machen können."[154]

6.1.4 Ich bin O.K.

Zum Verein

Der Verein Ich bin O.K. wurde 1979 von der Bewegungspädagogin Katalin ZANIN gegründet, deren Intention es war, Menschen mit Behinderung eine Möglichkeit zur sinnvollen Freizeitbeschäftigung in den Bereichen Tanz und Theater an zu bieten. Zu Beginn entsprach die Größe des Vereins in etwa jener einer Schulklasse, heute zählt Ich bin O.K. ca. 120 Mitglieder. Die Hälfte davon mit körperlicher und geistiger Behinderung. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Einbindung der Menschen mit Behinderung in das kulturelle Leben.

Anfangs suchte ZANIN die Möglichkeit, gemeinsam mit Jugendlichen, die sie bewegungspädagogisch betreute, einen Ausgleich zur strengen Therapie zu finden.

Integration soll aber kein Schlagwort sein, sondern wirklich - in Form von Inklusion - gelebt werden. Der Begriff Inklusion wird nach Prof. Dr. Josef FRAGNER verstanden, welcher die Verschiedenheit der beiden Gruppen in den Mittelpunkt stellt, die im Gemeinsamen bestehen bleibt. Es entsteht vielmehr ein Mit- statt (nur) ein Nebeneinander. Ich bin O.K. strebt also ein Miteinander an, wie auch die Vereinszusammensetzung zeigt.

Ziele [155]

Ziel soll eine sinnvolle Freizeitgestaltung für behinderte und nichtbehinderte - vor allem junge Menschen - sein. Die Stärkung der Persönlichkeit als Grundlage zu größerer Selbständigkeit und eine Erweiterung kreativer Ausdrucksmöglichkeit stehen dabei im Zentrum. Der Verein koordiniert verschiedene Behindertengruppen untereinander und beruft sich auf einen verständnisvollen Umgang mit behinderten Menschen. Es ist ihm ein Anliegen, Integration behinderter Menschen in verschiedensten Lebensbereichen zu unterstützen. Das Miteinander-Spaß-haben, die Freude am gemeinsamen künstlerischen Arbeiten sind wichtige Ziele der Vereinsarbeit. Nicht zuletzt möchte Ich bin O.K. auch politische Anstöße geben.

Arbeitsweisen

"Es gibt Übungen, bei denen der Behinderte sich einmal selbst erfahren soll, wo er Verantwortung für seinen Körper übernimmt."[156] Im folgenden werden Übungen angeboten, die das DU zum Mittelpunkt machen. Das sind PartnerInnenübungen (gemeinsames Aufstehen, Rücken an Rücken, oder sich fallen lassen und vom anderen aufgefangen werden). Dann werden die erworbenen Fähigkeiten in einem Bewegungsspiel oder in Tanz umgesetzt.

Auf die Frage, ob die Ästhetik des Tanzes als Einschränkung erlebt wird, antwortet Katalin Zanin : "Ja, es dauert Jahre, bis man von der Vorstellung, ein schöner Körper und ein schöner Geist würden unbedingt zusammengehören, wegkommt. Du kannst eine schöne Seele haben und keinen schönen Körper oder körperlichen Ausdruck"[157], und Maria DINOLD, eine enge Mitarbeiterin ZANINS: "Für mich gab es auch das Problem, dass ich eine bestimmte Vorstellung von einer Choreographie hatte, wie sie aussehen sollte, und dann enttäuscht war, wenn ich das Ergebnis gesehen habe, wenn es meinem erlernten ästhetischen Anspruch nicht entsprochen hat. Mit der Zeit lernt man, anders zu sehen, merkt, dass es noch eine andere Form von Ästhetik gibt, als die, welche wir zu sehen erlernt haben. Es geht ja auch um eine Definition des Kunstbegriffes. Also, nicht einfach zu sagen, das ist jetzt Kunst, weil der behinderte Mensch eben nicht mehr kann, sondern um wirklich von Kunst zu sprechen, muss eine Aufführung ein bestimmtes Maß an Qualität und Professionalität haben und sollte nicht an das Mitleid appellieren."[158]

Arbeitskreise

Der Verein gliedert sich in sieben verschiedene Gruppen, Arbeitskreise und das Off Ballet Special , auf welches später näher eingegangen wird. Die Bandbreite reicht von der Kleinkindgruppe, Gesellschaftstanzgruppe, Bühnentanz Diana , eine Hip-Hop - Jugendgruppe, bis hin zu Arbeitskreisen wie AK Fortbildung, AK Kunst, Wirtschaft, PR und den Elternverein. Die Bühnentanzgruppe umfasst ca. 40 behinderte Jugendliche. Sie bildet die Grundlage für das spätere Off Ballett Special, das in Zusammenarbeit mit dem Wiener Staatsopernballett bereits zweimal auf die Bühne kam.

"Off Ballett Special"

Eine Begegnung des Direktors des Wiener Staatsopernballetts Renato ZANELLA mit Katalin ZANIN war der Anstoß dazu, das Staatsopernballett und die Bühnentanzgruppe des Vereins Ich bin O.K. zusammen zu führen. Fasziniert von der Freude an der Bewegung und von der starken Ausdrucksfähigkeit behinderter TänzerInnen, war es sein Ziel, diese Freude seinen TänzerInnen wieder zurück zu geben. Eine Freude, die seines Erachtens durch das häufige Üben und die Professionalisierung des Tanzes verloren gegangen war. "Das Zusammensein sollte [...] ein wahrhaftiges Miteinander sein, das etwaiges Anderssein nicht versteckt, sondern, der Realität gemäß, jedem die Möglichkeit gibt, Neues zu entdecken [...]"[159]

Bekannt wurde die Gruppe v.a. durch die Opernballeröffnung im Jahr 2001. Der Direktor der Wiener Staatsoper Ioan HOLENDER fand, dass das unter dem Ehrenschutz von Dr. Margot KLESTIL-LÖFFLER stehende Off Ballett Special einen Teil der Wiener Staatsoper repräsentiere und daher einen entscheidenden Beitrag zur Opernballeröffnung beitragen solle. Bedingung des Vereins Ich bin O.K. war die Regelmäßigkeit des Trainings unter der Leitung von Renato ZANELLA, um der Gefahr eines Eintagsstars vorzubeugen. Dieses Projekt war der Anfang einer konstruktiven Zusammenarbeit von Renato ZANELLA und Katalin ZANIN. Im Juni 2002 folgte eine weitere Aufführung Off Ballet Special.

TänzerInnen des Kulturvereins Ich bin O.K. im Off Ballet Special :

Mike BROSEK, Michael GRASCHER, Leni HIESSMANNSEDER, Clara HORVATH, Bettina JAKSIK, Laura KAUTRY, Johanna KUßBERGER, Julia MARK, Ralf MEIERHOFER, Hanna PAUKNEROVA, Jan RAOTZIEWICS, Thomas TRINKL, Wolfgang WINDSPERGER, Attila ZANIN

"Wir machen kein Ballett im eigentlichen Sinn, sondern wir bewegen uns im Raum mit einem bestimmten Timing. Das Besondere daran ist, dass sich behinderte und nichtbehinderte TänzerInnen in ihrem Timing unterscheiden."[160] Das Timing der behinderten TänzerInnen gebe ihnen ihr eigener Körper vor. Die nichtbehinderten TänzerInnen können ihr Timing verschieden gestalten. Durch das Aufeinandertreffen ergebe sich eine ausdrucksvolle Spannung, eine eigene Art von Ausdruckstanz, von choreographischem Theater. Es gehe nicht um Perfektion, sondern um die Individualität der TänzerInnen. ZANELLA sieht die entscheidende Phase des künstlerischen Schaffensprozesses darin, die Spontaneität der behinderten TänzerInnen in einen bestimmten Rahmen ein zu fügen, ohne sie ein zu engen. Dabei wird nicht am Defizit angesetzt, sondern davon ausgegangen, was die Menschen mit Behinderung können. ZANELLA sieht ihre Stärken in der Improvisation. So wird die verwendete Musik von den TeilnehmerInnen selbst gewählt. ZANELLA sieht sich nicht als Therapeuten, sondern als Künstler, der selbst aus seinem üblichen Ansatz ausbricht, um sich vom Prinzip der Einfachheit leiten zu lassen: "Die Einfachheit bietet mir einen neuen Freiraum, in dem andere Gesetze herrschen. Eine neue, spezifische Ästhetik entsteht. Humor und positives Denken bestimmen die Choreographie".[161]

Finanzierung / Sponsoring

Neben Mitgliedsbeiträgen (€ 12,-/Monat), Spenden und Einnahmen aus den Aufführungen sowie dem engagierten Einsatz freiwilliger MitarbeiterInnen, werden Benefiz-Veranstaltungen durchgeführt. Konkrete Projekte werden bisweilen durch Sondersubventionen gefördert.

Einige Sponsoren des Vereins sind aus seiner Broschüre zu entnehmen: Aktion "Licht ins Dunkel", UHBP, Club Alpha, Impuls Tanzwochen, Rotary Club Wien Albertina, Rotary Club Wien Oper, Wiener Staatsoper, Wirtschaftskammer Österreich, ACCOR HotelbetriebsgesmbH., Cut & Copy Videofilmstudio GesmbH, Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG, Hofbauer, Platt & Wismek GmbH, JVC Austria GmbH, Magistratsabteilung 7, Mark & Nevosad Creativstudio, Sares Druck GmbH, ZONTA Club Baden Area, Ballettclub Wiener Staatsoper

"Der Verein Ich bin O.K. kann als Lebenswerk von Katalin ZANIN angesehen werden. Sie hat nicht nur enorm viel Zeit, sondern auch Geld und persönlichen Einsatz in ihr Projekt investiert. Nur dieser finanzielle, moralische und ideologische Background hat eine kontinuierliche Arbeit ermöglicht und Ich bin O.K. zu dem gemacht, was der Verein heute ist. Seit 15 Jahren arbeitet ein 12 köpfiges Basis-Team nun an der Weiterentwicklung des Vereins, hinzu kommen die LeiterInnen der fünf Gruppen, die (meist) jährlich wechseln".[162]

Aus der Chronik

Nach anfänglichen kleineren Tanzchoreographien 1980/81 standen Stücke wie "Planet des verdrängten Gewissens" (1981/82), "Mit und ohne" (1984), "Drei kleine Geschichten" (1985), "Nacht" (1986), "Csàrdàs" (1988), "Spiel der Narren" (1989), "Egon der grüne Bär" (1990, mit Peter Radtke) , "Kleider machen Leute" (1991) , "Das Lied der Kleinen Trommel" (1992/93) auf dem Programm. Es folgten "Aktion Gnadentod" (1994/95), "Wiener Melange" (1999), Lara und Luki (2001) im Wiener Raimundtheater und die Aufführungen des "Off Ballett Special" im Odeon, Wiener Staatsoper, Charity Abend Special Olympic, Sportgala 2000 - 2002.

6.2. INTEGRATIVER TANZ IN STAAT UND GESELLSCHAFT

"Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind ausgeschlossen. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten."[163]

Im folgenden soll kurz auf die derzeitige Situation der staatlichen Förderungen im integrativen Tanzbereich eingegangen werden.

Es wurden hierfür Bundesländer und das Bundeskanzleramt angeschrieben, die von offizieller Seite über finanzielle Unterstützungsmittel ihrerseits berichten sollten. Des weiteren wurde der Obmann der Salzburger TanzImpulse befragt, um auf ein konkretes Beispiel in Salzburg eingehen zu können.

Jegliche weitere Recherchen würden den Rahmen der Diplomarbeit sprengen. Die teilweise schwierigen Situationen der einzelnen KünstlerInnen und VeranstalterInnen konnten bereits in Einzelinterviews nachgelesen werden.

6.2.1 Staatliche Subvention

In den Kunstabteilungen der Länder[164] wurden vor allem in Wien, Vorarlberg und Salzburg Vereine und Projekte genannt, die aus den Geldern der Kunstförderung subventioniert werden / wurden. Förderungskriterien sind bei Ländern, sowie auch beim Bund nur bedingt zu erfahren. Hier ein Auszug der Regelung für Kriterien des Bundeskanzleramtes :

"Das Kunstförderungsgesetz 1988 und die Rahmenrichtlinien für Förderungen aus Mitteln des Bundes werden durch eine immer wieder diskutierte Spruchpraxis ergänzt. Finanzielle Leistungen sind nur zulässig, wenn ohne einen bestimmten Beitrag aus Bundesmitteln eine notwendig erscheinende Gegenleistung mit künstlerischen Bezügen nicht zustande kommen kann. Kriterienkataloge sind in Beiräten mit dem Ergebnis besprochen worden, dass eine Aufzählung von Förderungsmotiven nie erschöpfend sein kann. Die Bundesförderung erfolgt mit Bewertung einer gesamtösterreichischen Bedeutung im freien Ermessen und richtet sich nicht zuletzt nach den budgetären Möglichkeiten."[165]

Es wird von einer Fachjury entschieden, wie hoch die Förderungen für einzelne Projekte ausfallen. Oft werden auch Gelder aus den Abteilungen für Soziales herangezogen, was jedoch nicht das Ziel der einzelnen AntragstellerInnen ist, die dezidiert Mittel aus Kunstfördertöpfen verlangen, da Sozialgelder die Projekte wieder auf die sogenannte "Behindertenschiene" bringen. Grundsätzlich werden künstlerische Projekte nicht nach Menschen mit Behinderung gewertet, sondern nach künstlerischem Inhalt.

Erwähnenswert erscheint hier die Tatsache, dass das Land Vorarlberg den Kunstförderpreis 2002 an Caroline RHOMBERG, Tänzerin mit spastischen Lähmungen, verliehen hat.

6.2.2 TanzImpulse Salzburg - ein Beispiel

Seit den internationalen Oster- und Herbsttanztagen 1999 in Salzburg bietet das Festival auch Workshops für Menschen mit Behinderung an. Zunächst wurden integrative Kurse angeboten, bei denen nur Personen mit geistiger Behinderung teilnahmen. Im folgenden Jahr wurde das Angebot in zwei Workshops geteilt, welche für körperlich und geistig behinderte Menschen organisiert wurden. Die Performancetage sowie die integrativen Kurse bezeichnet Vereinsobmann Peter HUBER von finanzieller Seite her als unrentabel, sie müssen aus der eigenen Tasche bezahlt werden. Für integrative Workshops erhält das Festival keinerlei Subventionen aus dem Kunstförderungstopf. Es wird meist noch irgendwie Geld von der Abtlg. III (Soziales) aufgebracht. Dies geschieht aber nur durch persönliches Engagement einer Mitarbeiterin der Sozialabteilung. "Es ist immer eine politische Geschichte. Wenn du Glück hast und jemandem [der PolitikerInnen] ist deine Sache wichtig, dann bekommst du etwas. Sonst ist es allen eigentlich prinzipiell egal, ob was passiert".[166] Es gäbe ein ungeschriebenes Gesetz : Wenn Stadt und Land subventioniere, würde der Bund mit einem Drittel zuschießen. Das Budget für Tanz wäre in Salzburg für die derzeitigen TänzerInnen schon viel zu niedrig - für Projekte im integrativen Bereich gäbe es keinerlei Gelder. Im Leitbild der Stadt sei die Förderung der modernen Kunst verankert, so HUBER. Das Budget der Stadt Salzburg beschränke sich auf ein Volumen von € 100.000,- für moderne Kunst. Im Vergleich dazu würde in Wien Subventionsgelder in gleicher Höhe für ein einziges Projekt ausbezahlt. Auf die Frage, warum die TanzImpulse Salzburg Kurse im integrativen Bereichen anbieten würden, nennt HUBER die grundsätzliche Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem Tanz. Weiters wären die Kurse auch Lockangebote für ein neues Klientel, in der Hoffnung, dass diese auch andere Workshops besuchen. Dies gelte auch für Personen, die im Behindertenbereich arbeiten.

Als Fernziele dieser Kurse werden die Etablierung von Veranstaltungen aus den Bereichen Tanz, Bewegung und Theater für Menschen mit Behinderungen genannt. Eine Professionalisierung von behinderten KünstlerInnen, sowie eine eventuelle Etablierung eines eigenen Bewegungs-, Tanz- und Theaterfestivals für Menschen mit Behinderung sind weitere Ziele.

HUBER spricht auch über die Raumproblematik der Stadt Salzburg. Er habe nach langer Suche eine einzige Schule in Salzburg gefunden, deren Turnsaal über einen behindertengerechten Eingang verfüge. "Österreich ist sicher kein Land, das mit Behinderung umgehen kann."[167]

Durch die Kürzungen der Subventionen werde es wohl in Zukunft nur mehr ein TanzImpuls-Festival statt zwei in Salzburg geben.

6.2.3 Zur gesellschaftlichen Akzeptanz des Integrativen Tanzes

Die Etablierung des integrativen Tanzes hat sich u.a. durch die in vorigen Kapiteln beschriebenen Vereine und Tanzkompanien einer großen Wandlung unterzogen.

Helmut PLOEBST, österreichischer Tanzkritiker, Journalist und Autor über das Publikum und die Wandlung des integrativen Tanzes in Österreich :

"Menschen mit Behinderung waren in den Choreographischen Arbeiten, die ich bisher gesehen habe, vom Publikum stets respektiert worden. Dennoch ist vor kurzem eine Veränderung vor sich gegangen. Daniel ASCHWANDENs integrative freie Gruppe hat nun nicht mehr die Zusammenarbeit von behinderten und nicht behinderten Performern als primären künstlerischen Fokus. Zum anderen zeigt sich Renato ZANELLA, der Leiter des Balletts der Wiener Staatsoper, in einer gala-artigen Veranstaltung Off-Ballett als guter Engel für Menschen mit Behinderung. Das bedeutet, der progressive Gestus der Emanzipation ist der konservativen Geste des Sozialspektakels gewichen."[168]

6.2.4 Ungelöste Probleme

Zum Schluss der vorliegenden Arbeit sollen an dieser Stelle nochmals die weitgehend ungelösten Probleme zusammengefasst werden:

Die Grenze, ob integrativer Tanz als eine Kunstform oder eine kreative Bewegung bezeichnet werden kann, ist schwer festzulegen. Die Frage ist eine grundsätzlichere. Was ist Kunst, was ist Ästhetik, was ist Tanz, was ist Norm....? Fragen, die in dieser Arbeit zwischenzeilig erkennbar sind, wurden jedoch nicht gestellt, um beantwortet zu werden.

Es sollte vielmehr durch Beispiele Aufschluss darüber gegeben werden, dass sich der integrative Tanz in vielerlei Hinsicht als Kunstform etabliert hat.

Integrativer Tanz ist wie beinahe alle Kunstsparten abhängig von öffentlichen Geldern. Die Unterstützung seitens der öffentlichen Hand stellt sich jedoch hier als besonders problematisch dar, da zum einen mit dem Förderungskriterium der Professionalität gekämpft wird, andererseits Ansuchen in die Sozialabteilung abgeschoben werden. Dennoch sollen Subventionen aus manchen Kunstförderungsprogrammen, die dazu beigetragen haben, dass die beschriebenen Projekte ermöglicht werden konnten, nicht außer Acht gelassen werden.

Probleme entstehen, wenn wir glauben, einem Menschen mit Behinderung unsere bereits bestehende Ästhetik aufzuzwingen. Dies ist vor allem beim Off Ballett Special der Wiener Staatsoper zu hinterfragen. Dem entgegen soll jedoch jedem Menschen das Recht eingeräumt werden, sich für einen Tanzstil nach Wahl entscheiden zu können.

Der Missbrauch behinderter Menschen, der im Bühnentanz aus verschiedensten Gründen durchaus stattfindet, stellt eine weitere Problematik des integrativen Tanzes dar. Dies kann nur durch eine integrative Arbeit, wie sie beispielsweise bei Wolfgang STANGE oder Alito ALESSI erfolgt, verhindert werden.

Eine relativ radikale Position vertritt der Tanzkritiker Helmut PLOEBST. Er spricht davon, dass in der integrativen Kunst alles Sozialkritische hinter sich gelassen und Arbeiten konzipiert werden müssen, die spezifisch für die Behinderung entworfen werden sollen. Alles andere hält er für diskriminierend.



[143] Aschwanden, D.: @-mail vom 25. 02. 2003

[144] Aschwanden, D.: 1996,1

[145] Ploebst, H.: 1998.

[146] Hilpold, S.: 2002.

[147] Niedermair, P.: 1993.

[148] Meusburger, B.: intako-Dokumentation , 2000.

[149] Soraperra, B. / Meusburger, B.: 1999.

[150] Meusburger, B.: intako-Dokumentation, 2000.

[151] Gruber, K-H.: Manchmal verleihe ich mir Flügel, Film, 2001.

[152] Junger, W.: 7.2.2003

[153] Tristscher, R.: "Das Leben ist ein Traum", Film, 1999.

[154] Zit. nach: Salzburger Nachrichten vom 09.07.1999.

[155] Vgl. Broschüre des Kulturvereins Ich bin O.K., 2001.

[156] Zanin, K.: (zit. nach: Pein, E: 1995, 20).

[157] Zanin, K.: (zit. nach: ebd., 1995, 22).

[158] Dinold, M.: . (zit. nach: Pein, E: 1995, 22)

[159] Gorth, K.: 2003, 7

[160] Zanella, R.: (zit. nach: Mittendorfer, M.: 2002, 14)

[161] Zanella, R.: (zit. nach: ebd..: 2002, 14)

[162] Zanin, K. : (zit. nach: Gorth, K.: 2003. 10).

[163] Bundesverfassungsgesetz, § 7, Abs. 1, Stand: 10.03.2003

[164] Folgende Bundesländer beantworteten mein Schreiben und dienen somit als Quelle: W, NÖ, OÖ, K, S, Bgl., Vlbg

[165] aus: www.ris.bka.gv.at/bundesrecht

[166] Huber, P. : Interview vom 12. 02. 2003

[167] Huber, P. : Interview vom 12. 02. 2003

[168] Ploebst: @-mail vom 10. 03. 2003

7 SCHLUSSWORT

Begonnen hat meine Auseinandersetzung mit dem integrativen Tanz mit den Erlebnissen bei Alito ALESSI und Wolfgang STANGE. Diese praktischen Erfahrungen konnte ich im Verlaufe des Arbeitens auf theoretischer Ebene reflektieren und damit vertiefen. Am meisten aber lernte ich in Gesprächen mit In- und Outsidern. Sie waren es, die neue Fragen aufwarfen und Zusammenhänge erkennbar machten. Es war eine intensive Beschäftigung und ich stehe in gewisser Weise noch mittendrin. Was mir klar wurde: integrativer Tanz und Tanz mit Behinderung stößt an viele Grenzen, ist mit großen Mühen verbunden, erfordert einen langen Atem versetzt aber gleichzeitig erstaunlich vieles in Bewegung.

Zunächst setzt er Tanzende in Bewegung und öffnet die Tür zur lebbaren Integration. Sowohl für Menschen ohne Behinderung als auch für solche mit Behinderung ist dies eine Bereicherung für ihre künstlerische Entwicklung. KünstlerInnen ohne Behinderung schöpfen aus dem Potential behinderter TänzerInnen, das beispielsweise Elemente wie ein anderes Timing im Tanz, eine oft sehr starke individuelle Ausdruckskraft und ein neues Bewegungsvokabular umfasst.

Weiters verändert integrativer Tanz die Ästhetik im Sinne der sinnlichen Wahrnehmung. Er fordert das Publikum zu einem neuen Hinschauen und versucht, tradierte Wahrnehmungsmuster aufzubrechen. Somit bringt er nicht nur eine gesellschaftspolitische sondern auch eine künstlerisch-ästhetische Diskussion mit sich.

Es bleibt aber nicht bei der Auflösung dieser Wahrnehmungsmuster sondern reicht bis hin zur grundsätzlichen Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung - vielmehr fängt es dort an. Letztlich bewegt integrativer Tanz auch das politische Geschehen, denn PolitikerInnen werden gegenüber jenen Kunstschaffenden zur Verantwortung gezogen, die sich außerhalb einer Norm bewegen.

Es ist mir klar, dass diese Entwicklung Zeit braucht, dass es verschiedene Zugänge und Entwicklungsprozesse gibt und dass sie wahrscheinlich nie zu Ende sein wird. Aber sie hat begonnen, der Stein ist längst ins Rollen gebracht. Vielleicht ist die vorliegende Arbeit ein Beitrag dazu, dass noch mehr Menschen dazu bewegt werden, die Perspektive zu wechseln, dabei ihre eigene Art entdecken und eines Tages sogar selbst aus der Rolle tanzen.

8 QUELLENVERZEICHNIS

8.1. LITERATUR

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Artikel

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Terkessidis, Mark: Stephen Hawking ist ein Tänzer, ballettanz-aktuell, 11/2001

Widmer, Manuela: Das Gemeinsame bei allem Fremden - ein Zusammenbringen individueller Energien im kreativen Tanz, Symposion "Das Eigene - das Fremde - Das Gemeinsame", Hrsg. Hochschule für Musik und darstellende Kunst "Mozarteum", Orff-Schulwerk-Forum, Salzburg 1995, S. 95

Zitat auf Seite 1: Neil, Marcus: Storm Readings zitiert in: Benjamin, Adam: Making an entrance, Routledge, London/NY, 2002, S. 23

8.2. FILME

Tristscher, Reinhold / Junger, Wolf: "Das Leben ist ein Traum", Video 1999

Koutecký, Pavel: AMICI - dancing with Friends, Dokumentation, copyright bei The Film and Sociology Foundation and Pavel Koutecký, 1993

Gruber, Karl-Heinz.: Manchmal verleihe ich mir Flügel, Film, München 2001

8.3. INTERVIEWS

Aschwanden Daniel : e-mail-Interview , 26. 02. 2003, geführt v. Natalie Begle

Alessi Alito: Interview geführt von Jenni Malarkey, Dezember 2002

Huber Peter: Salzburg, am 12. 02. 2003 geführt von Natalie Begle

Junger Wolf: Salzburg, 07.02.2003 geführt von Natalie Begle

Sabatin Ursula: Bregenz, 15. 02. 2003 geführt von Natalie Begle

Eidesstattliche Erklärung

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig angefertigt und außer der angegebenen Literatur keine weiteren Hilfsmittel verwendet habe.

Salzburg, am 8. Mai 2003

Dank an ...

...Univ.-Prof. Barbara Haselbach für viele Fragen, kritische Sichtweisen und fruchtbare Diskussionen

...Wolfgang Stange und Alito Alessi für Interviews, Materialzusendungen und ihr prägendes Beispiel

...dem Verein intako, vor allem Bertram Meusburger für Tipps und Material

...Ursula Sabatin für Literatur, Tipps und die selbstverständliche Art mir immer wieder "auf die Schnelle" zu helfen

...Wolf Junger, Peter Huber, Daniel Aschwanden, Katalin Zanin, Shirley Salmon, Helmut Ploebst und Dr. Silvia Kargl für interessante Gespräche und / oder e-mails

...Daniel fürs spontane Übersetzen

...meinen Schwestern, vor allem Patricia für ihre Zeit, ihr Interesse und kreative Hilfe beim "Feinschliff" der Arbeit und Caroline fürs Korrekturlesen in Übersee

...Raimund für Formatierungshilfen

...meinen Eltern für ihr Vertrauen und das Ermöglichen meines Studiums

...Martin für seine Liebe und sein stundenlanges Zuhören

...all den eigenArtigen TänzerInnen...

Quelle

Begle Natalie: e i g e n ART. Integrativer Tanz als Kunstform.

Diplomarbeit im Rahmen des 2. Studienabschnitts der Studienrichtung "Musik- und Bewegungserziehung" zur Erlangung des akademischen Grades Mag. art. Universität Mozarteum Salzburg. Institut für Musik- und Tanzpädagogik, "Orff-Institut". Betreuung: Univ.-Prof. Barbara Haselbach. Mai 2003

bidok - Volltextinternetbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 16.03.2005

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