Auf der Spur ...

Lebensbiographien von ehemaligen SchülerInnen des Berufsfindungskurses Brixen

Themenbereiche: Kultur, Arbeitswelt
Textsorte: Bericht
Releaseinfo: Eine qualitative Untersuchung zu Lebenslagen, eine gemeinsame Entdeckungsreise, eine Bestandsaufnahme.
Copyright: © Arbeitskreis Eltern Behinderter 2002

Vorwort

Auf der Spur

Vom Kind zum /r jungen Erwachsenen ein lebenslanges Lernen - lernen für das Leben

Was heißt das?

Wo passiert es?

Wie passiert es?

Wer oder was trägt dazu bei?

Wer oder was erschwert es?

Was ist wichtig?

Was bleibt?

Wie kann es weiter gehen?

Fragen, Fragen, Fragen...

Alle Akteure von Bildungsorganisationen suchen Antworten dazu. Es gibt viele statistische Erhebungen, die Zahlen und Daten liefern, welche Aufschluss geben wollen über Bildungswege und Lernerfolge. Verstehen wir damit aber was die einzelnen Menschen wirklich gelernt haben, was sie selbst aus dem Gelernten nutzen konnten, was ihnen zur Gestaltung ihres eigenen Lebensprojektes verholfen hat?

Was ist aus jungen Menschen geworden, die besondere Wege gegangen sind oder gehen mussten?

Wir waren neugierig.

Wir haben einige junge Leute gesucht, sie zusammengeführt, mit ihnen gesprochen, sie sprechen lassen, ihnen zugehört, mit ihnen diskutiert, nachgedacht.

Gemeinsam ist dieses Projekt entstanden.

AEB f. Arbeitskreis Eltern Behinderter Mia Pollinger

1.Methodisches Vorgehen beim Projekt "Auf der Spur"

Lebensgeschichte Forschungs- und Bildungsarbeit

Am Beginn des Projekts "Auf der Spur" stand fest, dass die Forschungsmethode eine qualitative sein sollte. Es sollten nicht (mittels quantitativer Forschung) nur zusammenfassende Aussagen aus Zahlenmaterial gemacht werden - Zahlenmaterial, das in Form einer von der deutschen und ladinischen Berufsausbildung Südtirols im Jahr 1997[1] erstellten Untersuchung vorhanden war. Vielmehr sollte im Detail aufgezeigt werden, was sich hinter diesem Zahlenmaterial an konkreten Lebensbedingungen verbarg. Eine qualitative Untersuchung der ehemaligen SchülerInnen bedingte, dass sie sich auf einige wenige Personen beschränkte, um die große Menge an Forschungsdaten, welche die detaillierte Betrachtungsweise mit sich bringt, überschaubar zu halten. Weiters wurde es für nötig gehalten, die ganze Lebensgeschichte der ehemaligen SchülerInnen einzubeziehen, da das, was die detailliere Sicht auf die Entwicklung nach dem Berufsfindungskurs zutage bringt, nicht nur aus dem Berufsfindungskurs selbst verständlich wird, sondern auch aus den davor liegenden Lebensabschnitten.

Daraus entstand schließlich eine von der Idee eines Klassentreffens getragene Seminarveranstaltung in drei zweitägigen Einheiten mit acht ehemaligen SchülerInnen als TeilnehmerInnen. Kriterien für die Auswahl der TeilnehmerInnen waren folgende: Abschluss des Berufsfindungskurses Brixen vor mind. 10 Jahren, unterschiedliche körperliche und geistige Voraussetzungen, ausgewogene Durchmischung der Gruppe mit Frauen und Männern.

Nicht einfach nur biographische Interviews zum Zweck der Datengewinnung standen auf dem Programm, sondern lebensgeschichtliche Forschungs- und Bildungsarbeit. Die Forschung wurde also so gestaltet, dass die ehemaligen SchülerInnen davon auch für ihre weitere Lebensplanung profitierten. Das Erzählen, Schreiben und Zeichnen der eigenen Lebensgeschichte wurde dabei weitgehend auf Video aufgezeichnet und zu einem Videofilm, sowie zu den in diesem Band enthaltenen Texten weiterverarbeitet. Wesentlich für das Projekt "Auf der Spur" war auch das angewandte Gruppen-Setting. Die Eigenschaften und Dynamiken der Gruppe wirkten sich sehr förderlich auf den Forschungs- sowie auf den Bildungsaspekt aus.

Vom Thema zu den konkreten Fragen beim Interview

Die Vorbereitung der lebensgeschichtlichen Forschungs- und Bildungsarbeit bestand darin, die Entwicklung der ehemaligen SchülerInnen nach dem Abgang vom Berufsfindungskurs sichtbar zu machen, und zwar im Kontext der jeweiligen Lebensgeschichte und durch das Anregen einer aktiven Auseinandersetzung mit ihrem bisherigen, heutigen und zukünftigen Leben.

Aus diesem Thema wurden eingegrenzte Themenbereiche, sog. Subthemen, herausgearbeitet (Kindheit, Ursprungsfamilie, Behinderung, Schule, Arbeit, Beziehungen usw.). Um diese Subthemen aufzuschlüsseln, wurden Fragen auf einem noch recht abstrakten Niveau gestellt und in einem Fragenkatalog gesammelt. Aus diesen wurden die sog. Reihumfragen formuliert, also die konkreten Fragen an die Gruppe der ehemaligen SchülerInnen, die diese der Reihe nach in Form von Erzählungen aus dem eigenen Leben beantworteten - aber nur, wenn sie sich dazu äußern wollten, es bestand kein Erzählzwang. Diese an die ganze Gruppe der TeilnehmerInnen gerichteten Reihumfragen waren zwangsläufig eher allgemein gehalten. Um die Erzählung am Laufen zu halten und in die Richtung der Subthemen zu lenken, waren immer wieder Zwischenfragen an den einzelnen Erzähler nötig, Zwischenfragen, die an die Informationen anknüpften, welche vorher noch nicht bekannt waren und unmittelbar aus der Erzählung stammten. Dieser Arbeitsschritt des Anpassens der abstrakten Forschungsfragen durch für den Erzähler verständliche und in der jeweiligen Situation passenden konkreten Fragen, wird als Operationalisierung bezeichnet.

Lebensgeschichtliches Gespräch

Es ist aufschlussreicher, wenn jemand über sein Leben nicht nur knappe Antworten auf eingegrenzte Fragen gibt, sondern auch Episoden und Geschichten erzählt oder wenigstens ausführliche Beschreibungen vornimmt. Ohne genügende Schilderung der Zusammenhänge wird den ZuhörerInnen bzw. LeserInnen eine noch so ergreifende vom Erzähler vorgebrachte Bewertung seiner Vergangenheit nie verständlich werden. Der Interviewende braucht bei der lebensgeschichtlichen Forschungs- und Bildungsarbeit nicht so weit zu gehen wie beim sog. narrativen Interview, bei dem ein einzelner Erzähler einem Interviewer möglichst stundenlang ohne Unterbrechung erzählt und sich dabei quasi im Fluss der eigenen Erzählung verlieren soll. Es genügt, wenn das Interview genügend narrative, d.h. erzählende Anteile in Form von Episoden und Geschichten enthält. Ein solches auf die Lebensgeschichte gerichtetes Interview wird als lebensgeschichtliches Gespräch[2] bezeichnet. Erreicht wird dies durch eine Gesprächsführung, die mit sog. offenen Fragen arbeitet und ganz allgemein dafür sorgt, dass der/die ErzählerIn in einen Erzählfluss hineinkommt und in diesem Erzählfluss drinnen bleibt - jedenfalls so lange, bis er signalisiert, dass seine Erzählung über ein bestimmtes Ereignis nun zu Ende ist. Am Ende einer solchen narrativen Sequenz ist der richtige Moment da, um den/die ErzählerIn ganz direkt nach Meinungen und Bewertungen zu fragen, sofern der/die Interviewte diese nicht schon, eingelagert zwischen Beschreibungen und Geschichten, kundgetan hat. Falls nötig, sollen auf das Detail zielende Fragen eine oberflächlich und allgemein gehaltene Erzählung vertiefen.

Biographisches Lernen

Was mit dem Erzählen von Geschichten und dem Bewerten der eigenen Vergangenheit (und manchmal auch im Kontrast von beidem) aufgedeckt wurde, kann nicht nur in der vorliegenden Publikation von den LeserInnen verstehend nachvollzogen werden, es wirkte zuerst schon in biographischen Bildungsprozessen[3] auf die Erzählenden selbst. Dazu sei vorausgeschickt, dass es eine grundsätzliche Notwendigkeit eines jeden Menschen ist, sich im Laufe des Älterwerdens und im Fortschreiten der Lebensphasen immer wieder ein aktuelles Bild von sich zu machen. Nur dadurch ist eine dem Lebensalter gemäße Sicht der Dinge möglich (dies gilt besonders in Zeiten wie den heutigen mit ihrem vergleichsweise schnellen Wandel). Der Begriff Identität[4] bezeichnet dieses Bild von sich. Der Wandel der eigenen Identität, des Bildes von sich selbst, vollzieht sich oft nicht intendiert oder als solcher klar wahrgenommen, sondern quasi nebenbei in alltäglichen Situationen. Lebensgeschichtliche Forschungs- und Bildungsarbeit, ist eine in Form einer Bildungsveranstaltung geplanten und strukturierten Art des biographischen Lernens. Im Laufe des Projekts "Auf der Spur" machten einige TeilnehmerInnen dann auch immer wieder Aussagen, die direkt auf stattgefundene Selbstreflexionsprozesse hinwiesen.

Das Projekt "Auf der Spur" basierte aber nicht nur auf Selbstreflexionsprozesse, die durch das lebensgeschichtliche Gespräch ausgelöst werden, sondern regte vielfach auch direkt zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben an. Die Methode der Zukunftsreise erlaubte dabei anhand von phantasierten Szenarien, die Wünsche und die Potentiale der TeilnehmerInnen aufzudecken. Die Form war dabei wiederum hauptsächlich die der Erzählung. Für einige TeilnehmerInnen wurde so evident, welche die nächsten folgerichten Schritte in ihrem Leben sein könnten, oder welche Optionen ihnen realistischerweise offen standen. Andere TeilnehmerInnen, denen noch zu Beginn des Projekts "Auf der Spur" das aktive Nachdenken über das eigene Leben und der Blick in die eigene Zukunft ungewohnt war, wurden so zum Ausprobieren dieser aktiven Haltung angeregt.

Interpretation ausgewählter Textausschnitte durch die LeserInnen

Das Anliegen des Projekts "Auf der Spur" bestand darin, die Öffentlichkeit, d.h. den Betrachter des Videos und den LeserInnen der vorliegenden Publikation möglichst direkt mit den Aussagen der Interviewten in Kontakt zu bringen. Der Arbeitsschritt der Auswertung der Forschungsdaten bestand deshalb hauptsächlich in der Auswahl von Video-Ausschnitten für den Videofilm und Text-Ausschnitte für die vorliegende Publikation aus den zweiundzwanzig Stunden umfassenden Videoaufzeichnungen. Die Textausschnitte wurden von den AutorInnen in geblockter Form wiedergegeben, beim Erzählen hingegen kamen die Beiträge wesentlich sprunghafter an die Oberfläche. Auf eine weitergehende Interpretation etwa durch das Aufzeigen von systematischen Zusammenhängen im Datenmaterial wurde verzichtet. Vielmehr sollen vor allem die BetrachterInnen des Videofilms und die LeserInnen der vorliegenden Publikation aus ihrem alltäglichen Vorverständnis heraus, selbst die Interpreten der lebensgeschichtlichen Erzählungen sein. Jede/r LeserIn kann sich somit selbst ein authentisches Bild darüber machen, wie Menschen mit Behinderung in Südtirol in ihrem beruflichen, familiären, sozialen usw. Umfeld leben und welchen Einfluss dabei der Besuch des Berufsfindungskurses hat.

Erfahrungen aus der Forschungspraxis

Um allen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, nach ihrem individuellen Rythmus in längst vergangene Zeiten einzutauchen und sodann Geschichten, die in den Sinn kommen, frei zu erzählen, fand das Klassentreffen an 3 Wochenenden in angenehmer Umgebung (Stubenatmosphäre) in Lüsen und Feldthurns statt.

Stubenatmosphäre

Die TeilnehmerInnen sollten Raum haben, nicht gezwungenermaßen chronologisch und systematisch erzählen zu müssen, sondern mit allen Abschweifungen, Umwegen und Brüchen sich ausdrücken können. Viel Zeit zum Erzählen und Zuhören zu haben, nimmt Druck weg, befreit und bringt längst vergessen Geglaubtes zum Vorschein.

Bei der Bearbeitung des Materials ist uns im nachhinein klar geworden, wie sich die TeilnehmerInnen im Laufe der 3 Wochenenden verändert haben. Das erste Wochenende diente zum Aufwärmen, zum Angewöhnen und Kennen lernen. An den folgenden beiden Wochenenden wurde das Erzählen flüssiger, das Erinnern müheloser.

Die soziale Komponente, das Miteinander in der Gruppe waren ebenso ein bedeutender Faktor. Das Erzählen in der Gruppe hatte den Vorteil, dass das Zuhören eigene Erinnerungen erweckte. Das Hören der anderen Geschichten war stimulierend - eine Geschichte zog die andere nach sich. Doch neben der Vielzahl an Geschichten, die auf diese Weise erzählt wurden, hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit sich wieder näher zu kommen, aufbauend auf alten Erinnerungen der gemeinsamen Schulzeit konnten wieder Beziehungen aufgefrischt werden. Das nicht Dokumentierbare hat einen wesentlichen Raum eingenommen. Dieses Beisammensein und gegenseitige Erzählen ist eine einzigartige Situation für viele TeilnehmerInnen gewesen.

Viele Fragen und Unsicherheiten haben die TeilnehmerInnen anfänglich geplagt, ließen sie an der Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit des Projektes zweifeln. Was erwartet mich? Kann ich das? Habe ich überhaupt etwas Wichtiges zu sagen? Wie komme ich zum Treffpunkt? Kann ich nachts alleine auswärts schlafen? Gibt es einen Tunnel auf der Strecke? Wie wird es mir mit den anderen gehen? Wer melkt inzwischen die Kühe? Eigentlich möchte ich schon, aber ...?

Es galten viele Hürden und Ängste zu überwinden. Der Reiz war groß an diesem Projekt teilzunehmen, doch das Unbekannte löste auch viel Angst und Abwehr aus. Von Vorteil war sicherlich, dass eine ehemalige Lehrerin[5], bei der Vorbereitung und Durchführung des Klassentreffens dabei war.

Wie schon erwähnt, soll diese schriftliche Dokumentation als Ergänzung zum Videofilm verstanden werden. Im Film kommt deutlicher als in der vorliegenden Publikation zum Ausdruck, dass die TeilnehmerInnen über sehr unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen verfügen. Während die einen rhetorisch sehr gewandt und sicher sind, haben andere Schwierigkeiten sich sprachlich flüssig und verständlich auszudrücken. Wieder andere hingegen machen immer wieder Umwege und Pausen, kreisen um das Thema, bis sie auf den Punkt kommen. Die Gesichtsausdrücke und die Körperhaltungen/Gesten, die im Videofilm das Erzählte noch aussagekräftiger machen, fehlen in der Verschriftlichung.

All diese Feinheiten und Unterschiede kommen im Text nur teilweise zur Geltung, obschon die AutorInnen bemüht waren, möglichst authentische Passagen beizubehalten, ohne damit den Lesefluss allzusehr einzuschränken. Das Dokument sollte für die LeserInnen auf jeden Fall verständlich und lesbar bleiben.

Der Anhang zu dieser Veröffentlichung enthält schriftliche Feedbacks einiger TeilnehmerInnen nach den verschiedenen Treffen. Diese sollen dem/der LeserIn noch mehr über die Persönlichkeiten der Ex-SchülerInnen und das von ihnen Erlebte vermitteln.

Die Zuordnung der Erzählbeiträge zu den einzelnen Kapiteln und Fragen war nicht immer leicht, aufgrund des zirkulären und nicht chronologisch strukturierten Erzählprozesses. Vielfach orientierten sich dabei die AutorInnen am Kontext, in dem die TeilnehmerInnen bestimmte Aussagen getroffen haben bzw. an der Betonung, mit der sie die eine oder andere Episode versehen haben. Die AutorInnen sind sich dieser subjektiven Zuteilung zu den Kapiteln bewusst und ersuchen die LeserInnen um Nachsicht und Offenheit beim Lesen und Nachspüren des Erzählten.



[1] "Die Berufsfindungskurse in Südtirol" Autonome Provinz Bozen, Abt. 20, 1997

[2] siehe z.B.: Blaumeister Heinz: Lebensgeschichtliche Gesprächsführung. Unveröffentlichte Texte zur Lehrveranstaltung "Lebensgeschichtliche Forschungs- und Bildungsarbeit" an der Universität Innsbruck, 1999.

[3] siehe z.B.: Allheit, Peter / Dausien Bettina: Bildung als "biographische Konstruktion"? Nichtintendierte Lernprozesse in der organisierten Erwachsenenbildung. In: Report. Literatur- und Forschungsreport Weitebildung (Thema: Biographieforschung und biographisches Lernen). 1996, Nr. 37.

[4] siehe z.B.: Straub Jürgen: Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs. In: Assmann Aleida, Friese Heidrun (Hrg.): Identitäten, Erinnerung, Geschichte, Identität 3. 1998.

[5] Autorin Sonja Seppi

2.Ausgangssituation

Bevor wir in den nachfolgenden Kapiteln in Auszügen die Ergebnisse unseres Klassentreffens darstellen, möchten wir uns kurz vorstellen. Denn uns ist es wichtig, dass diese wissenschaftliche Dokumentation keine anonyme bleiben soll, sondern ein Lebensbericht, der nicht nur Namen, sondern auch Gesichter hat.

Verena Amort, ist 31 Jahre alt, wohnt in Rodeneck bei ihren Eltern, arbeitete bis vor kurzem im Altersheim Brixen in der Küche, ist zur Zeit zu Hause.

Verena

Andreas Baumgartner, 32 Jahre alt, war seit Jahren in der Athesia Druck in Brixen tätig, ist momentan in der Reha in Brixen. Andreas wohnt seit dem Tod seiner Eltern bei seinem Bruder und dessen Familie.

Andreas

Hansjörg Ellemund, ist 31 Jahre alt und wohnt alleine in einer Wohnung des Wohnbauinstitutes in Brixen. Er arbeitet zur Zeit als Kassier auf einem Parkplatz der Gemeinde Brixen.

Hans-Jörg

Reinhard Gunsch, ist 44 Jahre alt, wohnt in Bozen und in Mondavio in den Marken, war bis 1989 als Psychologe in der deutschen und ladinischen Berufsbildung als Koordinator für die Berufsfindungskurse verantwortlich; befasst sich zur Zeit mit Fragen der Personalentwicklung

Reinhard

Apollonia Gurschler, ist 32 Jahre alt, sie arbeitet seit vielen Jahren bei der Firma Ivoclar in Naturns und wohnt bei ihren Eltern im Schnalstal.

Florian Hofer, ist 30 Jahre alt, zur Zeit tätig im Milchhof Brixen. Lebt bei seinen Eltern auf einem Bauernhof mit Ferienwohnung in Gereuth bei Brixen, wo er auch mitarbeitet.

Florian

Walter Kastlunger, ist 31 Jahre alt, arbeitet zur Zeit im Bartgaishof in Salern und wohnt mit seiner Mutter in einer Sozialwohnung in Vahrn bei Brixen.

Wilhelm Petriffer, ist 32 Jahre alt, arbeitet seit der Berufsausbildung auf dem Hof seiner Eltern in Villnöss.

Willi

Sonja Seppi, ist 38 Jahre alt, Pädagogin, bis zum hier beschriebenen Klassentreffen als Berufsschullehrerin im Berufsfindungskurs Brixen tätig, zur Zeit Freiberuflerin, wohnt in Sarns bei Brixen.

Sonja

Rita Wanker, ist 32 Jahre alt, war seit Jahren in verschiedenen Gastbetrieben tätig. In den letzten Monaten hat sie zu Hause ihren kranken Vater gepflegt, der nach dem ersten Treffen gestorben ist. Zur Zeit ist sie noch auf Suche nach einer neuen Arbeit.

Rita

Mitgearbeitet haben außerdem:

Stefan Pöhl (wissenschaftliche Betreuung) und Maurizio D'Amato (Videodokumentation -Filmstudio Cinema & TV)

3. Meine Behinderung

In diesem Abschnitt geht es uns darum, herauszuarbeiten, welchen Einfluss die Behinderung bzw. die Diagnose "behindert" auf das Leben und die Beziehungen der TeilnehmerInnen hatte. Es ist meistens so, dass das körperliche, psychische und geistige Anderssein bei den Mitmenschen, bei den "ganz normalen Menschen in Mittelgröße" (B. Brecht), Beunruhigung hervorruft. Uns war es wichtig, aufzuzeigen, ob und wie die TeilnehmerInnen ihr Anderssein erfahren haben, ob und wie sie Ausgrenzung erlebt haben. Inwieweit haben die gesellschaftlichen Verhältnisse das Selbstverständnis, die Selbstwahrnehmung beeinflusst? Welchen Einfluss hatten die Wahrnehmung, die Bilder und Wertvorstellungen der "anderen" auf die TeilnehmerInnen? Wurde ihr Leben durch vorgefertigte Meinungen, durch Kategorisierungen beeinflusst? Mit Fragen zu einzelnen Bereichen wie Schule, Gesundheitsdienst, Beziehungen, haben wir versucht, dieser sehr umfangreichen Fragestellung eine Form zu geben. Es ist offensichtlich, dass dadurch vieles ausgegrenzt und nur angerissen werden kann. Beim Klassentreffen war es jedoch wichtig, einen Einblick zu geben, Themen anzuschneiden und sie wirken zu lassen. Außerdem glauben wir, dass dies genügt, um den LeserInnen zu vermitteln, wie von den TeilnehmerInnen die Behinderung, wenn wir so wollen, auch Stigmatisierung, erlebt wurde, welche Hindernisse zu überwinden waren und welche "Überlebens"-Strategien die einzelnen Personen gefunden haben.

3.1. Wie hat die Diagnose "behindert" mein Leben beeinflusst?

Die meisten von euch haben eine medizinische oder psychiatrische Diagnose bekommen. Kennt ihr eure Diagnose und wie lebt ihr damit?

Verena

"Ja, ich weiß, dass ich mongoloid bin (leichtes Lachen).

Meine Mama hat das gesagt, dass ich mongoloid bin. Weil sie hat eigentlich schwer getan bei der Geburt, als ich gekommen bin. So blaue Flecken hat sie gehabt. Von Geburt aus bin ich halt klein gewesen und nicht richtig und habe nicht verstanden. Dann hat der Doktor der Mutti das erklärt, wie das ist, jetzt kommt halt ein mongoloides ‚Gitschele'. Und der Vater hat auch nicht gewusst, dass es kommt und der hat es auch nicht gut verkraftet. Dann bin ich halt so."

Apollonia

Hinweis für die LeserInnen: Apollonia spricht von sich auch ab und zu in der Wir-Form, denn "das ist mein Leitmotiv".

"Bei mir hat es schon nach der Geburt angefangen, dass sie uns weggetan haben, bevor die Mama mich gesehen hat. Irgendwo in einen Brutkasten, wo ich schon die Gelbsucht gehabt habe. Und sie wissen auch heute noch nicht, wovon ich das bekommen habe, ob ich das bei der Geburt schon gehabt habe, oder bei einer Impfung danach. Das ist schon einmal das Erste.

Die Ärzte haben gesagt, ich habe eine Lähmung oder Athetose, oder wie das heißt, Tetraplegie, oder so, haben sie da im Böhler[6] einmal gesagt."

Es ist für Apollonia nicht immer einfach mit ihrer körperlichen Behinderung anerkannt zu werden.

"Die älteste Schwester zum Beispiel sagt immer: ‚Jetzt bringe ich dir die O-Haxete[7]'. Das sagt sie zur Mama.

Ich weiß schon, dass wir manchmal mit dem rechten Fuß brutal nach außen gedreht gehen. Weil bis zum Abend das Gewicht manchmal zu viel ist, drückt es alles hinunter und dadurch gehen wir immer mehr auf der Außenseite.

Das ganze Hinfallen macht mir oft weniger aus, als diese Rippenstiche durch solche Beleidigungen. Die tun einem oft zehn Mal mehr weh als das andere."

Apollonia beim Spaziergang

Walter

"... Dass es nicht so ist wie bei den anderen[8], habe ich mir schon gedacht, weil die anderen haben geschrieben wie eine Schreibmaschine, so ist mir das manchmal vorgekommen, und ich bin nur langsam und in Zeitlupe mitgekommen."

Und zu Hause, ist über das gesprochen worden?

"Der Vater schon, der hat immer gesagt: ‚Was zappelst du so herum!'. Er war schon alt und hat es nicht mehr richtig verstanden. Die Mutter hat schon gesagt, da ist irgendwas nicht richtig. Und sie hat auch gesehen, dass ich ein bisschen Schwierigkeiten habe mit dem Schreiben und mit dem Wiedergeben. Und das habe ich nicht richtig akzeptiert, weil ich mir gedacht habe, ich bin trotzdem immer durchgekommen.

Schon in der Schulzeit im Jakob-Steiner-Haus draußen beim Berufsfindungskurs, dort habe ich schon ein bisschen Probleme gehabt mit der Klaustrophobie, aber 1990/91 ist es extrem geworden, habe ich die Ängste stärker bekommen. Habe viele Therapien auch gemacht. Die beste Therapie habe ich in Schlanders gemacht, aber das ist mir zu weit weg gewesen. Und jetzt zur Zeit bin ich medikamentös behandelt. Das bringt mir zwar auch nicht viel, aber ich hoffe, dass ich sie mit der Zeit abbaue und schaue, dass ich mit Homöopathie etwas anfangen kann. Nicht mit diesen chemischen Sachen, denn davon kann man Nebenwirkungen bekommen, habe ich gehört - und immer schon gewusst."

Hansjörg

"Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich lange Zeit als Kind einen Vollgips wegen der Hüften tragen musste und dann immer umgefallen bin, wenn ich gehen wollte. Dabei habe ich mir die ersten Zähne alle herausgeschlagen. Da war ich vielleicht vier oder fünf Jahre alt. Ich habe ein wenig später gehen gelernt. Ich bin halt immer umgefallen. Und das war furchtbar, ich habe nie verstehen können, wie andere Kinder irgendwo hinunterlaufen konnten, ohne dabei umzufallen. Da bin ich ihnen so neidisch gewesen! Aber es ist alles gegangen und musste auch gehen."

Ein sehr einschneidendes und bestimmendes Erlebnis seiner Kindheit:

"... ich bin in meiner Kindheit einmal ins Dorf gegangen und habe einen Sack voll Lebensmittel eingekauft, ich habe damals schon den Buckel gehabt, und ich gehe bei der Siedlung hinauf und plötzlich sagen ein paar Kinder: ‚Schau, der hat unter dem Leibchen einen Rucksack'. Und das ist für mich so ein Schock gewesen. Dann haben sie mir noch Steine nachgeworfen und draufgespuckt. Dann bin ich nach Hause und habe mich schnell ausgezogen und ich habe in den Spiegel geschaut, dann sehe ich meinen Buckel, weil ich selber habe es ja gar nicht wahrgenommen, dass ich so einen großen Buckel habe. Dann habe ich im ganzen Haus die Spiegel zerstört. Ich habe mich nicht mehr sehen wollen. Alle Spiegel zerstört und die Herrgötter[9]auch. Ich habe gesagt: ‚Wenn du der Herrgott bist, wieso lässt du das zu?'. Ich habe ihn furchtbar gehasst - dann."

Die ersten Begegnungen mit dem Schulpsychologen sind Hansjörg noch in bester Erinnerung.

"Später bin ich öfters zum Psychologen gekommen und als Volksschulkind habe ich nie gewusst, was der macht. Ich musste eines Tages mit der Mutter hingehen. Ich habe nur immer gemerkt, die Mutter ist ziemlich nervös, und dann sind wir hingegangen[10]. Und die ersten paar Mal ist sie mit mir hineingegangen, dann habe ich überhaupt nicht geredet, weil ich Angst gehabt habe, dass die Mutter da Dinge mitbekommt und danach womöglich noch schimpft, weil ich etwas gesagt habe, was sie gar nicht hören will. Dann habe ich gar nichts gesagt. Deshalb habe ich eine Diagnose bekommen, die gar nicht stimmt, weil wenn die Mutter mit drinnen ist, kannst du ja nie frei reden. Da wäre richtiger gewesen, und das habe ich auch dem Psychologen vor ein paar Jahren gesagt, wenn er gesagt hätte, sie solle einen Augenblick vor der Tür warten und in einem zweiten Moment erst die Mutter hereingeholt hätte, dann hätte der viel mehr von mir herausholen können.

Zum Zweiten, ich habe nie gewusst, was der mit mir macht und wieso ich das tun muss. Mit diesen komischen Sachen, mit diesen Fallen, da habe ich mir immer gedacht, das ist so ein Hineinleger, und bevor ich etwas falsch mache, mache ich besser gar nichts. Dann hat er immer gemeint, das kann ich nicht und jenes kann ich nicht und dieses auch nicht. Aber das habe ich ja gar nicht verstanden. Wenn du nicht weißt, um was es geht, dann machst du lieber gar nichts mehr. Und sobald es geheißen hat: ‚Friedrich'sche-Ataxie', dann ist festgestanden, dass ich gar nie schreiben werde können und lesen und diese Sachen."

Hansjörg berichtet, dass er durch diese Diagnose in der Schule eine zeitlang ein angenehmes Leben geführt hat.

"... und ich habe mir gedacht: ‚Ist das gemütlich jetzt, jetzt ist das Schule-Gehen fein'. Und nach einiger Zeit hat die Lehrerin, die Schlechtleitner Josefine gesagt: ‚Nein, das kann nicht stimmen, er hat schon dieses gekonnt und jenes gekonnt, wieso soll er denn jetzt plötzlich nichts mehr können?' Und dann haben sie mich noch einmal zum Psychologen geholt und da ist die Lehrerin mitgekommen und dann hat sie ihm gesagt: ‚Jetzt zeigst du dieses und jenes, wie wir es in der Schule gemacht haben', dann habe ich das gekonnt. Und dann hat er gesagt: ‚Ja wieso hast du das, das letzte Mal nicht gemacht?'. Dann habe ich gesagt: ‚Ich habe es einfach nicht gekonnt'. Danach habe ich in der Schule schon wieder Aufgaben bekommen, das ist mir dann eher auf die Nerven gegangen.

Viel später hat die Ärztekommission zu mir gesagt: ‚Du kannst nie ein Auto fahren'. Wenn ich es nie probiert hätte und gekämpft, dann hätte ich heute keines. Dafür bin ich auch zur Ärztekommission neunzehnmal nach Bozen hinein, auch weil dieser Befund damals schlecht ausgefallen ist. Friedrich'sche-Ataxie heißt, du kannst nie ein Auto fahren. Danach musste ich ihnen beweisen, dass es wirklich geht. Und Gott sei Dank ist es mir gelungen."

Florian

"... Ich habe keine Behinderung. Außer, ich sehe ein bisschen wenig. Es ist so, dass schon öfters jemand einmal eine Brille aufsetzen muss. Aber ich rede auch nicht viel, der Hansjörg, ja, er redet mehr als ich."

Florian

Andreas

Andreas erklärt, dass auch er Schwierigkeiten mit dem Sprechen hat, Schwierigkeiten dadurch auch Beziehungen herzustellen, er frägt sich, nach dem warum und wieso.

"Beispiel Hansjörg kann gut rechnen, ich habe gesehen, Schule draußen[11], Milland draußen, der kann gut rechnen und ich nicht. Wieso kann ich nicht gut rechnen und das? Wieso das? Meine Schuld oder, das ist nicht meine Schuld, das meine ich auch. Aber ich denke auch - was ist das?"

3.2. Wie hat meine Behinderung die Begegnung mit anderen (inner- und außerhalb der Familie) geprägt und beeinflusst?

Apollonia

Sie erzählt, dass sie zu Hause immer sehr zurückgezogen war, dass sie keine Freunde und Freundinnen hatte. Durch ihre körperliche Behinderung war es schwierig für sie, sich selbständig fortzubewegen. Sie war sehr viel bei ihrer Mutter, denn der Vater hat im Ötztal Schafe gehütet ...

"... der ist nur im Sommer einmal gekommen und ist dann wieder weg gegangen zum Hüten und ist erst wieder im Herbst gekommen. Und von den großen Schwestern weiß ich eigentlich nichts, ich weiß nur, dass der Bruder mich immer spazieren geschoben hat. Und die Schwestern haben immer diese Ausreden da, sie nehmen dich in kein Geschäft mit. Von ihnen aus bist du einfach wie so ein Depp.

Sie probieren es auch gar nicht, ob du etwas schaffst oder nicht. Weil in Lana[12] gehe ich einkaufen, dort geht alles. Und wenn ich einmal etwas umschubse, dann sagt man halt: ‚Entschuldigung', dann ist das wieder in Ordnung. Aber da schämen sie sich[13], und dann ist fertig. Beim Kirchgang geht es gut. Was Kirche und Arbeit angeht, nehmen sie dich überall hin mit, aber was Freizeit angeht ... ist es schwierig."

Wie lebst du Beziehungen außerhalb deiner Familie?

"Wenn zum Beispiel ein Beziehungspartner ein Eisacktaler ist und ich eine Vinschgerin, dass ich so weit herfahren muss, das geht einfach nicht. Weil schon die ganze Verantwortung, was passiert wenn ich irgendwo hinfahre, mit was fahre ich und wie geht das? Es gibt so viele Sachen im Fernsehen, wo man sieht, dass die Leute dann nicht mehr ankommen. Es ist nicht nur die Beziehung, sondern wie kommst du hin und zurück, heil. Oder auch wegen den Eltern, dass sie es nicht wollen. Und die Ängste in dir, es könnte dir etwas zustoßen, es könnte einer über dich herfallen. Das gibt es, solche Situationen."

Hansjörg

"Ich habe gemerkt, die Mutter muss so viel arbeiten wegen mir. Und das ist eine furchtbare Belastung gewesen, sie hat nie etwas gesagt, aber das habe ich mitbekommen! Weil wenn wir Schuhe kaufen gegangen sind, dann ist man ins Geschäft gegangen, dann hast du vielleicht hundert Paare probieren müssen, nicht nur ein Paar, und danach schaut sie auf den Preis und heimwärts hat sie dann gesagt: ‚Ich habe das Geld wieder fertig'. Und das ist schon sehr schlimm. Und dann habe ich mir schon gedacht, wenn ich gesund wäre, dann könnte ich auf den Markt gehen und danach hätte man noch Geld übrig! Das ist schon schlimm gewesen."

Deine außerfamiliären Beziehungen?

"Wenn man nun die Beziehungen bei der Arbeit hernimmt, kommt mir vor, es kommt darauf an, wie du selber die Arbeit machst. Weil bei der Arbeit, kommt mir vor, wird bezüglich Behinderung, jedenfalls bei mir, nicht so stark geschaut. Eher dass ich selbst Grenzen setzen muss und sagen: ‚Schaut, das geht einfach nicht mehr'. Weil ich einfach dieses Mitleid, habe ich ihnen gesagt, das mag ich nicht, und ich habe gesagt, ich sage selber, sobald es nicht mehr geht.

Aber bei einer Beziehung mit einer Frau, nehmen wir an, es geht weiter, du knüpfst Kontakte, du lebst zusammen, dann ist schon die Angst da, wenn ein Kind wäre, wie geht das? Und das hat wirklich mit der Behinderung zu tun, das blockt ab, mehr die anderen, als mich. Wenn es auch Liebe wäre.

Mir kommt vor, sicher ist es nicht einfach, aber gemeinsam müsste das gehen. Aber die anderen sind einfach gewohnt, teilweise, dass alles schön ist, alles eher einfach. Sie bekommen einfach andere Partner leicht, dann nehmen sie ja jemanden anderen. Du musst einfach kämpfen und einfach den ersten Schritt versuchen zu machen. Das kommt mir vor. Und was ich auch vor ein paar Jahren immer gemeint habe, wie in einem Film, da siehst du ja immer nur das Gute. Alles geht gut aus. Dann hast du das Gefühl oft durch die Medien, das fliegt dir einfach zu: Eine Frau steht da, eine Traumfrau, die siehst du, du gehst hin, fragst und hast sie. Das ist in Wirklichkeit ganz eine andere Sache. Und ich habe halt gesehen, dass man bei den Leuten nicht nur auf den Körper schauen muss, einfach den Menschen als Gesamtes sehen. Weil man kann nicht gut sagen: ‚Dieser Mensch ist jetzt dick, zu dem gehe ich gar nicht hin'. Weil gerade dieser Mensch könnte ein Herz haben und gute Dinge in sich, die genau so sind, wie du dir sie vorstellst. Und das Körperliche irgendwie kommt mir vor, ist nicht das Wichtigste, die Seele ist viel mehr wert."

Walter

"Ich akzeptiere mein Problem, meine Behinderung. Bei der Arbeit wissen es zum Beispiel viele Menschen, dass ich Ängste und auch sonst Probleme habe, auch viele Leute im engeren Kreis wissen es. Wenn ich in einer neuen Reihe einkreise zum Beispiel, dann sage ich es ihnen auch, dass ich eine Behinderung habe.

Es wird meistens eher leichter, dann weiß ich, wie sie dran sind, dass sie mich auch so akzeptieren können. Bis jetzt ist es eigentlich noch nie passiert, dass sie sich abgewendet haben. Sie haben es alle so akzeptiert, wie es ist."

Walter's Freizeitaktivitäten werden von seinen Ängsten geprägt.

"... wenn sie zum Beispiel eine Fahrt machen nach Deutschland, dann nehmen sie mich nicht gerne mit. Weil da sind zum Beispiel viele Tunnels und sie wissen, dass ich auch vor den Tunnels Angst habe. Dann nehmen sie mich deshalb nicht mit. Aber da mache ich mir nichts draus. Kann ich ja inzwischen, während sie weg sind, da mit den anderen Kollegen etwas unternehmen..."

Andreas

Er erzählt von seinen Schwierigkeiten, Beziehungen herzustellen und warum er eigentlich lieber mit Frauen zusammen ist.

"Ich bin körperbehindert, ich kann nicht gut rechnen, so etwas, und schreiben. Arbeiten kann ich schon, das schon ... Beziehung, wie kann man sagen, Leute gehe ich schon um. Aber wenn einer sagt: ‚Bist ein Behinderter, ich schlage Scheiben dir ein', so etwas oder ‚Dich mag ich nicht mehr, du bist ein behinderter Lotsch' und solche Wörter. Bei Frauen, geht schon, bei Frauen. Wenn ich Frauen mit mir anredet, ok., nehmen mich an, als Behinderung.

Frauen ist ein bisschen anders, Frauen. Diese kann man alles reden. Aber uns oben, im Dorf kann man nicht reden. Die sagen: ‚Der geht in die Seeburg[14] hinunter, lass nur unten', so etwas."

3.3. Welche Erfahrungen hast du in der Schule oder im Heim gemacht?

Im folgenden geben wir auszugsweise die Erinnerungen aus der Zeit im Kindergarten und in der Schule wieder. Da einige der TeilnehmerInnen in diesem Zeitraum auch in einem Heim oder bei einer Pflegefamilie untergebracht waren, haben wir auch diese Aussagen dazu berücksichtigt.

Rita

"Beim Rechnen war ich ziemlich schlecht, da bin ich nie nachgekommen, auch beim Zeichnen war ich ziemlich schlecht. Da haben die Lehrpersonen auch immer gesagt, ich kann nicht lernen, aus mir wird nicht viel, haben sie immer gesagt. Ich habe schon versucht, etwas zu machen, manchmal ist es nicht gegangen. Beim Auswendiglernen habe ich mir auch schwer getan, da haben sie mir oft ein wenig geholfen. Beim Aufsatzschreiben hat es auch ziemlich ‚gehappert'[15]. Die Zusammenfassung habe ich nie richtig geschrieben und die Hälfte vergessen."

Wo bist du zur Schule gegangen?

"Zuerst war ich schon in einer normalen Klasse, glaube ich. Dann bin ich auch in eine Sonderschule hineingekommen, warum weiß ich auch nicht. Oft schon, frage ich mich. Es sind einfach zu viele Schüler gewesen und sie[16] hat nicht nur bei mir sitzen können. Und deswegen haben sie mich dann weg getan nach Brixen[17] in die Sonderschule. Mehr weiß ich nicht."

Hat es dir etwas ausgemacht, dass du in die Sonderschule gegangen bist. Ist dir das klar gewesen?

"Schon, schon, da sind wir ja nur fünf-sechs Schüler gewesen, wenige halt. Bei den anderen Volksschulen sind ja mehr Schüler, zwanzig oder fünfundzwanzig. Ich habe mich nicht geschämt direkt, halb-halb, aber manchmal hat es mir doch etwas ausgemacht. Vor mir selber. Viele haben mich schon gefragt, wieso ich da hineingekommen bin und wieso ich nicht in eine normale Schule gegangen bin.

Ich habe keine Ahnung. Ja, vielleicht weil ich halt beim Lernen auch hinten bin - ein wenig."

Apollonia

"... ich war viel krank. Ich weiß, dass ich einmal im Kindergarten in die Hosen gemacht habe, man musste mich mit dem Bäcker nach Hause fahren, das weiß ich noch gut. Von der Schule weiß ich, dass sie mich nicht gemocht haben.

Im Heim und in der Schule in Innsbruck draußen, da bist du für alle gewesen, wie alle anderen auch, dort bist du nie, so wie sie zu Hause immer tun, dass du immer das behinderte Kind bist, dort draußen heißt es immer: ‚Das kannst du und Schluss'. Und auch den anderen, die schlechter dran waren, das Essen-Eingeben haben sie dir anvertraut.

So war das irgendwie. Wenn ich dann mit siebzehn oder achtzehn hätte ausgehen können, haben die Eltern mich wieder zurück nach Schnals geholt. Und damit war alles vertan."

Hansjörg

Hansjörg erinnert sich daran, wie belastend es war, als er den Unterricht wegen der Physiotherapiestunde verlassen musste.

"Ja, weil du musst von den anderen Mitschülern weggehen, die anderen haben ja inzwischen das Programm weitergemacht und sobald du zurückgekommen bist, bist du irgendwie den anderen gegenüber hinten gewesen und hast irgendwie wieder weiterkommen müssen.

Oder zum Beispiel, haben sie mich oft in der Pause geholt, sonst schon müde gewesen, habe nichts zu essen bekommen, weil ich dann wieder in den Unterricht hineingekommen bin. Dann bin ich ja fertig gewesen wie ..., das habe ich als Strafe empfunden. Für mich ist das die größte Strafe gewesen.

Ich habe es gehasst unmöglich und habe nicht gewollt gehen, und niemand hat erklärt, für was das gut ist. Wenn da jemand gewesen wäre, der gesagt hätte: ‚Schau, das musst du tun, das ist für dich wichtig, weil du schwächer bist'. Einfach direkt reden, schon als Kind, nicht immer sagen: ‚Es fehlt eigentlich nichts, aber du musst doch gehen'.

Ja, die haben dich behandelt, als wenn du nicht bis fünf zählen könntest. Das ist brutal, den Mensch nicht ernst zu nehmen."

Verena

"Also, ich bin in Rodeneck Kindergarten gegangen mit normalen Menschen. Dann, bin ich gesessen bei meiner Freundin, die heißt Doris. Dann haben wir immer gespielt im Kindergarten. Dann bin ich in Rodeneck Schule gegangen, ich bin in der Klasse neben einem Bub gesessen. ... Dann bin halt nicht so richtig mitgekommen, wie die normalen Menschen. Eine hat geschrieen, dass ich behindert bin.

Beim Rechnen bin ich auch nicht so gut gewesen. Und beim Schreiben bin ich auch gut gewesen. Und beim Diktat bin ich auch immer brav gewesen. Und auswendig gelernt und Diktat und so, da bin ich halt fleißig gewesen. Da habe ich auch geschwind ... auswendig gelernt. Da habe ich auch aus dem Kopf alles gehabt. Und dann bin ich Brixen hinunter gekommen in die Sonderschule. In Brixen habe ich bei einer Pflegefamilie gewohnt. Da hat mich meine Mutti hingetan. Dann bin ich dort unten geblieben, dann bin ich von dort weg Schule gegangen.

Bei den Pflegeltern hat dort das Mädchen mich auch immer gezwickt, dass ich blaue Flecken gehabt habe. Dann hat die Mutti mich wieder nach Hause getan. Dann bin ich immer mit dem Bus hin und hergefahren, dann ist die Mutter immer mit gegangen, den Weg zu zeigen. Dann habe ich den Weg gekannt."

Andreas

"Ich war auch in der Sonderschule in Brixen unten. Zuerst war ich in Natz, nur kurz, nicht so lange.

Bin ich hart gelernt ... Ich bekomme auch Rente deswegen. Den Traktorunfall habe ich gehabt. Damals bin ich geworden so ... wie kann man erklären ... Hart gelernt habe, bin nicht richtig mitgekommen. In Brixen dort habe ich weitergemacht. Da ist eine Lehrerin gewesen. Dort bin ich besser gegangen. Früher habe ich nicht Behinderung gehabt.

Früher bin ich normal gewesen. Vielleicht wegen Unfall. Ich bin zwei Monate nicht Schule gewesen, danach bin ich Krankenhaus gewesen - zwei Monate. Gips oben und Fuß Nagel drin gehabt. Danach zwei Jahre gemusst gehen lernen."

3.4. Welche Erfahrungen hast du mit den Gesundheitsdiensten gemacht?

Alle TeilnehmerInnen haben auf ihre eigene Weise bedeutende Erfahrungen mit den Gesundheitsdiensten gemacht. Wobei wir unter Gesundheitsdiensten sowohl ÄrztInnen, TherapeutInnen und PsychologInnen verstehen.

Hinweisen möchten wir auch auf die Rolle, die zum Teil die Mütter einnehmen, nämlich jene als Co-Therapeutinnen.

Hansjörg

"Und was ich mich noch so erinnern kann, als Kind mit fünf Jahren, da ist immer der Ärztekongress nach Brixen gekommen, und die haben schon das Einverständnis von der Mutter geholt, dass sie mich untersuchen dürfen, und da sind so dreißig-vierzig Ärzte gewesen, ich musste mich auf einem Tisch niederlegen, nur mit einer Unterhose bekleidet, ohne dass sie gesagt haben, dass sie Ärzte sind und dass sie dies für ihre Weiterbildung brauchen. Das ist für sie ganz selbstverständlich gewesen, dass sie mich angreifen können, dass sie sogar die Unterhose herunterziehen können. Ich habe mich furchtbar geschämt und ich habe mir gedacht, es geht die Welt unter ... und dann sind alle gegangen und ich bin fast nackt auf dem Tisch gelegen und niemand hat sich gekümmert, wie ich zurechtkomme. Kann ich die Schuhe zuknüpfen? Komme ich zu einem Bus? Das ist für mich furchtbar gewesen.

Ich erinnere mich auch an eine Zeit im Krankenhaus, da war ich noch klein und auch schwach, da haben sie mich eingewiesen in Brixen, das ist auch so ein Ärztekongress gewesen und da musste ich auch vierzehn Tage im Krankenhaus bleiben. Da haben sie das Herz untersucht und mir ist vorgekommen, als wenn ich ein Versuchskaninchen wäre. Da sind alle zu mir her, haben das Bett zurückgezogen, haben mich wieder ausgezogen, haben wieder Untersuchungen gemacht und mir ist eigentlich nie gesagt geworden, was sie tun. Ich bin da so ungefähr acht Jahre alt gewesen ... Ich wurde eingewiesen und habe nie gewusst, wieso ich da bin. Mir ist vorgekommen, ich bin nicht krank, trotzdem musste ich im Krankenhaus bleiben. Das war für mich eine schlimme Zeit als Kind."

Hansjörg, der unter anderem auch eine Skoliose (Wirbelsäulenverkrümmung) hat, musste jahrelange Untersuchungen über sich ergehen lassen, bis er im Alter von 15 Jahren ins Krankenhaus nach Verona überwiesen wurde.

"... und dann haben sie gesagt, es gibt für viele Leute eine Hilfe aber für mich gibt es einfach keine Hilfe, die Operationen sind zu riskant, und ich soll mir ein schönes Leben machen, ich werde mit achtzehn sterben. Das war in meinem Leben der größte Schock, den man sich nur vorstellen kann. Ich habe auch deshalb in der Schule nicht mehr irgendetwas tun wollen, weil ich mir gedacht habe, dass ich in zwei Jahren sowieso sterbe. Und die Ärzte und Therapeuten habe ich alle furchtbar gehasst.

Dann bin ich doch noch in die Schule gegangen und habe dann die Sonja[18] kennen gelernt. In der Schule ist mir dann ständig schlecht geworden, ich habe immer gesagt das ist eine Grippe, und nie, dass es praktisch die Lunge und das Herz schon erdrückt hat, ich habe oft keine Luft mehr bekommen. Eines Tages bin ich wieder einmal umgefallen, dann hat die Sonja gesagt: ‚Gehen wir zur Dr. Gisser[19], ich vereinbare einen Termin, die schaut wirklich nur die Lunge an oder wirklich nur den Bauch und sonst nichts'. Nach langem Hin und Her sind wir dann zur Dr. Gisser gegangen, wofür ich heute noch dankbar bin, denn es ist höchste Zeit gewesen. Die hat mich behandelt, wirklich nur den Bauch, wie es die Sonja gesagt hat. Und dann bin ich nach Innsbruck gekommen mit dem Masin Robert[20]. Wir haben die ganzen Untersuchungen gemacht und dann die großen Operationen.

Gott sei Dank ist es gutgegangen. Die Operationen sind besser gelungen, als sie gemeint haben. Heute habe ich die Wirbelsäule verhältnismäßig gerade und kann ziemlich selbständig gehen. Der Schmerz ist wetterbedingt, aber es geht. Therapien muss ich lebenslänglich machen und die mache ich auch gerne, denn ich denke mir, ich mache soviel Therapien wie ich kann, ich möchte die Therapien machen, die auf dem neuesten Stand sind, diese Therapien möchte ich machen. Weil wenn ich morgen im Rollstuhl sein sollte oder dass irgendeine Veränderung wäre bei mir, dann könnte ich mir immer denken: ‚Ich habe getan, was ich konnte, die Ärzte auch'. Dann muss man sich halt eventuell wieder abfinden."

Wie ist deine Familie mit deiner Krankheit umgegangen?

"Zu Hause wurde nie über meine Behinderung gesprochen, das ist alles so ein wenig zugedeckt worden. Das ist halt so ... das ist kein Thema gewesen. Das war so, ich hätte ein medizinisches Korsett anziehen sollen, dafür bin ich nach Bozen hinein gekommen, und da sind damals noch nicht so gute Fachleute gewesen, die den Gipsabdruck ganz genau gemacht hätten, die waren noch nicht so weit, meiner Meinung nach. Das Korsett hat mir nie gepasst, entweder ich habe da Wunden bekommen oder hinten, irgendwo hat es halt nie gepasst. Vor lauter Schmerz habe ich in der Nacht oft direkt geschrieen, die Eltern haben neben mir geschlafen, dann haben sie es mir wieder ausgezogen. Und ich habe das Korsett manchmal einfach zerstört, vor lauter Hass darauf. Ich habe eingesehen, dass ich es tragen müsste, auf der anderen Seite habe ich es so gehasst. Zum Schluss habe ich es zusammengeschlagen, dann bin ich zur Ärztin gekommen, zur Dr. Unterkircher, die hat gesagt: ‚Wenn du das Korsett nicht anziehst, bekommst du einen Buckel'. Dann habe ich gesagt: ‚Lieber einen Buckel bekommen als noch einmal zu dir kommen'."

Hansjörg kann sich nicht nur an die verschiedenen Erlebnisse mit Krankenhäusern und ÄrztInnen erinnern, er hat auch zum Thema PsychologInnen etwas zu sagen.

"Wie schon vorher gesagt, habe ich ihn als Kind eher als Feind gesehen, nicht als jemand, der mir hilft. Und dann habe ich mir immer gedacht, die probieren etwas mit mir. Und das habe ich gehasst. Und das habe ich ihm heute auch gesagt, ich bin heute noch manchmal in Behandlung bei ihm, wenn es mir sehr schlecht geht. Heute sehe ich ihn als Freund. Und das sage ich ihm auch heute: ‚Schau, früher habe ich dieses Problem mit dir gehabt'. Und für ihn ist das sehr interessant, weil er sagt, das gefällt ihm, wenn ich ihm das sage, weil er das heute verbessern möchte."

Apollonia

Auch Apollonia hat eine Reihe von Erfahrungen mit den Gesundheitsdiensten gemacht. Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung war sie schon als kleines Kind häufig wegen Operationen oder Therapien im Krankenhaus.

"Die Mama ist mit mir viel nach Meran zum Turnen gefahren, sie hat uns immer hinuntergetragen und wieder zurück, weil gehen habe wir ja damals noch nicht gekonnt. Sie hat mich immer nur getragen. Das war für die Mama sicher strenger als für mich. Weil sie hat müssen dieses schwere Kind immer auf dem Arm durch die Stadt tragen und auch drinnen im Schnalstal zur Haltestelle. Später hatte sie dann so einen Kinderwagen gehabt. Aber ich habe nur noch wenige Erinnerungen. Da weiß ich gar nichts mehr.

Gehen haben wir erst in Axams[21] gelernt, mit zwei Schienen bis zu den Hüften hinauf. Das erste Jahr, wie wir draußen Schule gegangen sind, haben wir so ein Geh-Gestell bekommen, so dass wir uns fortbewegen gekonnt haben. Das war nur so ein Gestell vor mir, das ich schieben konnte. Ein Rollator. Mit dem sind wir dann eben fortgegangen. Das war eigentlich irgendwie schwierig zuerst, du musst dich ja zuerst auf das alles einstellen, du hast noch nie probiert, wie das geht. Dann aber ist es ein tolles Gefühl gewesen."

Und wie war dieses Gefühl, als du endlich ohne Hilfe der Mutter, gehen konntest?

"Ja toll! Toll. Etwas Neues wieder. Und auch das Lernen war ganz anders. Wieder einmal etwas selber ... Toll. Endlich selber zu gehen, ohne von jemandem abzuhängen. Ich habe dann Schienen bekommen. Die Schienen haben links und rechts bis zu den Hüften gereicht. Und das hat ja mit der Zeit gerieben, brutal. Ich schwitze und kratze mich dann da drinnen, das war dann mit der Zeit sehr unangenehm. Und dann hat mich die Schwester[22] im Heim einmal, weil ich so geweint habe und keine Ruhe gegeben habe, hinaus in die Badewanne getan bis zwölf Uhr nachts. Und um zwölf Uhr hat sie mich aufs Klo getan und dann habe ich wieder gedurft ins Bett gehen.

In der Badewanne zu übernachten war nicht für mich gut, sondern für die anderen Kinder. Weil ja noch zwei neben mir geschlafen haben, und die wollten ja auch schlafen, oder sollten schlafen. Das war eigentlich das Problem, dass ich keine Ruhe gegeben habe.

Später irgendwann haben sie dann die Schienen abgenommen. Ich weiß nur noch, dass sie dreimal geschnitten[23] haben, und dass man heute noch die Narben sieht. Und dann habe ich irgendeinmal die neuen Schienen bekommen. Durch die Therapie habe ich mich dann an das Gehen eingewöhnt so langsam."

Florian

Florian hat ausgiebige Bekanntschaft mit dem Krankenhaus gemacht wegen 7 Augenoperationen im Alter zwischen 5 und 10 Jahren.

"In Innsbruck draußen haben sie mich operiert, das war eine lange Zeit. Meine Mutter ist mit mir hinaus. Da war ich ja erst fünf Jahre alt, fünf Jahre und das letzte Mal zehn Jahre alt. Die Mama hat mich nur hinausbegleitet. Dann ist sie so alle drei-vier Tage gekommen."

Wie war das, zwei Wochen alleine im Krankenhaus zu sein und nur ab und zu die Mama zu sehen, als fünfjähriges Kind?

"Da erinnere ich mich nicht mehr viel, eigentlich.

Jetzt geht es mir ganz gut. Beim Lesen brauche ich halt Brillen. Und beim Autofahren, da muss ich Brillen aufsetzen. Sonst sehe ich alles."

Verena

Verena hat ein Down-Syndrom und ihre Erfahrungen hat sie nicht so sehr mit stationären Krankenhausaufenthalten und Operationen gemacht, sondern vor allem mit Logopädie und Physiotherapie. Ganz genau kann sie sich an die logopädischen Übungen erinnern, die ihre Mutter mit ihr durchgeführt hat.

"Ja, die Mutti hat halt viel mit Löffel getan mit mir, mit dem Löffel beim Reden. Da hat sie so einen Gegenstand gehabt, dann musste ich mit dem Löffel im Mund immer reden. Den Gegenstand hat sie dann zwischen die Zunge hineingetan, dann musste ich reden. Weil beim Reden habe ich mir schwer getan. Zum Beispiel mit dem ‚S', habe ich mir schwer getan, dann musste ich das lernen. Das haben die Doktoren gesagt, das muss ich tun mit dem Löffel oder halt mit einem Gegenstand."

Hast du gewusst, warum du das tun musst? Haben sie dir das erklärt?

"Ja. Sie haben gesagt, dass ich nicht so viel reden kann. Dass ich halt ... das ABC zum Beispiel lernen kann. Oder das S oder das D. In was ich mir schwer getan habe, das musste ich dazulernen."

Verena ist mit ihrer Mutter regelmäßig zur Therapie nach München gefahren.

"Da war ich vier oder fünf Jahre alt. Der Vater hat immer zu mir gesagt: 'Das braucht es nicht, das bringt doch nichts, aus mir wird nichts.' Er redet nicht so viel. Die Mutter hat nicht auf den Vater gehorcht. Und doch bin ich so geworden jetzt.

Meine Mutti ist oft in der Nacht aufgestanden mit mir, um auf dem Tisch zu turnen. Weil sie hat mich immer versteckt, weil der Vater mich nicht sehen wollte. Sie hat mich dann später geholt. Auf dem Tisch drauf haben wir geturnt, wenn der Vater weggefahren ist, haben wir geturnt. Weil der Vater hat nicht viel getan mit mir und die Mutter ist in der Nacht aufgestanden und hat geturnt. Mit der Zeit bin ich dann so wie ich jetzt bin geworden. Die Gelenke oder so, ich habe keine Kraft gehabt in den Beinen, dann hat sie immer weiter gemacht mit mir, bis es nicht mehr gegangen ist. Weil zum Beispiel eine Schublade aufmachen oder etwas tun, das habe ich auch nie gekonnt, dann hat sie mir das gelernt und mit der Zeit ist es gegangen. Ja."



[6] Krankenhaus in Meran

[7] Die, mit den O-Beinen

[8] in der Schule

[9] Kruzifixe

[10] Psychologenpraxis

[11] Berufsfindungskurs

[12] am Urlaubsort

[13] die älteren Schwestern

[14] Behindertenzentrum

[15] gemangelt

[16] die Lehrerin

[17] In Brixen, in der Dantestraße gab es damals in der Volksschule einige Sonderklassen

[18] Lehrerin an der Berufsschule

[19] Ärztin in der Physiotherapie KH Brixen

[20] Betreuer an der Berufsschule

[21] Sondereinrichtung in der Nähe von Innsbruck

[22] Ordensfrau

[23] 3 Operationen

4. Meine Kindheit und Schulzeit

In diesem Abschnitt möchten wir genauer auf die vielfältigen und zahlreichen Erfahrungen aus der Schulzeit und Kindheit eingehen. Wir haben dieses Thema schon kurz unter dem Kapitel "Meine Behinderung" angesprochen, doch während dort die Erinnerungen hauptsächlich um die Behinderung kreisten, versuchten wir hier mit den TeilnehmerInnen verschiedenste Erlebnisse und Erfahrungen aus der Kindheit und Schulzeit "auszugraben". Dass auch hier das Erlebte eng mit dem Thema Behinderung verbunden ist, ist selbstverständlich, aus diesem Grunde sind Überschneidungen möglich.

4.1. Was fällt dir ein, wenn du dich an deine frühe Kindheit zu Hause erinnerst?

Apollonia

"Von klein auf habe ich wenig Erinnerungen. Wir haben einsam und alleine gewohnt. Ja, ich war einsam und alleine. Und zweitens war ich viel krank. Ich weiß nur, dass ich sauviel im Bett war."

Rita

Hat dir jemand Geschichten über dich erzählt, wie du warst, was du gemacht hast?

"Nein, nie."

4 Geschwister

"Ich erinnere mich nur daran, dass ich einmal daheim vom Fensterbrett gefallen bin. Ich habe einen Schädelbruch gehabt. Mein Bruder, der Klaus, hat mich hinuntergeschubst, da war ich vier oder fünf Jahre alt, glaube ich. Da war ich einmal zu Hause, kurz. Ich war lange im Krankenhaus und meine Mutter hat dann einen Schlaganfall bekommen, wegen mir, wegen dem Schock."

Wegen dir?

"Sie sagen es jedenfalls. Sie war in Verona und ich war auch in Verona, meine ich. Dann sind wir nach Bozen herauf gekommen. Sie war im unteren Stock und ich oben. Sie hat den Schlaganfall gehabt und ich den Schädelbruch. Da war ich lange, die Mama war auch ziemlich lange im Spital.

Der Vater ist oft die Mama besuchen gegangen, und dann sind sie zusammen zu mir heraufgekommen. Ich musste viel liegen, damit das wieder heil geworden ist. Das weiß ich eben, an mehr kann ich mich nicht erinnern."

Doch Rita ist nicht immer zu Hause gewesen. Den größten Teil ihrer Kindheit hat sie in Heimen und Pflegefamilien verbracht.

"Ich war in Heimen auch, in Bozen meine ich, und beim Liebeswerk in Meran. In Brixen war mein Bruder im Jugendhort alleine und ich war wieder bei einer Familie. Einmal war ich in Meran, bei der Familie W. Die habe ich später einmal besucht, sie ist nun dreiundachtzig Jahre alt. Da waren der Klaus und ich zusammen. Im Jugendhort war ich nicht. Bei der Frau G. in Albeins waren wir auch einmal zusammen, aber nicht lange. Dann bin ich zu den L. gekommen. Da bin ich so mit zwölf Jahren hingekommen. Bis neunzehn ungefähr war ich dann dort, dann bin ich heim gekommen.

Jetzt bin ich viel mehr zu Hause, als kleines Kind war ich nicht viel dort. Ich bin nur am Wochenende immer heim gekommen und über den Sommer war ich auch daheim. Zur Schule bin ich immer in Brixen gegangen. Wir sind vier Kinder zu Hause und die Mama hat es nicht geschafft. Deshalb sind wir alle weggekommen. Meine Schwester ist in Auer, schon seit sie ein Baby ist. Früher hatte ich keinen Kontakt mit ihr, jetzt mehr."

Hansjörg

"Meine Mutter hatte mich als Ledige, wir hatten ein altes Bauernhaus in der ersten Familie, da hat nur mehr der Opa gelebt, die Oma ist gestorben und dann musste meine Mutter eben arbeiten gehen. Deshalb war ich als Drei-Vierjähriger viel alleine zu Hause, oder mit dem Opa eben. Damals habe ich schon viel Sorgen empfunden, ich habe gewusst, dass andere Kinder einen Vater haben und mir hat das einfach gefehlt. Und mit der Zeit ist eben der Opa der Ersatz vom Vater geworden. Nur war da das Problem, dass er ganz viel getrunken hat und teilweise hat er furchtbar geschumpfen und ich habe als Kind nie gewusst, wieso schimpft der. Der hat sich einfach im Rausch nicht mehr ausgekannt, aber ich als Kind habe das ganz anders empfunden. Ich hatte einen kleinen schwarzen Hund, und da ich fast nicht gehen konnte, habe ich mich beim Hund festgehalten, der hat genau gewusst, wie ich gehe, und dann sind wir beide geflüchtet, wir haben uns immer versteckt, im Maisfeld. Und da habe ich immer an die Mutter Gottes gebetet, die ist für mich immer so ein Trost gewesen. Und ich habe mir immer gewünscht, immer, dass ich eines Tages Fernfahrer werde und weg bin von der ganzen Welt da, von Südtirol, dass ich das alles nicht mehr mitmachen muss.

Später, als meine Mutter geheiratet hat, und wenn der Vater wieder einmal so richtig geschumpfen hat, bin ich immer in mein Zimmer gegangen, habe Radio gehorcht, Kopfhörer auf und habe gar nichts mehr gehört. Das ist schon schön gewesen. Aber schlimm ist es schon gewesen, wenn der Vater geschimpft hat. Die Mutter hat genau das Gegenteil getan, wenn sie verärgert gewesen ist, dann hat sie einen Tag lang nicht mehr geredet. Das war manchmal noch schlimmer, denn wenn du etwas gebraucht hast und du hast keine Antwort bekommen, dann hast du schon aufgepasst, was du machst ."

Kannst du dich an Spiele erinnern?

"Was die Spiele angeht, da haben sie gerade die neue Umlaufbahn, die Seilbahn gebaut, wo es eben auf die Plose hinaufgeht, von St. Andrä weg, da haben der Kollege und ich immer den Baggern zugeschaut. Da haben wir Träume gehabt, wir werden Baggerfahrer. Dann sind wir immer auf die Birken hinauf gestiegen und haben oben einen Baggersitz schön gebaut und sind stundenlang auf der Birke oben gesessen und haben dort herumgemacht und immer gebaggert. Immer den Traum gehabt, da ist der Arm und jetzt baggern wir dieses aus oder das andere aus. Dann hatten wir so Stöcke und haben damit hinübergefunkt: ‚Jetzt fährst du hierher und daher'. Das war einfach das Schönste."

Ein besonderes Erlebnis in deiner Kindheit oder Jugend?

"Ich kann mich auch an etwas Großes erinnern, das ich nie vergessen habe. Ich bin vierzehn Jahre alt gewesen und habe mich verliebt in eine Lehrerin. Sie war eine Vertretung in der Volksschule. Ich habe mich so verliebt, dass ich mit meinen Gefühlen nicht mehr umgehen konnte und habe mich nicht mehr ausgekannt ein paar Tage lang. Ich habe mir gedacht: ‚Wer kann mir da helfen' und habe alle Zustände gekriegt. Dann bin ich nach Hause und habe das der Mutter erzählt, aber anstatt, dass mich diese getröstet hätte und mich verstanden hätte, bin ich noch unmöglich geschumpfen worden."

Andreas

"Der Vater hat einen Hof gehabt. Wir haben Trauben gehabt und alles mögliche, Vieh, Kühe, Gras, Heu, Gruamat[24] und eine Alm haben wir gehabt.

Ich habe 2 Schwestern und 6 Brüder."

Auch Andreas hat einen Teil seiner Kindheit außerhalb der Familie verbracht, er war im Jugendhort in Brixen.

"Ja genau, alles Fremde gewesen. Es war so. Scheinbar haben sie mich dann geholt."

Wer hat dich geholt?

"Ich weiß nicht mehr genau. Jemand hat mich geholt. Ich weiß nicht mehr genau."

Wo hast du gewohnt?

"Ich bin fast nie zu Hause gewesen, gar nie gewesen. Ich war fast immer im Jugendhort, mit dem Klaus[25] und dem Willi."

Wo bist du in den Kindergarten gegangen?

"Kindergarten bin ich aber in Natz gewesen, dort haben wir gerauft. Mit dem Florian, im Freien, im Hof. Haben wir alle an den Haaren gezogen. Danach bin ich im Jugendhort gewesen, so mit 6 Jahren.

Ich bin weggeschickt worden, ich wollt nicht, ich habe mich gewehrt. Ich wollte zu Hause bleiben. Haben mich dann geholt. Dann haben sie mich gezogen. Die Eltern, die anderen Eltern."

Du wolltest zu Hause bleiben, und die haben dich gezogen, damit du in den Jugendhort gehst?

"Nein, nicht Jugendhort. Das ist jetzt kompliziert. Ich bin nie zu Hause gewesen, früher, als kleines Kind, bin ich nie zu Hause gewesen. Bin ich immer Jugendhort gewesen, haben wir gespielt und gespielt. Und dann haben wir den Zaun kaputtgemacht. Da haben wir blinde Kuh gespielt. Suchen haben wir gespielt, wir haben Spaß gehabt. Danach bin ich nach Hause gegangen."

Aber du wolltest nie nach Hause gehen?

"Bin ich nie da gewesen, zu Hause gewesen. Bin immer im Jugendhort gewesen, habe ich keine Beziehung zu Vater mehr. Bin auch an Wochenenden nicht nach Hause. Die anderen Kinder sind alle weg gegangen, der Klaus und ich und Willi sind noch geblieben. Andere sind weg gegangen und haben andere Eltern gefunden."

Walter

"Meine Mutter war schon verheiratet, dann ist der Mann gestorben. Und die Stiefschwester kam in Pflege nach Lana, zur Schwester meines Vaters. Wir sind einige Male umgezogen. Die Mutter hat mir das erzählt. Zuerst waren wir in einem alten Haus, so ähnlich wie ein Bauernhof. Ich bin auf einem Bauernhof auf die Welt gekommen, um halb acht Uhr am Abend, an einem Mittwoch. Danach sind wir in die Schottengasse Richtung Salern gezogen, Richtung Bartgaishof, dort habe ich gewohnt. Da habe ich die zweite Klasse Volksschule schon besucht.

Jetzt wohne ich mit meiner Mutter in einer Sozialwohnung, wenn die stirbt, dann bekomme ich die Wohnung. Falls ich Interesse habe."

4.2. Kannst du dich an besondere Feste erinnern?

Verena

Verena beginnt von ihrer Erstkommunion zu erzählen, an die sie sich noch gut erinnern kann.

"Ein weißes Kleid habe ich angehabt, das haben wir gekauft, das Erstkommunionkleid, in Brixen. Dann haben wir ein paar Fotos gemacht zu Hause. Ich bin in Brixen zur Erstkommunion gegangen, weil in Rodeneck war keine Erstkommunion. Ich bin halt ein wenig zurückgestellt gewesen. Weil zuerst bin ich in Rodeneck Kindergarten gegangen, danach bin ich Schule gegangen in Rodeneck und danach bin ich nach Brixen gekommen. Ich habe mit meiner Klasse in Brixen Erstkommunion gehabt.

Die Erstkommunion war im Dom. Meine Mutti ist mitgegangen, da haben wir auch ein paar Fotos gemacht. Ich sammle Fotos. Dann habe ich meine Schwester eingeladen, meine Mutter und alle. Zuerst sind wir auf dem Domplatz in die Kirche gegangen, dann haben wir mich getauft, dass ich Verena heiße. Und der Vater hat immer gesagt: ‚Verena ist eigentlich kein Name', hat er gesagt zu mir, dann hat die Mutti entschieden, dass ich Verena heiße. Und der Vater hat immer gesagt: ‚Das ist nichts', mein Name, ‚das ist fad', hat er gesagt, er möchte den Namen auch nicht, auf den mich die Mutter getauft hat, und dann habe ich eben Verena geheißen.

Ja, und dann sind wir alle zusammen mit mir in die Kirche gegangen, haben wir gebetet.

Dann sind wir in ein Gasthaus gegangen in Brixen. Sind wir auch essen gegangen. Dann haben wir auch ein paar Fotos gemacht außer Haus. Dann sind wir nach Klausen gefahren, zu meiner Schwester, dann haben wir dort gegessen, denn sie hat auch so ein Gasthaus. Diese Schwester tut uns immer zum Essen einladen, das ist auch fein, ab und zu. Manchmal laden wir auch sie ein, denn sie hat auch manchmal einen Stress unten in Klausen, dann kommt sie oft zu mir nach Hause. Sie hat auch zwei Kinder, dann tut sie auch kochen."

Andreas

"Ich bin in Brixen Erstkommunion gegangen. Die Mutter, der Vater, der Taufpate waren dabei. Ich habe ein schönes Gewand angezogen. Ja, und eine Kerze habe ich gehabt. Sind wir essen gegangen.

Auch der Beikircher Andreas war dabei von meiner Klasse und andere.

Ich war dabei. Und der Taufpate. Ich habe mir ein wenig schwer getan beim Sprechen, wegen Sprache, wie ich heiße. Ich habe zwei Namen bekommen.

Ich heiße richtig, Andreas Markus und Baumgartner.

In der Schule haben wir eingelernt, wie man tut, wie man die Kerze hält. Sonst ist nichts mehr gewesen."

Rita

An welches Fest kannst du dich erinnern?

"An meine Firmung, von der Erstkommunion weiß ich nichts mehr. Ich bin in Brixen gefirmt worden vom Bischof Forer. Meine Firmpatin war mit. Dann haben wir auch Fotos gemacht und gefeiert. Bei der Frau L. war ich damals. Dort hat es Kuchen und Kaffee gegeben. Die Familie L. war dabei und meine Patin und mein Bruder war auch und meine Eltern. Sonst niemand. Es war ein schöner Tag für mich. Ich kann mich erinnern, es war schönes Wetter. Ich habe ein Armband geschenkt bekommen, ein silbernes. Das weiß ich. Wo mein Namen draufgestanden ist und mein Geburtsdatum."

Willi

Auch Willi kann sich noch gut an die Firmung erinnern.

"Kirche, schön. Kuchen, mein Bruder Kuchen fallen gelassen. Dann hat es keinen mehr gegeben."

Wer hat den Kuchen fallen gelassen?

"Das war Karl in Terenten, jetzt verheiratet, der."

Hat es etwas Besonderes zum Essen gegeben?

"Festtagen hat es Schnitzel gegeben, habe ich gern gehabt."

Hat dir der Firmtag gefallen?

"Firmung auch schön gewesen. Uhr bekommen, Firmung, Bischof und fertig gewesen."

Firmlinge

4.3. Was weißt du noch von der Kindergarten- und Schulzeit?

Hansjörg

"Tja, früher im Kindergarten, da habe ich so eine Machtposition gehabt, ein wenig. Was ich gesagt habe, haben die Kinder getan. Und auch bei der Kindergartentante, wenn ich nicht gekonnt habe mit ihr gehen, dann habe ich es so weit gebracht, dass ihr die anderen nicht gehorcht haben. Und das hat mir dann plötzlich gefehlt in der Schule. Plötzlich war alles gegen mich. Und das war ein furchtbares Gefühl. Mit dem bin ich die längste Zeit nicht zurecht gekommen, weil ich mir gedacht habe, was ist jetzt plötzlich los? Durch die Wirbelsäulenverkrümmung, durch den Buckel habe ich einfach viel Kraft verloren. Die Lehrerin in der Volksschule hat immer so eine Methode gehabt, dass man viel von der Tafel abschreiben musste und das war für mich einfach das Brutalste, das es gegeben hat, weil ich habe mich so bemüht, und habe wirklich gemeint, ich schreibe unmöglich schnell, und werde einmal sicher der Erste sein, der fertig abgeschrieben hat, und bin immer der Letzte gewesen. Irgendwann einmal habe ich mir dann Zeit gelassen und mir auch nichts mehr gemerkt, weil ich so fertig war. Das ist dann so weitergegangen, dass ich immer schwächer geworden bin mit der Zeit, und dann musste ich als Strafe in der Pause weiterschreiben, damit ich den anderen wieder nachgekommen bin. Das Pausenbrot war ich fast nicht imstande zu essen, ich hatte auch keinen Hunger mehr, so geschafft war ich. Und sobald die anderen von der Pause zurück gekommen sind, ist schon wieder das Programm weitergegangen. Sobald ich dann heimgekommen bin, dann bin ich so fertig gewesen, dass ich oft total den Sinn des Lebens verloren habe. Ich habe mir gedacht, wieso muss das alles so hart sein.

Zuhause hätte ich auch immer sollen lesen und am nächsten Tag darüber einen Aufsatz machen, dann habe ich immer nur oben die Überschrift gelesen und das Ende des Lesestücks, und den ganzen Rest habe ich erfunden. Das ist dann soweit immer gut gegangen, denn vor mir waren immer andere, die sich gemeldet haben, die haben schnell die Zusammenfassung mündlich heruntergesagt, ich habe mitgehorcht und dann habe ich immer ein gutes Thema gehabt. Einmal war ich aber der erste, dann habe ich den Faden ganz schön verloren.

Und dann ist ein Jahr vergangen, und ich bin in die Sonderschule nach Brixen hinunter gekommen, dort wurde es dann schon schwieriger. Ich bin dann jeden Tag mit dem Taxi nach Brixen hinuntergefahren, da war so ein Taxifahrzeug, das hat uns nach Brixen gefahren und wieder hinauf. Aber dann musste ich noch von St. Andrä bis zu unserem Hof hinauf eine halbe Stunde zu Fuß gehen, das ist körperlich noch zusätzlich eine Belastung gewesen. Und dann hätte ich noch sollen Hausaufgabe machen, ich bin ja am Abend so fertig gewesen, dass ich in der Nacht nicht mehr geschlafen habe. Und ich habe mich schon wieder gesorgt wegen dem nächsten Tag und ich habe direkt mit dem Magen Schwierigkeiten bekommen. Das ist ein einziger Teufelskreis geworden. Das ist ein furchtbares Gefühl. Ich habe mir oft gedacht, wenn ich könnte statt diesem Abschreiben von der Tafel der Lehrerin zuhorchen, was sie sagt, dann hätte ich das im Kopf drin. Aber dieses Schreiben, das hat mir alles zerstört.

Obwohl die Ärzte gesagt haben, dass ich nie lesen und schreiben lernen werde, hat die Lehrerin, das ist die Schlechtleitner Josefine gewesen, einfach nicht aufgegeben und hat mit voller Kraft mir das Schreiben und alles gelernt. Und dann habe ich wirklich eine Freude bekommen, weil ich gesehen habe, das kann ich, das habe ich geschafft, es ist zwar wenig gewesen, denn wenn ich eine Zeile geschrieben habe, dann bin ich schon müde gewesen, weil ich einfach keine Kraft gehabt habe."

Apollonia

"In Schnals war ich, glaube ich, nur ein Jahr in der Volksschule. Dann sind wir ins Elisabethinum nach Axams[26] gekommen, und haben dort richtig gehen gelernt, mit zwei Schienen bis zu den Hüften hinauf. Da war ich so ungefähr 8 Jahre alt."

Warum nach Axams?

"Die Mutter hat jemand gekannt, durch das Turnen in Meran, und von dieser Frau war auch das Kind draußen. Dann sind wir auch hinaus. Der Heimleiter hat gesagt, vom Schulischen aus bräuchte ich es nicht, aber weil er sieht, dass ich immer nach Meran zum Turnen muss, dieses Hin und Her, dieses Gepacktle, das hat er auch verstanden, dass das nicht geht. Dann hat mich der Heimleiter, Praxmarer, draußen gelassen in dieser Schule."

Walter

"Ich bin normalen Kindergarten gegangen. Zu Hause habe ich immer ein bisschen weniger gezappelt, aber im Kindergarten war es schon ein bisschen extremer. Ich bin aufgestanden, durch die Gegend gegangen, geschaut, gehofft, dass es bald fertig ist. Aber mit ein paar Kindern habe ich mich schon verstanden. Und die treffe ich heutzutage noch oft. Die sind schon verheiratet, standesamtlich beziehungsweise christlich, haben Kinder auch schon, was ich sehr beneide. Im Kindergarten kann ich mich noch am besten an die Tante erinnern. Mit Nachnamen weiß ich nicht mehr, wie sie heißt, mit Vornamen Renate.

Ich habe fünf Jahre Volksschule in Vahrn gemacht, und in der vierten Klasse ist mir schon vorgekommen, es wird mir alles ein wenig zu schwierig. Die erste, zweite und dritte habe ich ganz gut abgeschlossen, in der vierten habe ich schon ein wenig Schwierigkeiten gehabt, zum Beispiel mit Rechnen, mit dem Wiedergeben von Sätzen. Das ist ein bisschen schwierig geworden. Obwohl sie mir dann doch einen Schub gegeben haben in die fünfte Klasse hinein. In der fünften Klasse war ich auch ein bisschen schwach, ich habe ungefähr die gleichen Fehler gemacht wie in der vierten, hauptsächlich beim Rechnen und beim Lesen. Lesen habe ich schon gekonnt, aber nicht wiedergeben was ich gerade gelesen habe.

Und der Lehrer war zugleich auch Bürgermeister, und der hat einen doppelten Beruf, was ich heutzutage noch nicht einsehe und schon vorher nie eingesehen habe. Doppelverdiener, die mag ich nicht besonders. Ja, der hat mich immer ein bisschen schikaniert und ein bisschen gestresst mit seinem Diktat-Machen. Schnell-schnell diktiert, so wie einer in der Diktatur, diesen Befehl, jenen Befehl, und das ist mir zu schnell gegangen mit dem Diktat. Aber sonst eigentlich so mit Rechnen, da war es auch ein bisschen schwierig.

Religion, da war es ganz interessant. Was ich ganz am Liebsten gemacht habe: den Religionsunterricht. Der hat mir ganz gut gefallen und ich habe viele Erfahrungen gesammelt, die ich heute noch gut in Erinnerung habe, wie zum Beispiel die Schülermessen am Nachmittag mit dem Lied ‚Die Erde ist schön' zum Beispiel.

Beim Lehrer hat es leider Strafen gegeben, die altmodischen Strafen, die sie früher schon gehabt haben: Das Hinausknien und, ehrlich gesagt, die Hände so hinaushalten und dann mit dem Stock so ‚Tack', das waren alte Strafen von früher.

Das war von mir aus gesehen eine Gemeinheit. Knieen ist eine Sache, aber mit den Stöcken kommen, das haben sie früher gehabt, unsere Vorfahren.

Ab und zu ein weinig geblödelt, das habe ich ganz gerne und das mache ich heute noch. Aber sonst, was ich gerne getan habe, hat mir Heimatkunde gut gefallen, Geschichte eher weniger, damit befasse ich mich nun in meinen älteren Tagen, so mit Bücher ausleihen von den Bibliotheken. ‚PM' lese ich ganz gerne, die ‚GEO' lese ich ganz gerne, manchmal auch italienische Bücher, aber die sind mir zu schwierig. Mit Italienisch habe ich mir auch schwer getan in der vierten Klasse. Der Lehrer hat mich lassen dann ein Jahr diese Klasse wiederholen. Da habe ich wieder eine Lehrerin bekommen, bei der Wiederholung der vierten Klasse. Da ist das Diktat eher ein wenig gemütlicher gegangen, weil sie es auch gemütlicher diktiert hat, Schritt für Schritt. Diesmal kein Diktator mehr. Dann haben wir auch dieses Ding bekommen alle Jahre, ab der vierten Klasse Volksschule fängt dieses Ding schon an, bekommt man das Buch da von der Landessparkasse gestiftet, fällt mir momentan nicht ein ... ‚Kennst du deine Heimat[27]', da habe wir immer mitgetan. Sind drei Fragen gewesen, bei einer muss etwas richtig gewesen sein, und einmal, kann ich mich erinnern, bei der vierten Volksschulklasse Wiederholung, da habe ich einen Trostpreis bekommen, eine kleine Brieftasche, so eine Art Sumsi-Sparkasse, wo man kann das Kleingeld hineintun und ein bisschen die Tausender. Da war ich unter die hundertsten Gewinner."

Kannst du dich an Freunde erinnern?

"In der Volksschule bin ich neben einem Hubert O. gesessen, der ist jetzt Rechtsanwalt in Brixen. Dann war ich bisschen zu gesprächig und witzig, das hat er nicht mehr längere Zeit ausgehalten. Dann bin ich zu Jürgen

K. gekommen, der ist jetzt verheiratet und arbeitet in Brixen am GroßenGraben, verheiratet mittlerweile und hat ein Kind mit Namen ... das Kind ist jetzt zweieinhalb Jahre, wohlauf. Die Schulfreundinnen ... eigentlich haben sie mich nie dazugetan, denn ich war ein bisschen gefährlich mit den Mädchen, nicht in dem Sinn, dass ich mich vergriffen habe, aber eher ein wenig so abstoßend, ich habe sie nicht gerne gemocht, die Mädchen neben mir."

Was weißt du noch von der Mittelschule?

"Ich bin dann in die Mittelschule gekommen, dort war das erste Jahr schon eine Katastrophe für mich, die vielen Lehrpersonen, ich habe acht Lehrpersonen gehabt, das ist leicht zu verstehen, acht verschiedene: einen Turnlehrer haben wir gehabt, Geschichte zugleich mit Erdkunde, dann haben wir eine Deutschlehrerin gehabt, die war auch mit Erdkunde und Geschichte verbunden, dann haben wir eine Religionslehrerin gehabt, dann haben wir eine Bastellehrerin gehabt. Bei den feinmechanischen Sachen habe ich immer ein wenig Schwierigkeiten gehabt."

Florian

"Ich habe in der ersten Klasse bald eine Stützlehrerin bekommen, an die kann ich mich schon noch erinnern. Es war die H."

Bist du mit ihr in der Klasse geblieben?

"Wir sind immer in das Lehrerzimmer gegangen, wir zwei."

Hat dir das gepasst?

"Da bin ich schon gerne hingegangen. In Deutsch ist es schon gegangen. In Italienisch, das tun wir lieber vergessen."

Wie war die Beziehung zu den MitschülerInnen?

"Sie haben mich halt immer gepflanzt[28] die Mitschüler. Ich habe halt immer gemusst so tun, wie sie gesagt haben, Dummheiten und ... und wegen dem Lernen bin ich halt auch schlechter gewesen als die anderen. Die Lehrerin hat mir schon immer die leichteren Aufgaben gegeben als den anderen. Ich war anders als die anderen. Langsamer."

Andreas

Wo bist du zur Schule gegangen?

"Zuerst war ich in der Schule in Natz, dann bin ich versetzt worden nach Brixen. Dort habe ich alles gelernt: Deutsch und Basteln. Da habe wir eine andere Lehrerin gehabt. Ah ja, die Martha habe ich gehabt. Und dann bin ich Schule gegangen und dann habe ich mir ein bisschen schwer getan. Bin ich nicht gleich mitgekommen beim Schreiben."

An ein Erlebnis in der Schule erinnert sich Andreas ganz genau ...

"Da ist ein Zahnarzt gewesen. Ich habe nicht gewollt gehen Zahnarzt. Haben alle mich gesucht. Ich habe mich nicht getraut zum Zahnarzt hinzugehen, dann habe ich mich versteckt. Dann haben sie gezogen, gezogen, mich hineingezogen. Früher ist da ein Wagen gewesen, ein Zahnarztwagen. Da bin ich nie hineingegangen."

Willi

Wo bist du zur Schule gegangen?

"Zuerst bin 2 Jahre Kindergarten gegangen in Villnöß. Dann bin in Villnöß Schule gegangen ein Jahr, dann bin ich nicht mitgekommen. Dann bin ich Dantestraße[29] Schule gegangen, wo Hansjörg Schule gegangen ist. Sind fünf Schüler gewesen. Mit der Zeit bin ich Berufsschule gegangen mit dem Walter."

Kannst du dich erinnern, wie lange du in Villnöß zur Schule gegangen bist?

"Erste Jahr, ja. Hart gelernt."

Was war schwierig?

"Alles"

Hast du dort Freunde gehabt in Villnöß?

"Nein, keine. Mit der Zeit bin ich Dantestraße Schule gegangen."

Hast du dann in Brixen auch gewohnt oder bist du nach Hause gefahren?

"Immer bin dort gewohnt."

Hast du Heimweh gehabt?

"Nein"

Willi erzählt, von seiner Lehrerin Maria Überbacher und dass es immer schwierig war, die schulischen Inhalte zu verstehen. Es hat ihm aber gefallen, zur Schule zu gehen, weil die Lehrpersonen und die Freunde "fein" waren.

"Hart gelernt, habe ich - hart."

Rita

"Ich bin einmal kurz in Kastelruth Schule gegangen, das weiß ich. Dann haben sie keine Geduld gehabt, weil ich doch nichts gekonnt habe, ich habe in der Schule nur gekritzelt, nichts gelernt halt. Dann haben sie mich halt Brixen hinaufgetan in die Sonderschule."

4.4. Abschließende Gedanken zum Thema Lernen und Integration

Hansjörg

"Ich habe hier meinen Autoschlüssel, das ist mein erstes Auto, mein erster Autoschlüssel und dieser Schlüssel hat für mich ganz viele Wege aufgesperrt. Zum einen bin ich viel in der Welt herumgekommen mit diesem Auto und diesem Schlüssel. Und zum zweiten habe ich damit viele Erfahrungen gemacht und neue Dinge kannengelernt. Ich bin halt draufgekommen, mit diesem Schlüssel, wenn man den richtigen Schlüssel hat im Leben, auch in der Schule zum Beispiel, einen Schlüssel mit dem man aufsperren kann, auch das Lernen und so, das ist sehr wichtig. Genau in der Schule habe ich einen Schlüssel gebraucht, d.h. man hat im richtigen Moment den Knopf aufgemacht bei mir, und das ist genau passiert in der Haushaltungsschule mit der Sonja. Da ist mir einfach bewusst geworden, die Sonja ist einfach für mich ein Vorbild geblieben und wird es immer bleiben, einfach weil man über viele Sachen reden gekonnt hat, die ein Problem gewesen sind. Und weil sie gezeigt hat, die Schule die ist für mich da, und nicht ich für sie. Das ist mir bewusst geworden. Sobald mir das bewusst geworden ist, sobald ich mit dem Schlüssel aufgesperrt habe in mir, dann bin ich weitergekommen. Davor habe ich immer gemeint, ich muss Schule gehen weil ich muss, sonst bekomme ich eine Strafe. Und es war alles lustig. Aber sobald ich erkannt habe, dass ich das für mich mache, dass das mein Vorteil ist, dann ist bei mir schnell weitergegangen, und von dem Punkt an habe ich viel gelernt.

Weißt du, was mir noch eingefallen ist zum Beispiel Sonderschule. Ich finde sehr gut, dass es heute Eingliederungsschulen gibt, weil die Sonderschule ist mir so vorgekommen oder habe ich selber am eigenen Körper erlebt: Du bist in dieser Schule drinnen, sie helfen dir und tun und machen, ist alles in Ordnung, aber das ist irgendwie die heile Welt da drin, du siehst alles Leute, die körperlich oder sonst auch Probleme haben. Und plötzlich kommst du in die Haushaltungsschule oder in das Berufsleben, plötzlich kommen die brutalsten Probleme, aber Probleme, die furchtbar sind. Zum Beispiel, schon nur, gesunde Leute sehen dich plötzlich und machen so komische Bemerkungen und das tut dir dann weh. Aber wenn die Eingliederung ist, dann bist du mit diesen ja immer zusammen. Für Gesunde ist es gut und für uns ist es auch gut. Das finde ich halt sehr gut."

Apollonia

Wie lange warst du in einer Sondereinrichtung und was sind deine Erfahrungen?

"Ja, neun Jahre lang, ganz komisch, brutal. Du kommst dir vor wie, ich weiß nicht, das braucht einfach brutal lang, bis du dann wieder in die normale Welt hineinintegriert bist. Und habe auch heute noch einige Probleme.

Aber, na ja, das bist du gewohnt gewesen, das hast du gebraucht. Bis du halt wieder ins nächste hineingeschmissen worden bist. So war das irgendwie. Und durch das, dass ich dann in der Arbeitswelt einmal eine einige Zeit lang alleine in einem Keller arbeiten musste, habe ich eben mit dem lieben Gott wieder angefangen zu reden und zu arbeiten."

Wärst du lieber in einer integrierten Klasse gewesen?

"Ja, weil das viel wichtiger ist. So akzeptieren sie dich schon gleich als Mensch. Ich merke das schon bei der kleinen Schwester, die ist das schon gewohnt von klein auf, dass ich so bin, die nimmt das so hin, und die großen, die können das einfach nicht, die kapieren das irgendwie nicht richtig."



[24] 2. Heuschnitt

[25] Bruder von Rita

[26] Sondereinrichtung in der Nähe von Innsbruck

[27] heimatkundliches Schulprojekt

[28] geneckt

[29] Sonderschule in Brixen

5. Meine Berufsausbildung und meine Arbeitserfahrungen

Die in diesem Kapitel erzählten Erinnerungen stellen das Kernstück des Klassentreffens dar und wir vermuten, dass die Frage "was machst du heute beruflich?" auch das Hauptmotiv des Treffens darstellte. Ex-SchülerInnen des Berufsfindungskurses Brixen empfanden wechselseitige Neugierde und wollten nach 15 Jahren mehr voneinander wissen. Inwiefern die Bemühungen rund um die berufliche Anlernung und Eingliederung auch Früchte mit sich gebracht haben oder andersrum gefragt "verdienst du nun dein eigenes Geld oder beziehst du Invalidenrente" oder "bist du als verdienende/r ArbeiterIn auch frei über dein privates Leben zu entscheiden", das sind Fragen, denen die Klassentreffler in und ausserhalb der strukturierten Erzählrunden nachgingen.

Die TeilnehmerInnen dieses Klassentreffens waren die erste Generation der "Berufsfindler", die zwar aus der Grundschule viele Sonderschulerfahrungen mitbrachten, in der Berufsausbildung allerdings das Kleid des/der Behinderten ablegen sollten, da der normale Kontext des Betriebes dies erforderte. Bei uns herrschte die Überzeugung vor, dass für ein Fußfassen in der Arbeitswelt nicht das Beherrschen von einfachen, eintrainierten Arbeitstechniken ausschlaggebend sei, sondern die Verinnerlichung der Rolle eines arbeitenden Menschen. Wir richteten unsere Bemühungen also stark auf die Entwicklung von Sozial- und Beziehungskompetenzen aus, die am Arbeitsplatz gefordert werden. Somit wurde in den Jahren 1987-1990 ein Kurswechsel in der Berufsausbildung der SchülerInnen mit Behinderung vorgenommen. Das Erlernen von einfachen Arbeiten erfolgte nicht mehr im geschützten Lernraum der Berufsschule, sondern vorwiegend in konventionierten Betrieben und hauptsächlich unter konkreter Anleitung eines Angestellten der Arbeitsstätte. Die Beziehung SchülerIn-LehrerIn änderte sich gänzlich. Der/die LehrerIn wirkte vielfach aus der Ferne, ebnete Wege, die der/die SchülerIn alleine begehen musste und es gab einmal wöchentlich einen Reflexionstag zwischen Auszubildenen und Lehrperson.

Diese Umstellung erforderte auch einen Rollenwechsel bei den Lehrpersonen, da im Betrieb viel mehr ihre Marketing- und Mediatorenfähigkeiten gefragt waren, als didaktische und heilpädagogische Kompetenzen.

Als "befangene Interwiever" wollten wir natürlich auch erforschen, ob aus subjektiver Sicht der TeilnehmerInnen das Betriebspraktikum zielführender als der frühere Sonderkurs sei, ob die von uns konzepierte Berufsausbildung behinderter Menschen (Training on the job) dem Einstieg ins Arbeitsleben nützt oder ob berufliche Integration außer der Rolle des Arbeiters/der Arbeiterin auch andere Rollen des sozialen Lebens beeinflusst.

Über all das kann der/die LeserIn in diesem Abschnitt einiges erfahren und mehr noch erahnen.

5.1 Was fällt dir zur Berufsschule heute nach 15 Jahren noch ein?

Nach den Jahren im Elisabethinum in Axams kam Apollonia nach Brixen in die Haushaltungsschule und dann mit 19 Jahren nach Kortsch in den Berufsfindungskurs. Apollonia berichtet von ihren Kämpfen zu Hause, bis sie alleine mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren durfte.

Apollonia

"Ja, da mussten die Adele und die Irmgard[30] nach Schnals, zu mir nach Hause fahren, um die Genehmigung von meinen Eltern zu holen. Und dann ist es so langsam losgegangen mit dem Busfahren. Und heutzutage fahre ich ganz ohne Probleme, auch mit den Stadtbussen und allen möglichen anderen Verkehrsmitteln."

Apollonia besuchte den Berufsfindungskurs im ersten Jahr seines Bestehens.

"Am Anfang war gar gar nichts. Wir haben alles müssen eigentlich selber einrichten. Es war toll. Weil du hast ja selber mitarbeiten können, indem du das und das selber erreicht hast. Mir kommt vor, das, was du selber erarbeitest, ist ja viel toller, als wenn du es immer hingeschmiert bekommst ... Und auch die ganzen Stellagen, die wir selber aufgebaut haben, den Boden hinausgeputzt und die Wände gemalen. Nein, das sind Erinnerungen - toll!"

Kannst du dich an deine ersten Arbeitserfahrungen im Praktikum erinnern?

"Also, ich habe zuerst im Sekretariat der Berufsschule, schon ein Praktikum gemacht. Ich durfte in gewisse Karteien schreiben und so gewisse Dinge tun für ein paar Stunden. Dann das zweite Jahr, wie ich dort oben war, habe ich im KVW ein Praktikum gemacht. Aber das ist auch nicht gut gegangen, weil die Ordner auf den Stellagen alle so weit oben waren, dass sie mir die Lehrerin immer herunterholen und wieder hinauf tun musste. Das wäre alles ein bisschen umständlich gewesen. Sonst hat es auch noch verschiedene Probleme gegeben, das hat nicht funktioniert.

Danach habe ich fast ein ganzes Jahr in der Ivoclar praktiziert. Ich habe schon verschiedene Arbeiten gekonnt und deshalb ist das Arbeiten dort leichter gegangen. Später haben wir dort auch noch müssen den Raum wechseln, wo ich halt jetzt bin."

Florian

"In die Berufsschule bin ich immer mit dem Motorrad gefahren. Von mir zu Hause bis hinunter zur Schule, mit dem Fifty[31]. Das weiß ich noch."

Was hast du dort gemacht?

"In der Berufsschule haben wir alles Mögliche gemacht, getischlert haben wir und geschmiedet ... und gekocht haben wir ... Ja, es war ganz interessant, diese Schule, dieses Jahr."

Kannst du dich an ein besonderes Erlebnis erinnern?

"Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie uns die Sonja einmal angestellt hat, in der Berufsschule, Waschbecken zu putzen (lacht). Dann sind wir halt alle ein wenig hinübergegangen ein wenig putzen und statt zu putzen sind wir halt auf dieses Waschbecken draufgesessen zu zweit, beide, ich und der Markus. Und plötzlich tut es einen Krach und das ganze Waschbecken fällt auf den Boden hinunter (lacht). Dann ist wohl Wasser in die Höhe gespritzt.

Wir sind dann alle hinübergerannt in die Klasse zur Sonja und haben halt gesagt, dass das Waschbecken hinuntergefallen ist und viel Wasser herausrinnt. Sie ist halt dann hinübergegangen, die Schrauben zuzudrehen.

Nach ein paar Tagen haben wir schon ein Waschbecken gebracht, ich und der Markus. Und der Betreuer Robert hat es dann montiert."

Walter

"Zu mir hat der Schulpsychologe gesagt, es wird in Milland ein Haushaltungssonderkurs gemacht. Für den habe ich mich gleich entschieden. Er hat mir zuerst ungefähr gesagt, um was es da geht, und mit voller Freude bin ich von 1984 bis 1987 eingestiegen. Da haben wir alles eigentlich ein bisschen gelernt. Kochen, putzen, dann auch ein bisschen basteln. Religionsunterricht ein Mal in der Woche, ein Mal in der Woche war auch das Turnen. Am besten hat mir das Kochen gefallen.

Das war eine große Hilfe für mich, da habe ich viel gelernt, zum Beispiel, wie man einen Braten macht oder ein Hühnchen bratet. Das haben wir bei der Frau Assner[32] gelernt, obwohl das ein bisschen eine strenge Lehrerin war. Bei der Sonja hat es mir auch ganz gut gefallen in der Schule, da habe wir auch viel gelernt, die Rezepte nachzuschlagen zum Beispiel. Bei der Frau Assner haben wir die Praxis gemacht, bei der Sonja die Tio... wie sagt man da, die Theorie."

An was kannst du dich besonders gut erinnern?

"Obwohl ich davon schriftlich nichts mehr habe, aber im Kopf ist es immer noch. Das Duschen haben wir bei der Sonja zum Beispiel gelernt und auch wie man richtig Zähne putzen tut. Immer kreisen und kreisen, nicht nur so: zack, zack, zack."

Hansjörg

"Zu mir hat die Mutter gesagt: ‚Gehst halt einmal hin, sonst weiß man auch nicht recht, was du sonst tun könntest'. Dann habe ich gesagt: ‚Ich probiere es eine Woche, aber wenn es mir nicht gefällt, dann gehe ich. Denn dieses Zeug gefällt mir nicht'. Dann bin ich am ersten Tag hinausgekommen nach Milland zu dieser Haushaltungsschule, dann sehe ich die Sonja, das weiß ich heute noch, dann denke ich: ‚Ist eigentlich ganz eine interessante Lehrerin'. Aber die Hermi ist mir schon ein wenig zu streng vorgekommen."

Hansjörg und 3 weitere Schulkollegen, hatten im Berufsfindungskurs die Möglichkeit, sich auf die Abschlussprüfung der Mittelschule vorzubereiten.

"Da war die Sonja, die mich sehr unterstützt hat und geholfen, dann der Masin Robert und dann der Hanspeter von Bozen und auch noch die Martina[33].

Während meines Aufenthaltes in Innsbruck wegen der Skolioseoperation, kommt der Masin Robert hinaus mit so einer dicken Mappe und sagt: ‚Jetzt tust du ein bisschen lernen und wenn du zurückkommst, dann machst du die Mittelschule'. Dann sage ich: ‚Ja, bist du verrückt, ich bin ja krank!'. Dann hat er gesagt: ‚Ja genau, jetzt hast du Zeit zum Studieren, hier im Bett kannst du gut lernen'. Dann habe ich mir gedacht: ‚Sind die gemein, jetzt bin ich krank und muss lernen auch noch'. Heute bin ich natürlich froh, aber früher habe ich mir schon gedacht, nein furchtbar! Für mich ist es damals knallhart gewesen."

An was kannst du dich noch erinnern?

"Zum Beispiel ist es für mich ein Problem gewesen, in einem Telefonbuch eine Nummer zu finden, oder mit einem Zug zu fahren. Und das haben wir gelernt.

Auch mussten wir selbst ins Arbeitsamt gehen und gewisse Dokumente holen und eine Unterschrift machen. Und da haben der Robert und die Sonja gesagt: ‚Das hast du zu tun, dir wird nichts geschenkt! Im normalen Leben musst du das auch tun. Das ist zu tun. Aus und fertig'. Und wenn die das gesagt haben, haben die das durchgezogen. So meine ich dieses ‚knallhart'. Und das war gut so."

Das erste Praktikum hat Hansjörg dann im Krankenhaus Brixen geacht.

"Ich war bei den Ausgehern. Da habe ich Post sortiert, Sachen gestempelt, Post aufgegeben und Sachen ausgetragen und einfach was so angefallen ist. Den Krankenschwestern, den Schülerinnen Schwindelzettel fotokopiert in der Mittagszeit massenweise. Die sind mir heute noch sehr dankbar und das tut mir sehr gut. Und das ist von meinem Leben der schönste Abschnitt gewesen, bist jetzt einfach. Die Erfahrung zu machen, einfach in diesem großen Gebäude vom Brixner Krankenhaus einfach Mensch sein, wie man ist. Einfach in dieser großen Masse von Leuten bist du wichtig gewesen.

Gut gefallen hat mir, dass Robert, der Betreuer in der Schule, regelmäßig in den Betrieb gekommen ist. Das ist einfach eine unmögliche Sicherheit. Und das ist toll gewesen. Weil oft ist es auch gewesen, man hat innerlich gespürt, ich kann das, aber man ist sich noch nicht so sicher gewesen und hat den Mut dazu noch nicht gehabt. Jetzt hast du eine Bestätigung gebraucht vom Betreuer, dass das wirklich stimmt, und dann ist es gelaufen. So ist es halt mir gegangen."

Andreas

"Nach der Volksschule bin ich in die Berufsschule gegangen. Dort habe ich Frau Assner zuerst gehabt. Aber danach, zwei Jahre, drei Jahre, vier Jahre bin ich Berufsfindungskurs gegangen bei Martin, Tischlerlehrer. Dort bin ich gewesen. Danach bin ich in den Beruf gekommen, wie heißt das, Praktikum, ja?"

Wo hast du dein erstes Praktikum gemacht?

"In der Athesia. Die Sonja ist mich immer besuchen gekommen. Dort habe ich mehr gelernt, mehr, ganz einen Haufen Dinge. Ich habe dort Walzen geputzt und aufgestapelt, Papier aufgestapelt und Hefte, wie heißen die, die Klammern, tack, tack, tack mit der Maschine hineingedrückt. Und geleimt habe ich. Alles Mögliche, Papier hinaustragen, Wagen, Papier gepresst, hinuntergedrückt. Musste ich helfen heften, leimen und falzen. Ja, falzen, darunter neu hineintun, Papier kommt so hinein, die Papierfolie kommt drauf, und dann zack-zack, zack-zack. Das muss schnell gehen, sonst kommt man nicht nach. Immer sofort schnell, so tschugg, tschugg. Wie eine Maschine."

Andreas beim Praktikum

War die Arbeit schwierig?

"Am Anfang ist es schon ein Problem gewesen. Danach, geht schon, danach. Danach bin ich es gewohnt gewesen. Danach haben wir geredet, die Sonja und ich. Zuerst haben wir um zwölf aus, danach vier, danach fünf Uhr. Dann habe ich bis fünf gearbeitet, immer gleich, habe ich gestempelt. Manchmal bin ich mitgefahren, nach Leifers hinunter oder Bruneck hinüber, Prospekte ausliefern. Mir hat es gut gefallen. Die Leute waren nett, der Franz und der Arnold."

Rita

"Ich war 3 Jahre lang in der Haushaltungsschule. Da hat man einfach mehr gelernt. Kochen und Nähen und Putzen auch."

Wo hast du dein Praktikum gemacht?

"In der Zwischenzeit habe ich auch ein Praktikum gemacht im Krankenhaus in Brixen, in der Wäscherei. Ich bin, meine ich, einmal in der Woche Schule gegangen und sonst habe ich immer Praktikum gehabt in der Wäscherei. Das hat mir gut gefallen."

Willi

Kannst du dich noch an die Berufsschule erinnern?

"Nach der Volksschule bin ich dann Berufsschule gegangen beim Martin, Florian, Hansjörg und Walter."

Wie hat es dir dort gefallen?

"Hat mir gut gefallen. Schön gewesen Berufsschule. Da haben wir Vogelhäuschen gemacht, dann Aufschneidbretter."

Und was hast du noch gelernt in der Berufsschule?

"Kochen"

Machst du das heute auch noch, kochen?

"Nein"

Und was hast du sonst noch gelernt?

"Tischlern"

Und brauchst du das zu Hause jetzt?

"Ja. Meinem Bruder helfen."

Also auch mit Holz arbeiten?

"Ja."

Willi erinnert sich, wie er und Hansjörg, Hasen und Enten und einmal auch eine Katze in die Schule mitgebracht haben.

"Der Hase ist in der Klasse gelaufen, die Ente ist einmal hinausgeflogen. Der Hansjörg und ich haben immer gehandelt."

Willi hat sein erstes Praktikum auf dem Bauernhof des Vinzentinums in Brixen gemacht.

"Robert mit mir Vinzentinum hin, dann ist der Chef gekommen. Dann hat er erklärt wie tun, Mist zusammentun und den Mist zusammenkratzen, dann Heu und Silofutter geben, Heu herrichten, Kälber misten."

3 Berufschüler mit einem Hasen in der Klasse

Was hast du noch gelernt?

"Gelernt auch Futter mischen."

War es dasselbe wie zu Hause?

"Daheim in Villnöß haben wir anders getan."

Was war neu?

"Habe viel gelernt bei den Maschinen auch. Wir haben viele Maschinen zu Hause. Immer sauber halten, das ist wichtig, immer Maschinen sauber halten. Fertig."

Hat dir die Arbeit gefallen?

"Es ist ein großer Stall gewesen mit Kühen und Zuchtstieren. Habe mit Sepp und Toni gearbeitet. Da bin ich 1 Jahr gewesen."

Du hast ja auch im Vinzentinum geschlafen?

"Ja. Ja, bin ich das erste Mal, weg von daheim. Dort bin ich geschlafen."

Wie ist es dir dort ergangen?

"Alles neu im Vinzentinum, ... ja."

Warst du noch einmal dort?

"Ja, jetzt alles aufgegeben, kein Stall mehr nur Obst."

5.2.Waren die Lerninhalte der Berufsschule und das Praktikum für deinen Beruf, dein Leben dienlich?

Florian

"Ja, mir hat eigentlich diese Schule nicht viel gebracht vom Arbeiten her. Weil die Arbeit, die ich jetzt mache, die habe ich vorher auch schon gemacht, vor diesem Kurs da. Ich bin nur deswegen Kurs gegangen, um unter den Leuten zu sein und Leute kennen zu lernen."

Es war dir wichtig, unter Leuten zu sein?

"Ja, das hat mir gefallen."

Hansjörg

"Das hat mir viel gebracht, einmal für die Gewerkschaft und einmal auch für den Dienst in der Gemeinde beim Kassadienst. Weil ich bin beim Schalter und da kommen auch die unmöglichsten Leute und du musst dich dann rechtfertigen, wenn einer sagt: ‚Wieso zahle ich jetzt diesen Betrag'. Dann musst du auch wieder kämpfen und ihnen erklären, so und so und so. Und den Mut und die Courage und alles, das habe ich schon in der Schule gelernt."

Was hat dir die Ausbildung für dein Privatleben gebracht?

"Und die praktischen Sachen vom Haushaltungssonderkurs kann ich heute gut gebrauchen. Ich habe selber eine Wohnung und jetzt ist mir schon öfters ein Knopf heruntergebrochen von der Hose und das ist wirklich kein Problem. Und wenn ich heute eine Freundin zu Hause habe manchmal, die sagt: ‚Das glaube ich nicht, dass du das gemacht hast' oder so. Es ist eine Kleinigkeit, vielleicht schaffe ich es nicht so genau, aber er ist wieder drauf."

Hansjörg weist besonders auf die Wichtigkeit des Praktikums hin.

"Ganz wichtig war jedoch das Praktikum. Wenn es nur im Klassenzimmer gewesen wäre, dann bin ich sicher, dass ich ausgestiegen wäre. Weil das hat mir einfach nichts gesagt, die Bücher, wenn du in den Büchern liest oder lernst und so, das kannst du dir in der Arbeitswelt nicht vorstellen. Weil wenn ich heute weiß, was macht ein Ausgeher? Im Buch ist das zwar beschrieben, aber wie ich das anwenden muss in der Praxis, das weiß ich nicht. Und wenn ich ein Jahr lang Schule gegangen wäre und eines Tages in der Arbeitswelt draußen gewesen wäre, dass wäre das gewesen, wie wenn ich auf einen Berg hinaufgestiegen wäre und hätte keinen Haken und gar nichts und wäre dadurch hinuntergerutscht. Weil ich einfach nicht gewusst hätte, wie anwenden diese Dinge. Und dann hätte ich mich auch nicht mehr imstande gesehen. Wenn die Schule mich fallengelassen hätte und mir da nicht weitergeholfen hätte, dann wäre ich heute sicher in der Seeburg oder irgendwo oben. Da bin ich mir ganz sicher."

Hansjörg hängt heute noch sehr an seinem ersten Praktikumsplatz im Sanitätsbetrieb Brixen.

"Ja, das Eingliedern in eine normale Arbeit, ist am Anfang schwierig gewesen, weil ich einfach von einer Klasse herausgekommen bin, wo alle gewisse Sachen gehabt haben. Aber dann, sobald ich über diese Brücke hinweggekommen bin, ist es halbwegs gegangen und ich habe mich wohlgefühlt im Krankenhaus wie noch nie in meinem Leben an einem anderen Ort. Einmal, weil die Leute unmöglich nett gewesen sind und einmal, durch meine ganzen Operationen ist das Krankenhaus für mich wie ein Haus, wie eine Wohnung gewesen."

Und dann ...

"Ich habe immer gehofft, dass sie mich anstellen. Es sind mir auch durchaus Versprechungen gemacht, aber nie eingehalten worden. Und das ist ein furchtbarer Schmerz gewesen für mich."

Hansjörg beim Praktikum

Und irgendwann hast du aufgegeben?

"Als ich als Praktikant im Brixner Krankenhaus nach einigen Jahren gespürt habe, dass es nie zu einer Anstellung kommen wird, dann habe ich ja schon in der Zeit, wo ich in der Sanität gewesen bin, noch als Praktikant, zwanzig Gesuche in alle Welteinrichtungen gemacht, sei es bi Banken, in verschiedenen Büros und ich weiß gar nicht mehr, wo ich überall um eine Arbeit angesucht habe. Und da habe ich laufend Vorstellungen gehabt, musste mich vorstellen, und sobald ich dann gekommen bin und sie haben gesehen, der ist gehbehindert, plötzlich haben sie abgeblockt und haben gesagt: ‚Du bist heute zwar ganz gut und mag schon sein, dass die Sanität ein gutes Zeugnis[34] ausgestellt hat, die Schule auch und das Kloster Neustift[35] sagen auch relativ gute Sachen, aber eines Tages wirst du vielleicht schlechter, dann haben wir nur die Probleme'."

Wie ist es dann weiter gegangen?

"Später dann habe ich in der Gemeinde Brixen auch ein Gesuch gemacht und die haben gesagt: ‚Kannst du das überhaupt?' und so. Dann habe ich gesagt: ‚Lasst mich wenigsten einmal probieren, es gibt ja eine Probezeit, wenn ich die nicht bestehe, dann kann ich immer noch gehen'. Dann haben sie gesagt: ‚Gut, probieren kannst du, aber es wird schwierig sein'."

Nicht alle Zweifel waren aber damit ausgeräumt.

"Der Kommandant hat gesagt: ‚Nein, besser ist, wir lassen ihn fallen und nehmen einen anderen, denn das geht sowieso nicht'. Dann hat der Bürgermeister gesagt: ‚Nein, nein, hat er Fehler gemacht, größere?', nein, das können sie nicht sagen, ‚Ja was ist dann?', ja, sie haben halt Bedenken und hin und her. Dann hat der Bürgermeister gesagt: ‚Kommt nicht in Frage, wenn keine Fehler sind, dann hat der zu bleiben'. Und damals bin ich Jugendreferent gewesen in der SVP, ich glaube, das ist ein Vorteil gewesen, sonst wäre es noch schwieriger gewesen."

Apollonia

"Es war wichtig, dass ich fast ein ganzes Jahr als Praktikantin gearbeitet habe. Und dann bin ich erst richtig angestellt worden. Es war besser so. So habe ich mich ordentlich eingelebt und dann habe ich mich schon viel besser ausgekannt."

Walter

"Zuerst war ich nach der Berufsschule zweieinhalb Jahre in der Reha in Vahrn, von dort aus hat man Arbeiten vermittelt bekommen durch die Plaikner Brigitte. Danach haben sie mich in die Seeburg getan zur Putztruppe. Dort habe ich schon etwas vom Haushaltungskurs gehabt. Zum Beispiel das Putzen ist mir geblieben. Wie man richtig putzt, was man verwendet beim Putzen, das haben wir im Haushaltungssonderkurs auch gelernt."

Sonst noch etwas?

"Eigentlich hat es mir viel gebracht, dieser Haushaltungssonderkurs, diese drei Jahre da. Kann ich auch nützlich zu Hause gebrauchen sowie im Privatleben, Freizeitleben. Ich koche ganz gerne, habe ganz gute Erinnerungen wie man so kocht, helfe gerne der Mutti noch in der Freizeit."

5.3. Was fällt dir ein, wenn du an deine Arbeitserfahrungen denkst?

Florian

"Wann ich das erste Mal gearbeitet habe, willst du wissen nun?"

Genau

"Ja, zu Hause, beim Heu helfen, zusammenrechen, und im Stall die ganze Arbeit machen, beim Holz, es zusammentun für den Winter. Und dann bin ich noch nebenbei Äpfel pflücken gegangen im Herbst."

Hansjörg: "Das erste Geld ist schon toll zu verdienen, nicht?"

"Schön gewesen, ja aber wieviel ich dafür bekommen habe, nein, das kann ich nicht mehr sagen."

Und nach dem Äpfelpflücken hat Florian verschiedene andere Arbeiten verrichtet, bevor er eine definitive Arbeit fand.

"Nach dem Äpfelpflücken bin ich in den Wald gegangen zu arbeiten ein paar Jahre mit einem Kollegen mit. Dort habe ich von den Bäumen die Rinde heruntergetan und die Äste weggehackt. Dann, nach ein paar Jahren habe ich das sein gelassen. Dann bin ich beim Damiani[36] unten gewesen, Holzlager, Bretter verstellen ... wie sagt man, sortieren. Dort bin ich zwei Jahre gewesen. Und danach, nach zwei Jahren bin ich im Milchhof gelandet und bin jetzt das fünfte Jahr schon unten."

Arbeiten macht Spaß und gibt Genugtuung.

"Gefällt mir ganz gut, ja ich bin zufrieden. Und auf dem Hof tu ich arbeiten, am Abend, auch am Nachmittag und am Abend, sobald ich nach Hause komme."

Verena

Erzähl einmal du, von deinem ersten Praktikum, Verena. Du hast ja auch schon einige verschiedene Arbeiten gemacht?

"Ja."

Zuerst bist du Schule gegangen und dann ins Altersheim?

"Ja ... Nein, da habe ich in Seeburg geputzt mit einer Freundin von meiner Mutti. Bin immer mit dem Auto mitgefahren, dann sind wir zusammen mit dem Auto hin und her gefahren. Und danach bin ich in die Reha gekommen, da habe ich in der Reha gearbeitet."

Warst du nun in der Seeburg angestellt oder als Betreute der Geschützten Werkstatt dort?

"Nein, in der Seeburg habe ich einmal geputzt, nur so geholfen. Dann haben wir so eine Frau mitgehabt, dann hat sie gesagt: ‚Das muss ich putzen, Klo muss ich putzen und das muss ich putzen'. Dann habe ich das geputzt. Dann ist mir das eigentlich zu anstrengend gewesen das Putzen und in der Früh musste ich so früh aufstehen, weil da musste ich um sieben anfangen. Um sieben in der Früh bis fünf bin ich heimgekommen, da bin ich so müde gewesen. Da hat die Mutti dann nicht mehr gewollt, dass ich weiterputze."

Eine weitere Arbeitserfahrung ...

"Dann war ich Kindermädchen bei einem Bub. Der geht Schule jetzt, der Bub. Dann bin ich mit dem Bub immer spazieren gegangen. Weil sie ist Religionslehrerin gewesen. Dann musste ich Brixen fahren, mit dem Bub, musste ich wickeln und anziehen, habe ich alles gemacht. Bin ich dann Brixen gefahren mit dem Bus, dann haben wir dort die Lehrerin, die Mama geholt mit dem Bub. Dann hat sie den Bub abgeholt und dann ist sie mit dem Bub mit dem Auto heimgefahren. Dann bin ich auch um fünf Uhr heimgefahren, weil um fünf Uhr habe ich aus gehabt. Jetzt geht der Bub Schule jetzt, jetzt hat er mich noch gerne. Ja, er kennt mich noch und manchmal kommt er mich besuchen zu Hause mit den Eltern. Da habe ich eine Freude, wenn sie kommen."

Nach dieser Arbeitserfahrung hat Verena im Bürgerheim in Brixen gearbeitet.

"Und jetzt tue ich im Bürgerheim so Parmesan nachfüllen, mache ich, und so Wäsche zusammenlegen tue ich. Staubsaugen tue ich nicht mehr, das tun die anderen. Dann tue ich so putzen, Parmesan füllen, füllen und putzen. Dann tue ich halt helfen, überall helfen wo es braucht, tue ich helfen. Sie haben mich gerne. Davor war so ein Mädchen, das unten ist im Bürgerheim, die hat mich nie akzeptiert beim Arbeiten. Die hat immer gesagt, ich bin behindert, ich soll hinaufgehen in Seeburg zu putzen und das bin ich nicht gegangen. Und nun bleibe ich da, denn da gefällt es mir."

Rita

"Acht Jahre war ich in einem Hotel halt. In Kastelruth oben."

Und was hast du dort für Arbeiten gemacht?

"Als Abspülerin. Alles Mögliche, in der Wäsche, alles haben sie mich angestellt. Handtücher aufhängen und alles halt, Wäsche halt. Maschinen bedienen, nein, das nicht. Aufhängen."

Bügeln?

"Nein, das habe ich nicht zu tun brauchen. Und zusammenlegen wieder und solche Sachen. Putzen auch. Viel eigentlich, eigentlich alles. In der Küche habe ich Salate gemacht und geputzt auch. Halt alles, ja. Ich habe da eine Jahresstelle gehabt. Dann haben sie mich halt immer ausgenutzt, bis fertig ist, bis ich es halt nicht mehr gepackt habe mit der Zeit. Weil am Abend habe ich auch immer wieder hinauf gemusst. Um fünf musste ich wieder beginnen, halbe Stunde Zimmerstunde nur gehabt. Dann musste ich am Abend bis elf oft noch arbeiten."

Und wann hast du in der Früh begonnen?

"In der Früh habe ich um halb acht angefangen. Dann musste ich die Stiegenhäuser hinunterputzen und die Klo putzen, Sauna, alles. Dann habe ich gefrühstückt, dann habe ich das Frühstück abgespült, dann dem Koch ein wenig geholfen dann wieder abgespült bis fertig ist. Dann kurz heim, dann, nein, um sechs habe ich angefangen. Von sechs abends bis zehn-elf in der Nacht. Ich musste oft alleine abspülen - alles."

Und Urlaub hast du auch gehabt?

"Ja, übers Wochenende habe ich oft frei bekommen - halt, nein, unter der Woche habe ich frei bekommen, wenn nicht viel los war, Samstag-Sonntag musste ich arbeiten gehen. Urlaub nicht viel los. Wenig, weil da oben geht es immer rund. Sie haben nie geschlossen."

Die Arbeit in der Tourismusbranche verlangt dir alle Kräfte ab?

"Anstrengend, anstrengend waren die acht Jahre im Hotel. Ich habe mir so gedacht, ich schaffe das, aber manchmal war ich so am Boden, dass es nicht mehr gegangen ist. Dann habe ich mit dem Doktor auch geredet, weil einmal habe ich so Anfälle bekommen, weil es zu viel war. Dann hat der Doktor gesagt, nein, das ist zu viel, ich soll mit dem Chef reden, dass ich am Abend halt nicht brauche hinaufzugehen. Dann ist das so geworden. Mit Hilfe vom Doktor habe ich das beim Chef erreicht."

Du hast also mit dem Chef geredet.

"Getraut schon, aber der Chef sagt immer: ‚Das geht schon, das geht schon'. Nein, aber gesundheitlich ist es dann nicht mehr gegangen. Wie soll man das sagen. Krisen mit Nervosität und alles Mögliche. Nicht mehr gegangen. Geweint habe ich, viel auch."

Andreas

Nicht immer gelingt es dem/der SchülerIn am früheren Praktikumsort auch eine Anstellung zu finden. Andreas war über ein Arbeitseingliederungsprojekt einige Jahre nach dem Praktikum in der Athesia tätig.

"Und danach bin ich krank gewesen, krank gewesen ein paar Jahre. Und dann ist nichts mehr gewesen. Dann bin Seeburg, daheim gewesen. Nein, nicht Seeburg, sofort in Reha."

Habe ich richtig verstanden, dass du erkrankt bist?

"Damals dann plötzlich krank geworden - in der Athesia? Dort habe ich Frau kennen gelernt. Gewollt zusammenleben, wie kann man sagen?"

Andreas hat sich in eine Arbeitskollegin verliebt.

"Ja. Hat er nicht lassen. Dann habe ich noch eine kennen gelernt, einen ganzen Haufen noch, zwei-drei Frauen. Danach habe ich kaputt gehabt, und so geht weiter. Ich habe eine kennen gelernt, die ist fein gewesen. Die ist Athesia unten gewesen lang. Und ist halt nichts gewesen. Das ist nichts mehr, fertig. Dann bin ich Milland hinaus gekommen, wo alte Durst ist. In die Reha."

Und seit wann bist du nun dort?

"Länger. Jetzt ein Haufen Leute, jetzt. Jetzt möchte er[37] ein paar Leute wegschicken. Wie kann man sagen? Arbeitsplatz, heuer in einen Betrieb hinausschicken."

Und was möchtest du?

"Ich weiß auch nicht genau. Unten sind ein Haufen Leute jetzt, zwanzig Stück. Reha bin ich schon lang gewesen, bis Ende, fünf Jahre oder zwei Jahre, muss unten bleiben, zwei Jahre oder drei Jahre, dann muss weg gehen. Nix mehr erzählen."

Walter

"Ich bin auf die Idee gekommen, ich könnte ja einmal in Brixen eine gewisse Person fragen, die Arbeit vermittelt. Bin ich auch viel auf das Arbeitsamt gegangen. Und der, der einen vermittelt hat, war der Erich F. Und der hat mir eine Arbeit vermittelt, er sagte, dass demnächst eine Firma aufgetan wird in Vahrn und diese heißt Reha. Dann habe ich mich einmal umgeschaut am ersten-zweiten Tag, habe es mir überlegt: Ist ganz interessant. Dann sind die Themen immer interessanter geworden durch den Ernst E. auch, Strukturleiter von der Reha, jetziger, davor war Andreas S. dort verantwortlich. Der hat gesagt: ‚Ja, da machen wir Aufträge von verschiedenen Firmen, zum Beispiel Firma Grass, die Heimarbeit machen, diese Zügelchen da hinten diese Zäpfchen hinauf zumachen. Und dann machen wir Aufträge von ‚Frener und Reifer', die Türklinken so schön fräsen, dass die Schraube hineinpasst. Dann haben wir Aufträge gehabt vom Pustertal herüber, auch von einer Firma, ‚Forer und Gasser', die hat Fenster gehabt, Metallbaufenster, da haben wir müssen die Dinge machen, die, wie nennt man das? Die Beschläge für die Fenster. Dann haben wir auch Aufträge gehabt da von Klausen, vom Luis, nein nicht vom Luis Gasser, wie heißt jetzt diese Firma? Duscholux!

Aber das lange Sitzen ist mir schon manchmal schwer gefallen, ich konnte schon zwischendrin eine Pause machen, sobald ich die Pause wollte, dann habe ich sie auch gemacht, dann bin ich aber wieder dabei gewesen. Da haben wir von der Dusche die Teile hineingetan, die Schrauben und weitere Stücke halt, wie sagt man da bei der Brause, wo man das Wasser aufmacht? Sobald der Sack voll gewesen ist, haben wir ihn wieder abgeliefert. Dann bin ich zweieinhalb Jahre dort geblieben."

Und wie verlief dann dein beruflicher Werdegang?

"Dann ist ein Gesetz herausgekommen, dass die Plaikner Brigitte[38] für Arbeitslose eine Arbeit sucht. Dann haben sie mir das Vertrauen geschenkt, einmal in die Seeburg hinaufzugehen, und da bin ich auch oben gewesen, drei-vier Tage einmal zuzuschauen, wie die anderen putzen. Das war auch einmal ganz ein Genuss. Nein, alles abschauen, wie die anderen so putzen, was zu putzen ist. Dann in der zweiten Woche im Dezember 1990 habe ich die Tätigkeit in der Seeburg angefangen, bis 1998."

Warst du in der Seeburg angestellt?

"Ja klar, ich war Landesangestellter, mit einer richtigen Matrikelnummer. Habe eine Woche Probezeit gehabt, halt in der Zeit, wo ich von ihnen (den Putzfrauen) abgeschaut habe. Dann hat mich der Doktor Gasteiger[39] gleich angestellt. Bis 1998, dann habe ich die Ängste so stark gehabt, habe ich auch müssen neue Tabletten nehmen."

5.4. Wie geht es dir heute an deinem Arbeitsplatz und wie stellst du dir deine berufliche Zukunft vor?

Hansjörg

"Seit sie mich im Krankenhaus abgelehnt haben, habe ich wirklich fünf Jahre eine ganz schlimme Zeit gehabt. Habe auch müssen zum Psychologen gehen, weil ich es alleine nicht mehr verkraftet habe. Das habe ich eigentlich noch nie jemand gesagt, jetzt ist eben so, dass es gereift ist und dass man das auch einmal hört. Und ich habe fünf Jahre wirklich gekämpft, in die SVP habe ich mich lassen einschreiben, bin dort Jugendreferent gewesen, habe wirklich von den Politikern, vom Durnwalder bis weiß Gott wie weit Hilfe versprochen bekommen. Ich habe nie gewollt, dass ich einen Vorteil bekomme, den anderen gegenüber, ich habe nur gewollt, weil in dieser Zwischenzeit von fünf Jahren haben sie[40] immer wieder Leute angestellt, und denen ist es nicht einmal so wichtig gewesen, die haben sogar gesagt: ‚Ich gehe halt, weil ich gehen muss, aber ansonsten würde ich nicht gehen'. Und es ist einfach nie gegangen, bei mir ist immer eine Ausrede gewesen. Einmal hat es geheißen, es müssen Hände und Füße gesund sein, und das ist genau das gewesen, was bei mir nicht der Fall ist. Dann bin ich zu der Doktor Kerer gegangen, die einen medizinischen Befund machen musste, ob ich geeignet bin, der ist positiv gewesen. Dann habe ich gewollt eine interne Versetzung machen, dann hat es geheißen, das geht vom Land aus nicht, beim Land Rekurs gemacht, die haben wieder ein positives Gutachten gemacht. Und es ist keine Chance gewesen, in diesen Betrieb aufgenommen zu werden. Und das Brutalste daran ist für mich das gewesen, dass die Möglichkeit da wäre, aber irgendjemand sagt ‚Nein', und der hat das Sagen. Und das bleibt beim ‚Nein', wenn du auch die ganzen Voraussetzungen hast."

Wie hast du dieses Problem für dich gelöst?

"Und jetzt praktisch durch die eigene Sozialwohnung habe ich dieses Problem in den Griff bekommen. Einfach, dass ich mir gesagt habe: ‚Schau, ich kämpfe nicht mehr. Ich werde nicht ein Leben lang kostbare Kraft immer wieder für etwas hinauspulvern, wo ich keine Chance habe'. Aber fünf Jahre ist wirklich die Hölle gewesen. Ich habe mir einmal gedacht: ‚Was ist jetzt wichtiger, dass ich zu dem hingehe und sage, so und so ist es, oder ob ich einfach immer wieder Magenschmerzen habe."

Walter

"Heute habe ich mich am Arbeitsplatz eigentlich ganz gut eingelebt. Schon, dass ich immer ein bisschen die Ängste[41] gehabt habe, war schon so in der Schulzeit im Jakob-Steiner-Haus draußen beim Berufsfindungskurs."

Verena

Wie schauen deine Vorstellungen aus?

"Mir geht es eigentlich ganz gut, mir, die Mutter hat mich ganz gut erzogen wie ich klein war."

Du hast gesagt, es geht dir ganz gut, es soll sich nichts verändern?

"Nein, eigentlich gar nichts. Mir gefällt es so gut. Und meine Mutti ist da auch mitgegangen mit mir zu schauen, wie es mir eigentlich ganz gut geht. Dann haben die anderen so, die Mitarbeiterinnen haben gesagt, mir geht es eigentlich ganz gut beim Arbeiten und so, wir haben sie auch gerne gemocht."

Apollonia

"Ich habe einige ganz gute kumpelkolleginnen bei der Arbeit, die mich auch, wenn ich einmal tief unten bin, wieder aus dem Loch herausholen. Wir haben eigentlich immer einen Mordsspaß zusammen, so vom Lager her. Die Lager-Buben sind eigentlich immer herum, so mehr oder weniger. Weil wir mit diesen auch müssen arbeiten, wir müssen ihnen die Aufträge hinaustun, damit sie sie einpacken oder manchmal auch selber alles verpacken, die Mappen und so, und mit dem Wägelchen hinaustun, dann tun sie sie noch zubinden. Dann wird es verschickt. Und da hat man halt doch mit diesen am meisten Kontakt."

Was zählt im Betrieb?

"Wahrscheinlich ... einmal das Erste ist der Fleiß. Dann einfach die Treue an den Betrieb. Das habe ich letztes Jahr gemerkt, wo ich das Zehnjährige[42], die Feier gehabt habe, mit diesem großen Rahmen und Bild für das, und eine flotte Feier gewesen ist, echt. Und die Prämie auch, muss ich sagen, hat schon irgendwie etwas gezeigt."

Fleiß und Treue?

"Ja. Und Pünktlichkeit, logisch. Auf das achten sie sehr."

Rita

Und wie sieht deine Zukunft am Arbeitsplatz aus?

"Nein, richtige Zukunft ..., die kann man nie vorausschauen. Jetzt muss ich einmal auf den Vater schauen, der ist schwer krank. Ich pflege ihn zu Hause. Er sagt mir auch, es wäre gut, wenn ich wieder arbeiten würde. Aber ich weiß nicht."

Du willst sagen, dass du nicht weißt, was sein wird. Aber denke einmal nach, was du so träumst und dir wünschst.

"Nein, eigentlich, das weniger."

Oder es könnte auch sein, dass du einfach so weitermachen möchtest?

"Nein, das nicht direkt. Nichts zu tun, das ist es auch nicht."

Was dann, was wäre so deine Idee? Stell dir die Rita vor, mit vierzig. Was macht sie mit vierzig?

"So Genaues kann ich momentan nicht sagen."

Was würdest du arbeiten? Siehst du dich in einer Küche, siehst du dich in einem Gastbetrieb, siehst du dich in einem Büro, möchtest du ganz etwas anderes?

"Ich würde gerne in Kastelruth arbeiten und nicht auswärts. Eher in einer Küche oder in einer Wäscherei. Ich habe einmal im Martinsheim[43] angesucht. Sie haben gesagt, ich könnte im Herbst anfangen unten zu arbeiten, aber sie haben noch nichts hören lassen. Muss halt gedulden, haben sie gesagt. Wenn jemand geht, dass ich dann könnte arbeiten gehen, in der Wäscherei oder in der Küche, wo sie mich halt brauchen. Sonst eigentlich ..."

Das ist ganz konkret und auf die Zukunft bezogen.

"Ob das dann so kommt, wie ich mir das gedacht habe, das weiß ich nicht. Sonst gehe ich halt zuerst einmal, wenn es noch nicht wird, in einer Küche arbeiten in einem Hotel."

Andreas

"Möchte schon wieder zurückkommen, wieder Athesia, möchte ich schon wieder einmal. Aber ob er mich nimmt? Ich weiß nicht genau. Hat gut gepasst. Inzwischen mache ich etwas anderes, vielleicht bleibe ich zu Hause, vielleicht bekomme[44] ich etwas zu Hause. Zum Beispiel auf dem Hof."

Etwas bekommen?

"Wir haben drinnen Haus, Vals drinnen. Möchte drinnen leben oder möchte ich haben oder was sie[45] jetzt ausgemacht haben."

Willi

Wie geht es dir heute bei der Arbeit und wie wird es weitergehen?

"Zu Hause helfen, mein Bruder, dann Vieh, dann Heu und Wald haben wir auch."

Also, du möchtest auch in Zukunft zu Hause sein.

"Ja, ich bleibe auf dem Bauernhof und dort beim Bruder mitarbeiten. Haben wir einen Haufen Wald."

Und im Wald gefällt es dir besonders?

"Ja"

Bekommst du eine Rente?

"Ja, wie der Hansjörg."

Hansjörg: "Nein, ich bekomme keine Rente mehr."

"Ich schon. Du, Florian?"

Florian: "Nein"

"Auch keine Rente."

Florian

"Ja, ich hoffe auch so, gleich wie der Willi, dass es zu Hause auch so weitergeht auf dem Hof und dass ich kann arbeiten gehen, solange es der Vater halt noch packt zu Hause."

Heißt das, dass wenn es der Vater einmal nicht mehr packen wird, dann wirst du der Bauer sein?

"Ganz genau, ja, aber genau kann ich das nicht sagen. Das kann man erst in 20 Jahren, das kann man heute noch nicht wissen."

Hansjörg

"Mein Wunsch wäre für die Zukunft ein Jahr Freistellung in der Gemeinde und für irgendwo, ich weiß noch nicht genau, wie das funktionieren könnte, irgendwo bereit stehen für ein Katastrophengebiet, dort hin fliegen und dann einfach Trauerarbeit machen. Weil ich habe schon in den letzten Jahren viele Kurse gemacht für Sterbebegleitung, habe in St. Pauls - im Altersheim - ein Praktikum gemacht. Und das tut mir so gut."

Und wie würde das weitergehen?

"Und in einem zweiten Moment würde ich mir dann wünschen, dass ich dann zurückkommen würde und dass man in einem Krankenhaus ein System einrichtet, das nicht katholisch ist, sondern für alle. Ob es jetzt ein Islam ist oder ob es einer ist der total keinen Glauben hat, dass das eine Vereinigung wäre, die alle Leute gleich behandelt. Das wäre mein riesiger Wunsch."



[30] LehrerInnen im Berufsfindungskurs

[31] Motorradtyp

[32] Frau Hermelinde Assner war Lehrerin im Haushaltssonderkurs und wurde von den SchülerInnen auch Hermi genannt

[33] Lehrpersonal des Berufsfindungskurses

[34] Praktikumsbescheinigung

[35] weiterer Praktikumsort

[36] großer Holzhandlungsbetrieb in Brixen

[37] der Leiter der Rehabilitationswerkstätte

[38] Stellenberaterin in Brixen

[39] ehemaliger Direkor der Sozialdienste

[40] die Verwaltung des Krankenhauses

[41] Klaustrophobie

[42] Jubiläum

[43] Altersheim

[44] Andreas ist Sohn eines Land- und Gastwirtes und erhofft sich ein gutes Erbe

[45] Bruder und Strukturleiter

6. Meine Beziehungen

Mit diesem Thema haben wir uns sehr eingehend befasst, weil ohne Beziehungen unser Leben nicht denkbar wäre. Unter Beziehungen haben wir alle Arten von Beziehungen verstanden. Das Spektrum reichte von den Beziehungen in der eigenen Familie, bis zu den Beziehungen im Dorf, von den KollegInnen bis zu Mann-Frau-Beziehungen. Die Gespräche über Beziehungen zwischen Mann und Frau haben einen breiten Raum eingenommen. In diesem Zusammenhang haben wir auch über die eigene Mann-Frau-Rolle gesprochen, auch über Bilder, Vorstellungen und Wünsche bezüglich einer Partnerschaft. Dieses Thema hat "unter den Fingernägeln gebrannt", wie man so schön sagt. In Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung ist besonders deutlich geworden, dass beim Klassentreffen nicht nur über Vergangenes und Gegenwärtiges geredet wurde, sondern die behandelten Themen hatten auch konkreten Einfluss auf die Beziehungen der Teilnehmenden, auf ihren Alltag zu Hause.

6.1. Was fällt dir ein, wenn du an die Beziehungen in deiner Familie denkst?

Walter

"Ich habe mit meiner Mutter ein gutes Verhältnis. Wenn ich so Probleme habe, dann kann ich das mit ihr besprechen. Wenn ich zum Beispiel kein Geld habe, dann kann sie mir das am Vormittag holen, weil nachmittags haben die Banken in Vahrn leider geschlossen. Ich besitze noch keine Bakamat, wie heißt das, wo man Geld abheben kann, ah ja, Bankomat. Und das finde ich richtig toll: Wenn sie mich braucht, dann helfe ich ihr, wenn ich sie brauche, hilft sie mir. Das finde ich halt richtig toll."

Familie

Verena

"Meine Mutter ist auch sehr wichtig im Leben und mein Vater. Meine Mutter wäscht meine Wäsche und auch pflegt sie mich. Meine Mutter macht immer so Handarbeiten, wenn sie auch malt, dann male ich auch. Jetzt male ich so Hinterglasmalerei. Ich habe auch Freundinnen und das ist mir sehr wichtig."

Apollonia

"Heute möchte ich schon mehr alleine erreichen, wenn es irgendwie geht. Aber da bist du einfach noch zu viel unter Mamas Kittel gewesen, sozusagen."

2 Frauen tanzen in der Stube

Vor einigen Jahren hätte Apollonia die Möglichkeit gehabt, in ein Wohnheim nach Schlanders zu gehen. Dies wäre eine gute Chance gewesen, sich ein eigenes Leben aufzubauen.

"Ich finde es besser in einer Gemeinschaft zu leben. So suche ich sie mir irgendwie halt im Gasthaus oder irgendwo sonst. Aber zu Hause bei ihnen finde ich sie sowieso nicht, weil da bin ich entweder im Zimmer oder in der Stube, aber nicht bei ihnen in der Küche."

Was würdest du dir dann von der Familie wünschen?

"Gar nichts."

Wie meinst du das?

"Da muss ich immer ganz brutal aufpassen mit meinen Leuten, mit der Mama oder meinen Schwestern. Dass ich einfach versuche, nicht aus den Nerven zu fahren. Ich bin zornig ... wahrscheinlich ist es das, dass ich mit den Schnalsern einfach nicht zurecht komme. Und viele wollen mir einfach ausreden, dass ich mit denen leben muss. Und dann werde ich erst recht explosiv. Mir kommt vor, dass sie[46] mich nicht so sein lassen, wie ich bin, dass sie über etwas eifern, was ich habe und wo sie noch nicht so weit sind. Wo ich ihnen einfach voraus bin."

Zum Beispiel?

"Zum Beispiel, dass ich mehr herumkomme, dass ich mehr interessiert bin am Urlaubmachen oder solche Dinge, wo ich einfach weg will von zu Hause, wo ich mein eigner Mensch bin."

Wie hätten sie dich gerne?

"Sie hätten mich lieber als arme Behinderte, die sich nicht rühren kann."

Was machst du dann?

"Zu Hause ist mir mein Zimmer das Wichtigste und im Winter bin ich in der Stube, denn oben ist es dann zu kalt, dann muss ich mich viel in der Stube aufhalten im Winter. Was mir aber am meisten auf die Nerven geht, dass sie mich wie ein Kind behandeln, wie ein Baby oft, das man nur so auf die Seite schieben kann, und wenn man sie braucht, dann kannst du sie wieder heraus tun. So kommt mir halt vor. Erst wenn man zum Essen oder zu gewissen Punkten nicht erscheint, wie sie denken, dann gibt es halt Probleme."

Glaubst du, die Situation wäre besser, hättest du keine körperliche Behinderung?

"Ich weiß nicht, weil ich mich mit dem eigentlich nie auseinandersetze, weil das hilft nichts. Ich denke mir immer, ich bin so, wie ich bin, und es hilft nichts herumzutun, weil dann wird es nur schlechter. Da bleibe ich lieber im Schnalstal drinnen und denke mir meines, und Ruhe ist."

Rita

Rita erzählt, dass sie mit ihrem Bruder Klaus viel gespielt hat.

"Wir waren viel zusammen, in der Schule auch, der Klaus und ich."

Ist sicher eine wichtige Beziehung für dich der Klaus.

"Jetzt nicht mehr."

6.2. Welche Beziehungen hast bzw. hattest du außerhalb deiner Ursprungsfamilie?

Rita

Sie erzählt davon, wie sie beim Völkerball oder anderen Spielen nie mitspielen durfte.

"Das war nicht gerade angenehm. Wenn man nicht gut mitspielen kann, dann versaue ich ja eigentlich das ganze Spiel. Wenn ich nicht weiß genau, wie das geht, dann habe ich gesagt: ‚Ich schaue lieber zu, vielleicht das nächste Mal spiele ich dann mit, wenn ich es besser kann'."

Willi

Und wie geht es dir im Dorf? Wohnst du im Dorf?

"Oben, außerhalb vom Dorf."

Auf einem Hof?

"Ja."

Hast du auch Kontakt zum Dorf?

"Nicht viel."

Erzähle uns von einer wichtigen Beziehung.

"Weiß ich nicht, meine Schwestern und Brüder."

Apollonia

"Ich möchte nicht unbedingt auf einen Bua[47] hinspielen, diesmal geht es um meine Cousine. Mit der habe ich ein sehr gutes Verhältnis. Sie macht mir in ihrer Freizeit oder in ihrer Arbeitszeit auch zum Beispiel diese Berichte immer, schreibt sie mir, dann hat sie mir den Tipp gegeben wegen Lana, wegen diesem Garni da, wo ich immer Urlaub mache. Sie hat mich auch schon öfters zu ihr eingeladen, sie hat mich sogar in den Verein miteinbezogen und mich zum Haus der Familie auf den Ritten mitgenommen zu Kursen. Und das, muss ich sagen, schätze ich an ihr sehr, weil meine Leute hingegen, da bist du immer im Winkel, da dürftest du nie nichts."

Florian

Was fällt dir zum Thema Beziehungen ein?

"... Nein, eigentlich nicht viel zu sagen."

Gar nichts?

"Etwas, das ist ganz wichtig für mein Leben, bei der Feuerwehr zu sein. Es gefällt mir anderen zu helfen ... oder wenn es brennt zu helfen."

Andreas

"Ich habe Freundschaften schon, aber wenig. Bisschen wenig Freundschaften."

Und wo hast du die? Hast du die hauptsächlich im Dorf, wo du wohnst, oder am Arbeitsplatz?

"Arbeitsplatz. Dort mehr, dort angenehm zusammen, und paar Kollegen, paar Frauen, reden wir etwas, gehen wir manchmal etwas Trinken, Cola oder Saft. Die reden auch etwas, aber nicht viel."

Und im Dorf?

"Nein! Wenig."

Kennst du niemandem im Dorf?

"Schon alle grüßen, ‚Guten Morgen' und so etwas schon."

Andreas erzählt weiter davon, dass es schwierig für ihn ist, Kontakte im Dorf zu knüpfen, dass sich seine Beziehungen auf die Familie und die ArbeitskollegInnen beschränken.

"Dann weiß ich nicht mehr, ich möchte schon weiterleben wo Freundschaft und Freunde ..."

Verena

"Ich gehe auch oft mit meiner Mutter nach Brixen. Gehen wir auch vielleicht so einkaufen, Einkaufsbummel. Und meine Freundinnen tun mich oft so einladen, so Pizza essen gehen oder ins Kino gehen. Meine Freundin hat jetzt den Doktor gemacht, sie arbeitet jetzt in Brixen in einem Büro und sie nimmt so Samstag, Sonntag, am Wochenende, sie hat ein Auto, dann holt sie mich ab zu Hause. Dann gehen wir zusammen mit meinen Freundinnen auch so Kegelbahn zum Kegeln oder Pizza essen gehen."

Hansjörg

"Was mir in diesen Wochen eingefallen ist[48]. Es ist nicht gut, immer an das Vergangene zu denken, weil sonst ist das, wie wenn du mit dem Auto fährst und dauernd in den Rückspiegel schaust, dann fährst du auch vorne alles über den Haufen. Du musst nach vorne schauen, aber auch ein bisschen zurück, dann ist der Ausgleich da. Dann ist mir eingefallen, weil mit meinem Vorgesetzten habe ich wenig zu streiten, dann habe ich mir gedacht, jetzt vergesse ich das ein wenig und versuche eine neue Beziehung aufzubauen, dass man halt halbwegs auskommt miteinander. Und das ist mir mit dem gelungen jetzt, mit diesem Nachdenken."

6.3. Wie und mit wem lebst du heute?

Florian

"Ich lebe mit meinen Eltern zu Hause, alleine, Freundin habe ich ja keine. Und recht gut, ich lebe ganz gut ... und ... ich kann fahren, wenn ich will, brauche niemand fragen. Ich horche gerne Musik in der Disco. Ich gehe gerne schwimmen."

Wirst du auch in Zukunft bei deinen Eltern wohnen?

"Ja, ich wohne immer zu Hause. In einer separaten Wohnung halt, wenn ich einmal eine Freundin oder eine Frau habe, dass ich dann in eine Wohnung ziehe. Weil, ich habe ja Ferienwohnungen, dass ich dann dorthin gehe, zum Wohnen."

Walter

"Ich wohne noch mit meiner Mutter ... und, ja, ich wohne mit meiner Mutter. Was mir sehr viel Freude bereitet, ist Volksmusik, mit der ich mich sehr viel beschäftige. Fühle mich eigentlich recht wohl. Kann in meiner Freizeit machen, was ich will. In der Freizeit unterhalte ich mich sehr viel mit meinen Vögeln zum Beispiel, und mit meinem Freundeskreis, den ich in Brixen und Umgebung habe, fühle ich mich recht wohl."

Könntest du dir vorstellen, alleine zu leben?

"Eigentlich momentan noch nicht. Aber ich hoffe, dass es mit der Zeit so kommen wird."

Was hindert dich daran?

"Meine Mutter zum Beispiel. Weil ich hänge eigentlich auch noch viel an meiner Mutter. Weil ich habe erst seit zehn Jahren, seit mein Vater gestorben ist, ein richtiges Verhältnis mit ihr. Habe ich auch schon vorher gehabt, aber vorher ist es schwieriger gewesen, da war immer mein Vater ein wenig dahinter. Jetzt so, wenn schön Wetter ist, machen wir gemeinsam einen Spaziergang oder machen einen Friedhofsbesuch oder gehen in der nächsten Pizzeria eine Pizza essen. Seit 10 Jahren ist es leichter, weil nur mehr meine Mutter ist, weil meine Mutter hat mich immer gerne gehabt und mein Vater hat mich nicht gerne gehabt, also nicht immer verstanden, er war schon älter als meine Mutter und er hat diese Regeln nicht gekannt. Regeln von früher und heute."

Andreas

"Bin ich alleine, lebe ich alleine, habe ich keine Mutter und Vater mehr, sind alle beide schon gestorben. Lebe ich bei meinem Bruder oben, ist ein Koch, dort lebe ich, bis die Kinder groß sind, vom Bruder. Der Bruder hat zwei Kinder, wenn sie groß sind, wollen sie eigene Zimmer haben."

Rita

"Ich wohne zur Zeit noch zu Hause bei meinen Eltern. Jetzt zur Zeit faulenze ich ..."

Wie geht es dir dabei?

"Nicht immer gut. Gehe ich halt viel mit Freundinnen aus, mit meiner Schwester auch viel."

Was sind die Dinge, bei denen es dir gut geht?

"Wenn ich kann ein wenig ausgehen, dann geht es mir gut. Wenn ich daheim bin, nicht immer so, weil der Vater schwer krank ist, da leide ich auch oft viel darunter. Das schon. Da muss ich oft einfach gehen, es ist schwer, ja, daheim. Ich komme mit meiner Mutter nicht gut aus. Dann denke ich schon oft auszuziehen. Ich weiß leider nicht wohin, weil ich alleine bin. Dann bin ich aber doch wieder froh daheim zu sein. Ich fühle mich oft einsam, es ist schwierig ... ich habe keine Ahnung, ich weiß nicht, was ich einmal tun werde. Ich gehe oft spazieren und denke darüber nach ... aber es ist schwierig."

Apollonia

Wie geht es dir mit deiner Lebenssituation?

"Was soll ich sagen? Da denkt man gar nicht darüber nach. Ich bin noch zu Hause, lebe mit meinen Eltern. Unbedingt bin ich nicht viel bei ihnen, mehr nur beim Essen, sonst verziehe ich mich entweder ins Zimmer oder in die Stube mit der Schwester mit der jüngsten, wo ich eigentlich noch am besten zurecht komme. Weil sie mich irgendwie so nimmt, wie ich bin und nicht, wie sie mich haben wollen. Und als Dreiunddreißigjährige fühle ich mich eigentlich sonst irgendwo ein bisschen einsam, aber ansonsten geht es schon. Es ist besser, dass du dich irgendwie fügst, als wie du drückst etwas durch, denn dann nehmen sie dir halt etwas anderes wieder, eine Freiheit."

Möchtest du ausziehen?

"Es wäre mir schon lieber, irgendwo anders zu wohnen, denn es hat einfach keinen Spitz, wenn du immer nur auf deinem Zimmer bist und du darfst sonst nichts anderes."

Was?

"Zum Beispiel, auch wenn ich zur Kirche gehe, du darfst nicht einmal alleine über diesen Parkplatz hinübergehen. Weil sie meinen, die scheitert, und sie könnte fallen oder so, und für die Leute schaut es blöd aus, wenn ich ihr nicht geholfen habe und so weiter und so fort. Da kämpfe ich eh schon längst darum, dass ich eben mit der Schwester gehen könnte, weil die mich besser einschätzt, aber jedes Mal wartet die Mutter wieder in der Kirche. Ich könnte sie manchmal ... zerreissen."

Deine Wohnsituation?

"Mit der Heizung ist bei uns ein Problem, weil da ist ja keine. Also gibt es nur in der Küche und in der Stube das warme Ding und am Samstag halt, wenn wir zum Baden haben. Und sonst können wir immer im Kalten sein. Und da wird auch nur am Abend um halb sechs so bis acht das Feuer angemacht. Und mit meinen Füssen ist es ein Problem, denn ich sollte die Füße warm halten und die Schienen. Weil sonst habe ich im April wieder ein Problem wie das letzte Jahr, dass ich so brutal Schmerzen gehabt habe, dass ich vierzehn Tage musste aussetzen. Von der Arbeit, direkt daheim bleiben und einmal Ruhe geben. Und zu Hause, das ist ja wie ein Gefängnis. Im April kannst du noch nicht ins Zimmer hinaufgehen, weil es zu kalt ist, und herunten in der Stube ist halt auch kein Ort, wo ich in Ruhe meine Sachen erledigen kann. Da haben sie immer ein Auge auf das, was ich mache, und das geht mir einfach wahnsinnig auf die Nerven, wenn du nicht eine Sekunde lang etwas anstellen kannst, was die anderen nicht sehen. Sie schauen immer was ich mache, ich weiß nicht warum, haben sie ein schlechtes Gewissen? Wollen sie nicht, dass ich über sie schreibe oder ob ich etwas lese, was ihnen nicht passt? Aber das kann ihnen ja gleich sein, weil das interessiert ja nur mich."

Willi

"Ich lebe in Villnöß, zusammen meine Eltern, zusammen mein Bruder, Bauer. Schwestern sind verheiratet."

Und wie geht es dir zu Hause?

"Gut."

Hansjörg

"Ich wohne seit zwei Jahren alleine in einer Sozialwohnung in Brixen. Mir gefällt es ganz gut, weil ich habe mir alles selber einrichten können, das ist genau nach meinem Geschmack eingerichtet. Und da weiß ich genau, wo meine Sachen sind, beim Aufstehen bin ich schnell, kann mir alles einteilen. Zum Zweiten ist es fein, weil es eine Sozialwohnung ist, und ich brauche nie Angst haben, dass ich eines Tages, wenn ich schlechter werde körperlich, dass sie mich hinausschmeißen. Die Wohnung ist gut gelegen, Stadtnähe, mit einem kleinen Garten, der mir sehr viel Kraft gibt. Und schön ist einfach diese Freiheit, ich kann Kollegen einladen, ich kann schlafen, ich kann einfach tun, was ich will. Und habe auch Verpflichtungen, ich habe alle Tage abzuspülen, habe zu kochen, habe Kanarienvögel, die zu versorgen sind. Ich fühle mich richtig wohl."

Bedeutet alleine wohnen auch Einsamkeit?

"Das ist überhaupt kein einsames Leben, weil erstens einmal habe ich bei der Arbeit ganz viele Leute, weil ich bei einem Schalter arbeite. Ich kassiere auf dem Parkplatz der Gemeinde, sehe den ganzen Tag lang acht Stunden Leute. Und deswegen bin ich richtig froh, ab und zu, dass ich mich kann zurückziehen, dass ich meine Ruhe wieder habe und kann auftanken. Und auf der anderen Seite habe ich ganz viele Freunde, die mir unmöglich wichtig sind."

6.4. Welche Erfahrungen hast du mit dem anderen Geschlecht gemacht?

Walter

Walter erzählt der Gruppe von einer besonderen Beziehung.

"Bei mir war auch einmal eine starke Liebe vor den Augen, auf die ich es lange abgesehen gehabt habe. Ich habe mich gefragt: ‚Wie könnte ich das, die Frau überlisten'. Zuerst gehe ich in ein Bekleidungsgeschäft und frage, wie viel diese Hose kostet, ob sie mir passt. Dann frage ich sie, wie sie heißt, ob sie sich vorstellen würde. Ja, gut. Ja, und wann sie Namenstag hat. Gut, alles ein bisschen vorgestellt. Für diese Hose habe ich dann nicht mehr viel Interesse gehabt. Bin ich in eine andere Hose geschlüpft, dann frage ich sie, ob sie ausgeht. Dann sagt sie, heute hat sie keine Zeit. Dann habe ich mir gedacht: ‚Wenn du keine Zeit hast, ich finde schon etwas anderes', dann habe ich mir gedacht: ‚Namenstag ist eh nicht mehr weit entfernt, da werde ich mit einem Blumenstock auftauchen'. Bin ich mit einem Blumenstock aufgetaucht, dann hat sie eine große Freude gehabt, dann hat sie gesagt, was ich nach der Arbeit mache, dann habe ich gesagt: ‚Auf dich warten'. Dann sind wir einen Kaffee trinken gegangen, sind wir ein bisschen ins Reden gekommen. Und durch diese Rede, was sie so geredet hat, ist herausgekommen, dass sie schon vergeben ist. Dann habe ich mir gedacht: ‚Mein Gott, sie hat den Kaffee gezahlt, das Geld hat sie verloren, den Kopf habe ich verloren' und habe es aufgegeben. Und ich habe mir gedacht: ‚Früher oder später finde ich schon wieder etwas'."

Etwas?

"Ja, Zärtliches."

Verena

"Eigentlich sind mir Buben nicht so wichtig. Mir sind einfach so, so ... feine ... mit Buben am liebsten, reden tu' ich gerne, das schon, Spaß machen auch. Aber was nicht dazugehört zum Beispiel ..., das ist nicht so wichtig. Dieses Greifen halt und so, das habe ich nicht gerne."

Doch wenn sie einen Freund hätte, dann ...

"... also, wenn ich einen Freund habe, dann lade ich ihn zuerst einmal ein daheim. Ja, wenn ich einen Freund habe, dann lade ich ihn daheim ein, zuerst einmal vorstellen, wie er heißt. Dann tun wir zusammen, vielleicht tun wir zusammen am Nachmittag Karten spielen oder etwas Spielen zusammen. Oder vielleicht wenn ich sage: ‚Jetzt gehen wir spazieren' mit dem Freund, dann gehen wir halt spazieren. Oder wenn dann tun wir ein wenig küssen oder so, normal halt. Dann gehen wir vielleicht Pizza essen zusammen, fahren mit dem Auto ein Stück."

Andreas

"Früher habe ich schon Beziehungen gehabt, früher einmal. Ich habe eine Freundin, eine Frau kennen gelernt, die ist gleich alt wie ich."

Wie habt ihr euch kennen gelernt?

"Im Bus nach Vahrn habe ich sie kennen gelernt. Dann haben wir ein bisschen geredet, dann geredet und geredet. Wir sind dann zusammen in Milland draußen gewesen, in der Reha-Werkstätte, dort noch mehr Beziehung gehabt. Dort sind wir etwas Trinken gegangen und bisschen etwas Essen. Und am Abend sind wir ausgegangen, zwei Frauen und ich, und sind wir spät in der Nacht heimgekommen, und da bin ich in Brixen da geblieben. Das ist Beziehung jetzt schon länger her. Habe ich später noch eine Beziehung gehabt."

Und heute?

"Jetzt habe ich noch Beziehung. Sie arbeitet. Wir tun immer treffen, ich manchmal anrufen, also Weihnachten oder Geschenke auspacken, oder Feste bei uns oben. Sie kommt manchmal auch zu uns herüber. Da können wir alles machen. Oder einladen, etwas trinken, alles Mögliche."

Wie möchtest du leben?

"Aber ich möchte schon mit meiner Freundin zusammenleben. Sie kann schon kochen alles. Zu Weihnachten habe ich ein Paket, ein Päckchen ein kleines oder Zeichen, Liebe zu Weihnachten."

Möchtest du mit deiner Freundin zusammenleben?

"Ja. ... Ich weiß noch nicht genau. Aber momentan muss ich immer sprechen mit Betreuer in der Reha-Werkstatt und was soll er tun? Bruder auch, er hat darüber geredet über das, ob ich soll allein sein."

Also, dein Bruder könnte sich vorstellen, dass du einmal zusammen mit deiner Freundin lebst? Denkst du, dass das möglich wäre?

"Ja, möglich. Ich möchte mit Freundin wohnen, abends ausgehen, Pizza esssen, etwas Trinken oder so."

Wie stellst du dir das Zusammenleben konkret vor?

"Küche einrichten und Stube, Zimmer, alles Mögliche. Eigenes Haus haben, so etwas. Ich würde putzen schon, Küche schon und kochen kann ich auch ein bisschen, nicht viel. Meistens gehe ich immer aus, Essen, Pizza essen gehen. Ich möchte schon einmal alleine wohnen."

Hansjörg

"Bei mir geht es ganz leicht, Beziehungen kennen zu lernen neue, denn ich mache viele Kurse. Das ist für mich einfach eine große Möglichkeit, überhaupt wenn die Kurse zwei-drei Tage dauern. Dann lernt man sich kennen, da ist Gruppenarbeit und da siehst du einfach, dieser Mensch, der hat so die gleichen Meinungen, der gefällt mir oder so. Dann gehst du eher näher heran und redest mit ihm und so. Und das werden dann oft ganz gute Freunde. Ob es jetzt ein Mann ist oder eine Frau, das ergibt sich, wie es sich ergibt. Sicher, oft wäre es schon toll, dass man oft Tage hat, wo man lieber eine Frau kennen lernen möchte. Und wenn du es unbedingt haben willst, ist es schwierig.

Oft hat man das Gefühl, man möchte mit einer Frau reden, über gewisse Probleme und so, dann steckt man vielleicht die Ziele zu hoch. Man geht hin und möchte essen gehen oder etwas trinken gehen, und du überrumpelst sie, und danach ist sie halt ganz weg. Zuerst wäre es eine Freundschaft geworden und vielleicht auch mehr, aber wenn du im falschen Moment auf sie zugehst, dann ist alles aus. Diese Erfahrung habe ich halt oft gemacht. Und hinten nach tut es mir furchtbar weh, aber das gutzumachen ist schwierig."

Hansjörg, der sehr aktiv ist, hat in Brixen einen Single-Club gegründet.

"Wo ich ganz viele Freundschaften, Beziehungen geschlossen habe, war der Single-Club in Brixen. Den habe ich praktisch ins Leben gerufen vor zwei Jahren. Und da habe ich ganz viele kennen gelernt, wo ich heute noch in Kontakt bin. Und das ist furchtbar schön gewesen. Sind einfach alles Leute gewesen, da haben wir Leute angesprochen auch durch die Medien, die einfach das Gefühl haben, ob sie jetzt Männer sind oder Frauen ist gleich, einfach, dass man sich trifft, gemeinsam wandern geht oder einmal etwas Trinken oder schwimmen oder ist ganz gleich gewesen was. Hauptsache wir tun etwas. Da waren wir meistens unsere zehn bis fünfzehn zusammen und haben uns einen schönen Abend gemacht oder Tag. Und mir kommt vor, das ist halt auch schön gewesen. Und drei haben geheiratet durch das, sie haben das Glück gehabt, die Richtige zu finden."

Wie lernst du sonst noch Frauen kennen?

"Und manchmal, muss ich sagen, wenn ich ganz gut aufgelegt bin, dann bewege ich mich ins Abenteuer. Das sind die Partnerschaftsanzeigen in der Sonntagszeitung. Da schreibe ich und treffe mich mit denen. Ist halt ein Mordsrisiko, aber gut, zu verlieren hast du auch nichts, aber oft ist es lustig.

Wenn es nicht klappt, da gebe ich halt immer gerne der Behinderung die Schuld, weil ich mir denke: ‚Die mag mich sicher nicht, weil ich kann nicht Ski fahren oder kann nicht tanzen oder kann jenes nicht'. Und das treibt mich oft in den Wahnsinn. Das ist wirklich, was mir oft Angst macht."

Florian

Hast du schon einmal eine Freundin gehabt?

"Ja, ein halbes Jahr."

Wann war das?

"Zwei Jahre ... eines ist das her."

Wo habt ihr euch kennen gelernt?

"Von der Arbeit aus. Die Mutter arbeitet mit mir, sie putzt."

Was habt ihr unternommen?

"Schwimmen sind wir gegangen, Pizza essen, etwas Trinken. Ich hätte es mir gewünscht mit ihr zusammen zu wohnen. Aber sie ist ja krank gewesen."

Krank?

"Ja, ja, zehn Pillen musste sie essen am Tag. Nervenkrank."

Und das wolltest du nicht?

"Nein, nein."

Apollonia

"Ich möchte nicht unbedingt gleich mit den Männern anfangen, weil das ist mir zur Zeit so unmöglich ‚zwider'50 alles zusammen. Also eher nur Frauen und die suche ich mir selber entweder im Gasthaus oder auch bei der Arbeit oder eben im Urlaub. Und dort habe ich einige, die auch gleichberechtigt sind, so wie ich ungefähr, in ihrer Behinderung. Weil man sich mit denen leichter tut zu kommunizieren als mit Gesunden."

Lernst du keine Männer kennen?

"Ich habe Schwierigkeiten, den ersten Schritt zu machen."

Rita

Die Erfahrungen von Rita sind denen von Apollonia ähnlich, auch sie hat Schwierigkeiten, sich jemanden anzunähern.

"Da warte ich manchmal, bis er etwas sagt. Und wenn er nichts sagt, gehe ich. Ich bin nicht so, die jeden anredet, eher ein wenig auf der schüchternen Seite. Ich rede nur, wenn ich angesprochen werde."

Was hilft dir beim Kennen lernen?

"Mir hilft manchmal das Tanzen. Da trifft man sich in der Disco. Aber dann sieht man sich nicht mehr. Dann wenn er wieder einmal da ist, dann tanzen wir wieder in der Diskothek, das schon. Dann sind immer wieder andere Leute, alles wieder andere, neue."

Wie geht das weiter?

"Aber da war schon oft einer, der gesagt hat: ‚Soll ich wieder kommen, tanzen wir wieder?', das schon. Aber ich habe oft nicht die Möglichkeit hin zu gehen in die Diskothek, dann sieht man sich halt nicht mehr, das ist das Problem."

Warum fährst du nicht hin?

"Es ist für mich schwierig, mit den Fahrgelegenheiten und so, die andere Freundin hat nicht Zeit. Dann geht das so. Dann haben sie etwas anderes vor, die, die ein Auto hat und nicht Zeit oder keine Lust. Dann tanze ich halt zu Hause ein wenig für mich alleine, ein wenig. Ist auch schön."

Aber?

"Aber schöner wäre es in der Disco mit den anderen. Das schon."

Was gefällt dir an der Disco?

"Oft denke ich dann schon, den wieder zu sehen, ein wenig Spaß zu haben. Ja, so unter den Leuten, ist es schon schön. Wenn sie einen oft anlachen oder so. Das ist schon schön. Wenn einer Interesse zeigt, so zu tanzen halt, mehr ... mehr ist nicht."

Warum nicht?

"Es funktioniert halt nie richtig. Nur so zu tanzen, sonst eine Beziehung, nicht. Eine richtige Beziehung ist mir noch nie gelungen. Habe nie den Richtigen gefunden, der mir zuspricht."

Was ist für dich eine richtige Beziehung? Was muss da sein, was gehört für dich dazu?

"Dass man einander versteht, dass er einen nimmt, wie man ist. Alles Mögliche halt. Dass er einen gern hat. Das ist leider nicht so. Weil ich mich mit keinem richtig verstehe. Jeder hat seinen eigenen Kopf. Wenn ich meine Meinung sage, dann haben sie alle eine andere Meinung. Für mich alleine sein, dann ist nicht zu streiten, denke ich mir immer."

Wirklich?

"Am Besten ist es, die Beziehung zu lassen. Die verstehen einen nicht, ich weiß nicht, wieso. Ich werde schon nicht richtig tun oder die anderen werden nicht richtig tun. Ich weiß nicht, wie eine richtige Beziehung ausschaut. Wenn man nicht miteinander reden kann, ist es schwierig, man versteht sich nicht. Für mich ist es wichtig, dass man alles ausreden kann, einmal meine Meinung sagen kann und so. Und das tun sie einen nicht lassen, immer sie haben recht. Dann ist bald."

Redest du jetzt eher von Männern oder von deinen Eltern?

"Von beiden ein wenig. Die nehmen einen nicht so, wie man es sagt, sagen immer: ‚Stimmt nicht und so und so'.

Ich habe eigentlich nie das Gefühl gehabt, die nehmen mich so, wie ich

bin."

Du wüsstest genau, wie eine gute Beziehung wäre.

"Ganz gut weiß ich es vielleicht auch nicht selber. Man versucht es halt irgendwie aufzubauen, aber es klappt nicht, ich habe es oft versucht, aber es ist nie der Richtige."

Hast du eine Idee, eine Vorstellung, wie du mit jemand eine Beziehung beginnen könntest, was wäre ideal, was wünschst du dir?

"Vieles, viel, viel, aber ... ma ... Also wenn ich in der Disco bin, dann fragen sie immer, wie ich heiße und wo ich herkomme. Dann gehe ich schon manchmal mit ihm etwas Trinken in der Bar in der Disko (lacht). Dann reden wir halt, und viel ist halt, dass es Italiener sind, dann sage ich halt, dass ich nicht gut reden kann."

Und dann?

"Dann denke ich mir: ‚Nein, italienisch, da kann man wieder nicht gut reden.' Einen deutschen Südtiroler ist schwierig zu finden, da sind wenig."

Rita berichtet weiter von einer Erfahrung, die schon einige Jahre zurückliegt, und die genau die Schwierigkeit widerspiegelt, die Ängste und Unsicherheiten, wenn sich ein Mann nähert.

"Ich bin einmal bei einer Straße entlang spazieren gegangen, dann fährt so ein Auto vorbei. Dann macht er das Fenster auf, und ein mann schaut heraus. Er ist ein ganz netter Mensch gewesen und er hat halt gefragt, ob ich etwas Trinken gehen will. Dann habe ich gesagt: ‚Nein'. Bin halt nicht gerade schön angezogen gewesen. Dann hat er gesagt: ‚Ja, dann machen wir aus, um acht dort, beim Platz'. Dann habe ich gesagt: ‚Ja, können wir schon machen'. Dann bin ich heimgegangen, dann ist es acht gewesen, dann habe ich gedacht: ‚Was soll ich jetzt tun?'. Getraut habe ich mich nicht recht, mit einem fremden Mensch mitzufahren. Dann ist er halt gekommen um acht, hat drüben gewartet und gewartet (lacht verlegen). Und ich bin halt nicht gekommen. Der wird die Nase voll gehabt haben. Nicht gekommen bin ich, und er wartet und wartet, und ich bin nicht gekommen. Die verarscht mich halt, wird er gedacht haben, zuerst sage ich: ‚Ja, ich komme schon', und danach, nichts. Er hat mir schon gefallen, aber ich habe mich nicht getraut mit einem fremden Mensch mitzufahren."

Hast du mit jemandem darüber gesprochen?

"Ich habe nie mit jemand geredet, was man da tun könnte, weil man hört ja oft, was passiert, dass sie einen nicht mehr nach Hause bringen oder weiß Gott wo hinfahren. So habe ich halt beschlossen, nicht hin zu gehen. Und hinterher hat es mir halt doch leid getan. Ich habe so viele Erfahrungen gemacht, mit anderen auch, deswegen habe ich ... so entschieden. Wenn noch jemand mitgeht, geht es schon, aber alleine bist du ausgeliefert, alleine mit jemanden zu fahren, den du nicht kennst. Weißt du, die könnten einen verschleppen, wenn ich will heim, und er fährt weiß Gott wo hin."

Hansjörg: Ja. Bei dem, was die Rita erzählt hat, hat mich gewundert, wenn sie sagt, sie wüsste, wie eine Beziehung ausschaut, von wo du das eigentlich her hast. Hast du das im Fernsehen gesehen oder wie kannst du dir eine Beziehung vorstellen, wenn du sie noch nie gehabt hast, wie du ja gesagt hast. Das musst du ja irgendwo einmal gesehen haben?

"Im Kopf kann ich es mir so denken, so könnte es sein. Aber die anderen tun es einem nicht, wie soll ich da sagen, bringen einen durcheinander. Wenn ich möchte eine Beziehung irgendwie aufbauen und sie wollen nicht. Dann verlierst du irgendwie die Freude. Geht es einmal aufwärts dann wieder abwärts, die lassen einen nicht, wollen vielleicht auch nicht, kann sein."

Andreas: Wie kommt das, was im Fernsehen gesehen habe oder ist nur so Beziehung gewesen oder ist nur Freundschaft? Wie komme ich da drauf was Beziehung ist, welche Beziehung? Wie kennt man, wie Beziehung ist?

"Ja, und auf der anderen Seite doch einmal gewollt, irgendwie eine Beziehung aufbauen. Viele raten mir: Freundschaft ist besser, weil bei Beziehung kommt alles Mögliche zusammen und wenn ein Mensch dich nicht versteht, dann ist besser nur Freundschaft bleiben. Wenn es dieser Mensch nicht versteht, irgendwie. Man möchte die aufbauen, aber es geht nicht."

Andreas: Möchte aufbauen?

"Und er will nicht."

Andreas: Ah so, will nicht.

"Die anderen in der Familie haben vielleicht Angst, dass ich ausgenutzt werde, weil es nicht lange haltet vielleicht, weil es doch, wenn man zuwenig Erfahrung hat, ist es vielleicht besser, bei der Freundschaft zu bleiben."

Hansjörg: Aber horchst du eigentlich immer auf die Ratschläge der anderen oder entscheidest du selber auch?

Florian

"Ich hätte noch etwas zu sagen über die Frauen, wie ich das miterlebt habe. Ganz am Anfang sagt sie: ‚Ja wenn es ganz unbedingt sein muss, dann können wir heute schon etwas machen', und dann ... dann die zweite Woche drauf oder die dritte Woche drauf, dann sagt sie selber: ‚Komm heute, weil heute will ich, weil heute will ich wieder'. Dann sagt sie es selber. So ist es bei mir halt gewesen."

6.5. Was machst du in deiner Freizeit?

Hansjörg

"In der Feizeit sind mir die Kollegen sehr wichtig. Wenn ich manchmal Schmerzen habe oder wenn ich manchmal nicht so einen guten Tag habe, die rufen mich an: ‚Nein, nein, jetzt kommst du, jetzt tun wird dieses, jetzt machen wir jenes'. Dann vergisst du wieder viel und das Leben geht wieder perfekt weiter. Ich habe auch selber das Auto, das mir unmöglich wichtig ist, die Freiheit. Ich komme überall hin. Und wo ich ganz gute Beziehungen geknüpft habe: im Zug. Wenn du so mit dem Zug fährst, setzt dich hinein in einen Wagon, fragst höflich, ob du darfst niedersitzen, dann redest du so, das letzte Mal ist die Heizung ausgefallen, dann ich: ‚Ich habe zu kalt' und so, dann redest: ‚Wieso geht die nicht?', und so. Dann bist du schon im Gespräch. Und das ist sehr schön, so fremde Leute kennen zu lernen. Oder auch bei meiner Arbeit (an einer Parkplatzkasse), das ist oft, dass wir reden und am Abend gehen wir essen. Weltfremde Leute, dann redest ein wenig von Südtirol, sie von Deutschland oder von wo her oder England oder weiß der Teufel wo.

Es geht manchmal einfach um das, wer macht den ersten Schritt. Weil danach funktioniert es ja! Wenn du einmal den ersten Schritt gemacht hast, und sagst: ‚Ich bin der Hansjörg, wie geht's?', dann merkst du schon irgendwie, will die oder der nicht reden. Wenn er gar nicht reden will, dann liegt es ja nicht mehr an mir, dann habe ich zumindest probiert."

Walter

"Ich bin viel unterwegs auch, mit dem Motorrad unterwegs. Ich fahre viel auch hierher, Richtung Feldthurns oder hinunter nach Klausen. Theis hinauf komme ich nicht mehr, denn da zieht es[49] nicht mehr, da bin ich fast gezwungen es stehen zu lassen und Autostopp weiter zu fahren. Aber ich schaue immer, dass ich nach vorne komme und nicht zurückkrieche wie eine Schnecke, und verkrieche mich auch nicht gerne in meinem Leben."

Wie lernst du z.B. neue Leute kennen?

"Ein nettes Mädchen zum Beispiel anlächeln, fragen: ‚Hast du Interesse mitzukommen einen Kaffee zu trinken'. Wenn sie gleich ‚Ja' sagt, o.k., lade ich sie zu einem Kaffee ein. Dann frage ich, wie sie heißt, stelle ich mich vor. Dann kommen wir so ins Rollen ein bisschen."

Walter, du gehst also ziemlich direkt auf eine Frau zu und fragst sie, ob sie mitkommt zum Kaffeetrinken?

"Ja. Wenn sie sagt ‚Ja', dann ist ja, wenn sie sagt ‚Nein', dann ist nein."

Apollonia

"Also für mich ist es wichtig, dass ich seit September mein Handy habe. Das ist halt mein Um und Auf in letzter Zeit. Dann beschäftige ich mich viel mit Beten, Schreiben, Lesen und sonst Sachen, und viel mit meiner eigenen Fantasie. Für mich ist auch der Glaube ganz wichtig. Für mich ist Beziehung sich gegenseitig auch zu helfen und zu reden."

Andreas

"Ich gehe immer mit Kollegen aus, Freundin und auch Frauen."

Du hast Kollegen und Freundinnen in deinem Dorf mit denen du dich triffst?

"Dorf nicht, aber in Brixen treffen wir uns, gehen wir etwas Trinken."

Verena

"Ich lerne die Leute bei der Arbeit kennen. Wenn ich Geburtstag habe oder so, dann lade ich Freundinnen ein oder einen Freund. Dann tun wir uns gegenseitig schreiben, ich würde immer gerne in Kontakt bleiben. Und vielleicht fahren wir auch einmal in die Disco, weil ich habe so einen Freund oder Freundin gefunden und die haben ein Auto und dann fahre ich oft mit dem Freund. Dann fahren wir immer Kino oder in eine Diskothek. Einmal sind wir nach St. Sigmund gefahren, dann habe ich mit jemanden getanzt. Ist auch fein, ja. Meine Freundin hat mich oft mit dem Auto migenommen, Chinesisch Essen, oder manchmal ein paar Freunde besuchen oder so. Das ist auch fein. Dann tun wir viel reden. Das ist auch fein."

Verena erzählt von ihrem Freund

"Ich sage es frisch. Er hat einen Dreiradler, dann hat er ein Motorrad, dann nimmt er mich manchmal mit. Dann gehen wir gegenseitig etwas Trinken, dann reden wir viel oder so, mit jemand treffen in einem Gasthaus oder so, andere Freundinnen, dann tun wir dort reden und Spaß machen. Da bin ich halt voll dabei."

Florian

Er hat Kollegen bei der Feuerwehr, wo er Gerätewart ist. Sonst trifft er Leute in der Diskothek in Ehrenburg, wo er regelmäßig hingeht.

"Ja, fast jede Woche. Dort lerne ich oft einige neue Leute kennen, andere kenne ich schon von früher."

Wie lernst du die Neuen kennen? Wie geht das?

"Redet man halt, wie es geht, und ob sie einmal Tanzen will oder ob sie etwas Trinken will. Dann kommt man halt so zum Reden. Nächste Woche treffe ich sie wieder, jede Woche halt."

Reicht das?

"Es ist sicherlich wenig, einmal in der Woche, nein, das reicht nicht. Du müsstest halt auch einmal etwa entweder Pizza essen gehen oder etwas Trinken oder schwimmen oder auf den Berg gehen oder Fahrrad fahren oder so etwas. Aber nur in der Diskothek reicht nicht aus."

2 Personen beim Tanzen



[46] Die Eltern

[47] Mann

[48] Seit dem letzten Treffen von "Auf der Spur"

[49] das Motorrad schafft den Höhenunterschied nicht

7...und in 10 Jahren?

Dieser Abschnitt sollte uns dazu dienen, den Fokus der Gruppe nach vorne zu richten. Es war uns dabei wichtig, die einzelnen TeilnehmerInnen des Klassentreffens soweit zu bestärken, den beschrittenen Lebensweg zu würdigen und, gleichsam in Fortsetzung der Energie, die bisher floss, den nächsten Schritt zu finden [50] . Ausgestattet mit dieser Kraft als Individuum und als wichtiges Mitglied einer Erzählgruppe sollten sie auseinandergehen und in den nächsten Jahren von dieser guten Dosis Beziehungsfähigkeit zehren können.

Apollonia

"Also, wenn es mir irgendwie gelingt, möchte ich als erstes irgendwie freikommen von meinen Eltern. Dass ich mich mehr selbst in die Hände nehme und nicht immer auf andere horche, oder wie das auch sein mag. Über meine Gesundheit zu achten und halt zu schauen, dass es besser wird und ja auf keinen Fall zurückgeht, weil dann bin ich verloren, zweitens. Drittens ist der Glaube, den ich sehr stärken möchte - weiterhin."

Außerdem ...

"... dass ich vielleicht irgendwie bei einer Gemeinschaft dabei bin, nicht nur dabei bin, sondern vielleicht auch hineingewählt oder was weiß ich irgendwo, vielleicht mehr Verantwortung überhabe ...

Gesundheitlich, dass ich - wie sagt man - mit den Füssen versuche nicht hinten zu bleiben. Ich will kämpfen, dass ich sicherer gehen kann und weniger Schmerzen habe. Auch turnen und so selber. Und die Urlaube, ist sowieso, das tut mir sehr gut. Ich denke immer an den selben Ort, wahrscheinlich in Lana Urlaub zu machen."

Ganz am Anfang hast du gesagt, du möchtest selbständiger werden. Wenn du jetzt denkst, wo wirst du in zehn Jahren wohnen? Und wie wirst du wohnen?

"Wahrscheinlich zu neunundneunzig Prozent, was ich mir nur vorstellen kann, das ist, irgendwo bei einer Schwester. Ich muss nur schauen, dass ich meine Ausgangsweisen und so ... befreien kann, dass ich kommen und gehen kann, ohne Probleme. Oder einmal einen Mann mitbringen kann oder so, dass das kein Problem ist. ... Und wenn ich sage, das ist so, dann soll das auch so sein, nicht dass die anderen sagen wieder das Gegenteil."

Florian

"In zehn Jahren. Dass ich in zehn Jahren verheiraten bin und dass ich in zehn Jahren ... Kinder habe und mit der Frau lebe ..."

Wie viele Kinder?

"Kinder, das kann man nicht genau sagen. Aber zwei-drei möchte ich schon. Und in zehn Jahren kann viel passieren ..."

Außerdem ...

"... in zehn Jahren gehe ich zehn Mal in den Urlaub und immer in einen anderen Ort."

Zum Beispiel?

"Dort, wo es Wasser gibt. Thailand (lacht). Thailand und Ibiza oder Mallorca, an diesen Stränden."

Dorthin?

"Ja, sowieso. Jedes Jahr ein Mal und jedesmal an einen anderen Ort."

Walter

"In zehn Jahren möchte ich wieder hierher kommen, nach Feldthurns oder an einen anderen Ort, von mir aus Villanders, Barbian oder so. Ein Klassentreffen wieder, euch alle treffen und sagen: ‚Ja, schau, das ist meine Frau', die Frau vorstellen, eine hübsche Blonde, ‚das ist mein zweiter Bub jetzt, der ist schon zweite Klasse Volksschule jetzt, der andere geht noch in den Kindergarten'. Und was will ich sonst noch erreichen? Sonst hätte ich eigentlich alles gehabt."

Klassentreffen

Wo lernst du die Frau kennen?

"Meine Frau werde ich vielleicht irgendwo auf einem Zeltfest, vielleicht einmal auf einem Ball, vielleicht in der Stadt zufällig unter den Lauben kennen lernen. Das liegt noch in den Sternen. Und gesundheitlich soll es mit den Ängsten aufwärts gehen."

Beziehungsweise abwärts, dass sie verschwinden.

"Ja, abwärts mit den Ängsten, ja. So stelle ich mir das Leben in zehn Jahren vor. Arbeiten könnte ich vielleicht an einem anderen Ort. Aber mein Traumwunsch wäre, bei der Eisenbahn zuwege zu kommen oder bei der Post, das wären meine Traumberufe. Und wohnen möchte ich irgendwo außerhalb der Stadt, zum Beispiel irgendwo auf einem Hügel oben, wo ein wenig ein Grabkreuz und das alles ist. Wo wir eine schöne Zufahrtstraße haben, im Winter nicht zu viel Schnee."

Verena

In zehn Jahren. Du bist jetzt einunddreißig, wenn du dich mit deinen KlassenfreundInnen wieder treffen wirst, sobald du einundvierzig sein wirst, was weißt du dann zu erzählen?

"Ich würde immer in Kontakt bleiben und immer in Freundschaft bleiben. Und es ist schön gewesen, da in Feldthurns, bin gerne dabei gewesen."

Das ist jetzt nicht das Thema.

"Ah, so."

In zehn Jahren sind wir alle zehn Jahre älter. Was würdest du uns dann erzählen, wie ist es dir ergangen in diesen zehn Jahren?

"Ganz gut."

Was hast du zum Beispiel gearbeitet?

"Ja zuerst habe ich Kindermädchen gemacht."

Was du tun würdest? Das ist noch nicht passiert Verena. Nicht, was du jetzt getan hast. Was würdest du gerne arbeiten?

"Ich würde einmal gerne so einen Nähkurs gehen, dass ich nähen kann. Oder kochen, das würde ich gerne tun. Beispiel, ich bin im Bürgerheim, dann bin ich weg, dann würde ich jetzt gerne etwas anderes machen, lernen. Ich würde gerne so nähen, Nähkurs gehen, dass ich einmal endlich nähen kann. Dass ich mehr kann halt im Haushalt tun. Dass ich alleine kann einmal etwas tun, das hätte ich gerne. Wenn ich einmal selbstständig bin, dann hätte ich auch gerne selber kochen."

Also, du möchtest Dinge lernen, damit du in zehn Jahren selbständiger bist. Wo würdest du dann wohnen, Verena? Wo stellst du dir vor, wo du wohnen würdest?

"Ja, vielleicht, in Rodeneck vielleicht. Weiter weg, wo ich allein bin, mit dem Freund. Vielleicht bekomme ich Kinder vielleicht, ich weiß es nicht, ob ich Kinder bekomme. Ich hätte halt gerne so zwei-drei Kinder. Ja, zwei-drei Kinder und einen Mann, den hätte ich auch gerne. Dann kann ich halt mit dem Mann ausreden, halt reden, wie man das macht. Die Kinder Schule gehen, wenn sie Kindergarten gehen. Ich würde so eine Familie gründen, würde ich gerne. Aber ich weiß nicht, ob ich das schaffen kann. Das ist halt mein Traum, ja."

Rita

Zukunftsvorstellungen zu entwickeln ist alles andere als leicht, insbesondere wenn die Zweifel dich einholen.

"Nein, das kann ich nicht sagen. Ich weiß nicht was auf einem so zukommt... Ich weiß es nicht."

Denkst du, du wirst in zehn Jahren deinen Vater noch pflegen?

"Nein. Ich weiß nicht, wie lange. Wird sich viel ändern, ja, wenn er einmal nicht mehr ist. Dann habe ich halt viel Verantwortung für die Mutter auch, das wird halt bleiben."

Wo wirst du in zehn Jahren leben? In Kastelruth, in Bozen oder in Brixen ... oder in London oder in Rom?

"(Lacht) Vielleicht. Wenn man den richtigen Freund hätte, wäre es schon nett, dass man kann gemeinsam wohnen. Egal wo."

Glaubst du, dass du in zehn Jahren eher alleine wohnen wirst oder dass du mit einem Partner leben wirst?

"Schwierige Frage, ja."

Dann stelle ich eine leichtere. Glaubst du, dass du in zehn Jahren ...

"Noch lebe? (lacht)"

Andreas

Deine Eltern sind bereits gestorben, du wirst also in zehn Jahren noch beim Bruder in Natz wohnen?

"Nein, nicht mehr. Die Kinder sind schon groß. Die wollen eigene Zimmer haben. Ich möchte Zukunft haben mit der Freundin, zusammen leben. Gleich wohin, Bozen oder Natz oben oder Meran."

Also, dir ist gleich, wo du mit der Freundin lebst, wichtig ist, mit der Freundin?

"Wo ist egal, aber mit Freundin. Sie muss immer weißes Kleid anziehen, nur weiß."

Nur bei der Hochzeit oder überhaupt immer?

"Nein, nur Hochzeit."

Also, du möchtest in zehn Jahren auch deine Freundin geheiratet haben?

"Nur weiß. Und Familie gründen möchte ich einmal, Familie. Ist gleich ob Bub oder Mädchen, möchte lieber einen Bub haben. Ja. Mädchen geht schon noch, aber Bub ist mehr angreift, mehr Arbeit. Das ist jetzt, zehn Jahre ist alles Mögliche."

Wirst du in zehn Jahren noch arbeiten?

"Ja, in anderen Ort. Wo, ist mir gleich, wo. Wichtig ist, Arbeit. Zehn Jahre sind schon viel her, ganze Jahre, noch ein Jahr."

Also, auch in zehn Jahren wird der Bruder für dich noch einen wichtige Rolle haben?

"Ja, ja. Ich möchte geschwind, nicht geschwind aber zwei Wochen oder zwei Monate so etwas. Aber das ist vielleicht, kann sein. Aber wenn Bruder nicht ist, dann weiß auch nicht mehr, was soll ich tun. Schwägerin ist nicht mehr Jüngste, wenn in zehn Jahren Bruder nicht ist, ich weiß nicht genau wie soll weitergeht. Ich meine zusammensetzen und über das reden. So geht es[51]. ...

Ja. Das wäre ein Möglichkeit oder ausziehen oder ich bekomme eine Wohnung oder etwas bekomme ich schon. Wir haben mehr Häuser, da ist mehr Chancen. Dass ich erstens soll alleine leben könnte Zukunft einmal. Frühstücke ich am Morgen, zu Mittag bin ich nicht zu Hause. Und drittens ich möchte einmal Familie gründen und möchte ich woanders leben."

Willi

Was wird bei dir in zehn Jahren der Fall sein?

"Mit meinem Bruder daheim. Ja am Hof, mit Kühen."

Wirst du eher alleine mit deinem Bruder sein oder wirst du eine Frau haben?

"Schwierig."

Und wirst du in zehn Jahren immer in Villnöß drinnen sein oder wirst du in der Zwischenzeit auch von Villnöß wegkommen?

"Villnöß."

Hansjörg

"Ja, wenn ich in zehn Jahren da bin, dann möchte ich sagen können, aufgrund der neuen Forschung und eines neuen Ärzteteam, gibt es eine Methode, die praktisch eine Schönheitsoperation an der Wirbelsäule möglich macht. Dann beruflich, wäre mein großes Ziel, oder wäre toll, wenn ich sagen könnte, ich habe jetzt eine Arbeit in einem Krankenhaus gefunden, in irgendeinem und könnte dort mehrere Kurse machen, vielleicht Mikroverfilmung oder Archiv oder auch mit Computer vielleicht. Dass ich könnte einfach mehr neue Sachen lernen. Oder ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich könnte sagen, ich habe mich bei einer Partei aufstellen lassen und habe einmal bei Landtagswahlen mitgetan und wäre zuständig für Invalidensachen und so. Und von der Beziehung her, wäre toll, wenn ich sagen könnte, ich habe zwei-drei hinter mir und genau im Zug oder in der Klinik, dort wo ich mich operieren gelassen habe, dort habe ich meine Traumfrau gefunden. Und ich möchte auch, es wäre auch toll, wenn ich noch könnte in zehn Jahren sagen, ich bin Mensch geblieben, so wie ich immer gewesen bin. Nicht dass mich irgendetwas an diesen neuen Sachen verändert. Und dass ich einfach mit der Wohnung und der Gesundheit und so, so zufrieden bleib, wie bis jetzt."



[50] Aus Bert Hellingers Buch "Finden was wirkt", Kösel Verlag, 1999

[51] die Sorge um die Erbschaft bringt Andreas hier zum Ausdruck

8.Anhang:

Von Apollonia: Meine Geschichte

Anfangs Juni hätte ich zur Weit kommen sollen, aber ich kam erst am 26. Juni 1968 gegen Mittag im Krankenhaus in Meran zur Welt. Natürlich war dort schwer jemanden zu erreichen, es wurde geläutet und nach einer Welle kam eine Hebamme. Sie half mir heraus und legte mich in den Brutkasten. Ich bekam wahrscheinlich auch die Gelbsucht im Krankenhaus. Nach einigen Tagen fuhr man mich und meine Mutter nach Hause.

Am 07.07.68 wurde ich in der Pfarrkirche von Unserfrau getauft und bekam den Namen Apollonia Gurschler. Meine Adresse ist: Unserfrau Nr. 86, 39020 Schnals.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon drei Geschwister: Schwester Walburga, geboren 1961, eine zweite Schwester namens Zita wurde ein Jahr später geboren. Der dritte war ein Bruder, er wurde 1964 geboren und heißt Stanislaus.

Nach gut drei Monaten bekam ich eine Impfung, und danach gab ich meinen Eltern kein Zeichen. Ein wenig später ging es wieder besser. Nach zwei Jahren merkte man, daß ich nicht gehen konnte.Als ich klein war, hatte ich zwei mal Lungenentzündung, einmal dazu noch Keuchhusten, so daß ich in der Intensivstation lag, wie lange, weiß ich nicht mehr.

Dann schleppte mich meine Mutter jahrelang nach Meran zum Turnen. Ich besuchte einmal in Unserfrau und einmal in Karthaus den Kindergarten. Im Bett lag ich sehr viel, weil ich krank war.

Als ich sechs Jahre alt war, bekam ich noch eine Schwester, sie heißt Stefania. Bald darauf wurden mir die Mandeln herausoperiert. Dann. wurde ich zur Schule im Ort geführt, aber die Lehrerin war sehr unfreundlich und sagte zu mir, sie habe keine Zeit für mich. Ein halbes Jahr oder ein Jahr ging ich doch noch dort zur Schule.

Meiner Mutter wurde geraten, mich nach Axams, Nähe lnnsbrucks, in eine Sonderschule zu bringen. Das Land genehmigte mir das, und so fuhren wir zur Besichtigung dorthin. Der Heimleiter sagte den Schul- und Heimplatz zu, da mein Kopf in Ordnung ist, und ich für meine Eltern eine zu große Belastung wäre, weil ich immer noch nicht gehen konnte, jedoch an Gewicht zunahm.

Ich hatte großes Glück und besuchte im Herbst die erste Klasse. Der Anfang war sehr schwer, danach fühlte ich mich bald wie zu Hause. Ich besuchte die vorgesehenen neun Klassen und lernte weiters auch hervorragend schwimmen, was meiner Gesundheit gut tat und auch Spaß machte. Kurz vor Beginn des letzten Schuljahres (1984) ist meine jüngste Schwester geboren, sie heißt Simone.

Als ich wieder nach Hause kam, fehlten mir die Gruppenkolleginnen und Freunde. Ich beschäftige mich sehr viel alleine, fahre auch ab und zu in die Stadt. Seit sechs Jahren arbeite ich in der Marketingabteilung der Zahnfabrik in Naturns. In den letzten, paar Jahren arbeite ich mit Schnalserinnen zusammen, welche sehr streng zu mir sind.

Fast jedes Jahr fahre ich für eine Welle auf Urlaub nach Axams. Voriges Jahr kaufte ich neue Möbel für mein Zimmer: einen Kleiderschrank, eine Komode, ein Kästchen, zwei Nachtkästchen, einen Bürostuhl, einen Schreibtisch, Bett mit Gesundheitsmatratze, Nachtlampe und Bettwäsche.

Letztes und heuriges Jahr fuhr ich mit meiner Cusine Erna auf den Ritten und habe an verschiedene, interessante Seminare teilgenommen. Sie und noch ein paar andere sind meine besten Stützen.

Ein Tagesablauf im Elisabethinum

Das Elisabethinum ist ein Heim für körperbehinderte Kinder die in Süd- oder Osttirol zu Hause sind. Es gehört dem Liebeswerk Tirol und Vorarlberg. Die Kapuzinerpatres halfen uns dabei, das Heim zu finanzieren. Es gab sechs Wohngruppen, einen Kindergarten, neun Klassenzimmer, drei verschiedene Therapieräume, vier oder fünf Büros, ein Schwimmbad und eine große Kapelle. Im Keller bedinden sich: die Waschküche, mehrere Gästezimmer, eine Sauna, die Werkstatt, der Heizraum, die große Küche, Speiseräume und ein Raum für Veranstaltungen. Im ersten Stock wohnten unsere Gruppe und noch eine andere. Wir und die andere Gruppe teilten uns den Abstellraum. Wir hatten auch eien zweiten Stock; dort befindet sich die Bibliothek. Dort schliefen die Patres und der Schuldirektor, im Notfall. Die Wohngruppe wurde in zwei Teile aufgeteilt. In der Mitte des Stockes waren die Bäder, die Duschen und die Waschräume. Es gab zwei Garderoben, zwei Putzräume und einige Vier- und Dreibettzimmer. Weiters befinden sich dort Zimmer für die Klosterfrauen und den zwei Betreuerinnen. Es gab auch zwei Aufenthaltsräume, dort spielten wir, machten unsere Hausaufgaben und aßen miteinander. Morgens standen wir um sieben Uhr auf und die kleinen Kinder um viertel nach sieben. Wir pflegten uns und zogen uns an. Die älteren Kinder holten im Kellergeschoß in der großen Küche das Frühstück mit einem Küchenwagerl. Wir holten den Kaffee, den Kakao, das Brot, die Eier, den Butter, den Käse, die Nutella (Streichschokolade) oder den Schinken. Jeden Donnerstag bekamen die Diätler einen Schinken mit einem Semmel und die anderen Tage bekamen wir Schwarzbrot mit Streichkäse oder Eier. Wir beteten auch viel. Zum Frühstück, zu Mittag und am Abend. Nach dem Frühstück spülten und trockneten wir Älteren das Geschirr ab. Um dreiviertel neun Uhr hatten wir Schule oder verschiedene Therapien. Es gab eine Sprachtherapie, Beschäftigungstherapie und Turntherapie. Es gab verschiedene Fächer in der Schule: Mathematik, Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Gesundheitslehre, Religion. Die älteren Kinder hatten Englisch, Maschinen schreiben, Sozial- und Wirtschaftskunde, naturkundliche Grundlagen der modernen Wirt

Brief von Hansjörg

http://bidok.uibk.ac.at/download/hansjoerg.pdf

Brief von Verena

http://bidok.uibk.ac.at/download/verena.pdf

Denken ist eine soziale Tätigkeit

Jede Erkenntnis ist eine soziale Tätigkeit - nicht nur, wenn sie wirklich Kooperation erfordert, denn sie stützt sich immer auf Wissen und Fertigkeiten, die von vielen anderen überliefert worden sind. Sie ist sozial, weil während jedes andauernden Gedankenaustausches Ideen und Standards erscheinen und wachsen, die an keinen individuellen Autor geknüpft werden können. Es entwickelt sich eine gemeinschaftliche Denkweise, die alle Teilnehmer bindet und die sicherlich jede Erkenntnistätigkeit bestimmt. Deshalb muss jede Erkenntnis als eine Funktion von drei Elementen verstanden werden: Sie ist eine Relation zwischen dem individuellen Subjekt, dem bestimmten Objekt und der gegebenen Denkgemeinschaft, in dem das Subjekt handelt. Sie gelingt nur, wenn ein bestimmter, in der gegebenen Gemeinschaft entstandener Denkstil angewendet wird....

Auf diese Weise sind die drei Komponenten der Erkenntnistätigkeit untrennbar miteinander verbunden. Zwischen dem Subjekt und dem Objekt gibt es ein Drittes, die Gemeinschaft.

Aus : Ludwick Fleck "Erfahrung und Tatsache", Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1983

Gruppenbild

Diese lebensbiographische Forschungsarbeit wurde mit Unterstützung der Kulturabteilung in der Südtiroler Landesregierung und der Sparkassenstiftung ermöglicht

Logo: Südtiroler Landesregierung

Logo: Stiftung Südtiroler Sparkasse

Der gleichnamige Film ist im Handel nicht verfügbar. Er kann beim AEB (Arbeitskreis Eltern Behinderter) in Bozen ausgeliehen werden.

Adresse

Arbeitskreis Eltern Behinderter - AEB

G.-Galilei-Straße 4

39100 Bozen (BZ)

Telefon: 0471/289100

Fax: 0471/261750

Homepage: http://www.a-eb.net

E-Mail: info@a-eb.net

Quelle:

Arbeitskreis Eltern Behinderter: Auf der Spur ... Lebensbiographien von ehemaligen SchülerInnen des Berufsfindungskurses Brixen

Eine qualitative Untersuchung zu Lebenslagen, eine gemeinsame Entdeckungsreise, eine Bestandsaufnahme.

bidok - Volltextbibliothek: Wiederveröffentlichung im Internet

Stand: 22.01.2008

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